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Helmuth Schönauer
Verpfuschte Idylle
Regieren heißt immer:
Hässliche Bilder schaffen

Der visuelle Aufreger in den Medien der letzten Wochen kommt aus St. Johann. Hier soll ein Gewerbegebiet entwickelt werden, was vermutlich wöchentlich irgendwo in Tirol passiert, gilt es doch, den Status an Bodenversiegelung zu halten, wenn nicht gar auszubauen. Momentan kommen in Tirol 288 Quadratmeter Versiegelung auf einen Einwohner.

Die Aufregung in St. Johann geht auf den blöden Umstand zurück, dass über die inkriminierte Fläche idyllische Bilder existieren.

Ein alter Bauernhof, denkmalgeschützt, duckt sich an den Waldrand, in welchen die fahle Abendsonne hineinsticht, um dem Wild zu zeigen, dass Äsenszeit ist. Die Fläche selbst ist in sattem Grün gehalten und dient der Behörde als Landwirtschaftliche Vorsorgefläche. Am unteren Rand, wenn man genau hinschaut, ist ein ruhiger Asphaltstreifen zu erkennen, der insbesondere Senioren dazu einlädt, mit dem E-Bike kurz vorbeizuschauen.

Kurzum, dieses Bild dient Werbeagenturen, Kinderbuchillustratorinnen und Landschaftsentwicklern dazu, die diffusen Idyllen unserer Glücksvorstellungen in ein einziges Bild zu gießen.

Was immer die Gemeinde mit dem Grundstück macht, es wird Stunk und Aufruhr geben.

Das Bild hat nämlich auch die Aufgabe, die helle Zukunft Tirols zu zeigen, wenn darin die Volks-Partei weiterhin das Sagen hat. Wer diese Partei wählt, kriegt ein idyllisches Land, heißt die Botschaft vor den Wahlen, bei denen derlei Sujets ausgiebig gestreut werden.

Nach den Wahlen freilich muss manchmal regiert werden, und das ergibt schlechte Bilder. Und wer getraut sich schon, offensiv zu kommunizieren, dass die Idylle an manchen Tagen ausradiert werden muss, um der Zukunft eine Chance zu geben.

Im Fall des neuen Gewerbegebietes kommt für die Entscheidung verschärfend hinzu, dass alle Argumente innerhalb der Volkspartei abgewickelt werden müssen. Plötzlich stehen Landwirtschaft, Tourismus, Wirtschaft und Stimmvieh in vier verschiedenen Ecken des gleichen Argumentations-Raumes.

Mittlerweile ist von den diversen Bebauungsgremien das grüne Licht gegen die grüne Idylle gegeben worden. Jetzt hoffen alle, dass das Bild bis zu den nächsten Wahlen vergessen sein wird. Denn der Begriff Gewerbegebiet kämpft mit dem Fluch, die hässlichste Architektur der Welt zu schaffen. Da braucht es viel Überzeugungsarbeit bei den Wählern, um ihnen die Schönheit einer klug komponierten Arbeitsarchitektur schmackhaft zu machen.

Der Fluch der Bodenversiegelung liegt wie immer beim Geld. Solange eine Gemeinde nur durch Natur Plattmachen Steuern lukriert, nicht aber durch das Copyright auf das Ablichten idyllischer Flächen, werden weiterhin die Bagger und Bodenspezialisten auffahren müssen.

Den jetzt unterlegenen Träumern, denen das schöne Bild vom Bauernhof mit Wiese genommen wird, bleibt der große Trost durch die Natur. Das ganze Land ist in den letzten Jahrhunderten schon mehrfach umgepflügt worden und hat sich immer wieder erfangen. Was wäre, wenn eine Klima-Mure durch die Idylle gehuscht wäre?

Ist es da nicht besser, bis zur finalen Vermurung noch ein bisschen Gewerbe zu betreiben?

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Robert Muskat

    Meine Rede! Leider beschränkt sich das Wirken von Wirtschaftsbund, Bauernbund und Tourismus nicht auf Tirol, sondern wird österreichweit geduldet. Und sollte sich irgendwo Widerstand regen, dann blasen sich ein paar, neuerdings modisch geschorene, aufgedunsene Köpfe auf und protestieren mit Hinweis auf Wachstum und Konkurrenzfähigkeit. Schließlich ist auch Tirol ein Land, das „Investoren“ – mit Glück ausländischer Provenienz – anlocken soll, damit die Eingeborenen gefälligst nicht in Eigentum, sondern zugunsten anlegender Geier ihr Einkommen einsetzen müssen.
    Gute Nacht Tirol.

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