Helmuth Schönauer bespricht:
Die Astronomie und der liebe Gott.
„Sündige“ Gedanken
eines vormaligen Naturwissenschaftlers

Bücher über große Themen unterliegen dem Erzählparadoxon: Je größer das Thema, desto bescheidener hat die Erzählhaltung auszufallen.

Ronald Weinberger nimmt sich berufsbedingt das größte denkbare Thema zu Herzen, das wahlweise mit All, Weltraum oder Universum bezeichnet wird. Seinen bescheidenen Erzählstandpunkt drückt er in einer Widmung aus, indem er sich bei den Eltern bedankt, die ihn als Teil des Universums auf die Welt gebracht haben. Nebenbei sind sie fröhlich geblieben und erst in hohem Alter abgeklärt verstorben.

Überhaupt wundert es den Autor, dass er als gewöhnlicher Mensch einen so interessanten Beruf hat ergreifen dürfen, der überall Neugierde hervorruft, als ob es dabei etwas zu gewinnen gäbe.

In der Astrophysik bleibt die Menge der offenen Fragen immer gleich groß, kaum gibt es irgendwo eine vernünftige Erklärung, tut sich schon wieder das nächste Wissensloch auf. Kein Wunder bei einer Materie, die unter anderem aus einem schwarzen Loch besteht.

So „nebenbei“ erzählt der Autor natürlich von der sogenannten Entstehung der Welt, von ihrer Ausdehnung und ihrer Zukunft. Er ordnet die Forschungsergebnisse und macht Schwerpunkte der Forschung aus, wobei er zu dem unausgesprochenen Schluss kommt, dass wahrscheinlich alles eine Sache der Formulierung ist.

Dazu greift er ein semantisches Highlight auf, das jeden Germanisten zur Verzweiflung bringt. Die Tatsache, dass es eine Art Urknall gegeben hat, ist durch den gegenwärtigen Forschungsstand plausibel untermauert, aber die Sprache hat außer dem Wort Urknall nichts, um das zu beschreiben, was vorher und nachher war.

Diese Verklemmung der Sprache zwischen wenigen Dingen erklärt sich vielleicht mit der Entwicklung der Sinnesorgane. Alle sind auf die Sonne fixiert, dabei wäre es für die Forschung im All durchaus sinnvoll, wenn wir dafür eigene Organe entwickelt hätten. Aber offensichtlich ist es biologisch nicht notwendig, dass wir erfahren, was im Weltall los ist.

Ronald Weinbergers eigentliche Erzählung ist seine abgeklärte Biographie. Im Untertitel Sündige Gedanken eines vormaligen Naturwissenschaftlers ist das Staunen zum Ausdruck gebracht, dass jemand als sogenanntes kleines Eisenbahnerkind plötzlich über Dinge reden, forschen und urteilen darf, die früher ausschließlich Gott und seinem vorgeschützten Personal vorbehalten waren.

So erzählt er in wohl choreographierten Bewegungen über Gott und die Welt unter den fünf Gesichtspunkten: Alltägliche Astronomie / Die Entwicklung des Universums / Wissen, Wahrheit, Glaube & Co / Ansichten und Einsichten / Muntere Selbstbetrachtung.

Die einzelnen Episoden sind mustergültig aufgebaut in a) Begebenheit, b) wissenschaftliche Einordnung, c) subjektive Anwendung.

Im Idealfall ist das erzählende Ich mit leiser Gartenarbeit beschäftigt, als es draußen auf der Straße einen Rumms hört: Ein verliebter Kerl hat einem Mädchen nachgeschaut und ist bei dieser Gelegenheit in einen Laternenpfahl gerannt. Jetzt lautet die Frage, ob das Zufall war oder geplant.

Die Wissenschaft stellt für solche Versuchsanordnungen ein Knowhow zur Verfügung, das aus der Atomphysik und Quantentheorie stammt. Das Ergebnis lautet, dass es keinen Zufall gibt. – Das erheitert das Ich, das lacht und mit der Gartenarbeit fortfährt.

Merke: Für alle Wissenschaft braucht es den passenden Rahmen, das Individuum ist angehalten, daraus fröhliche Erkenntnis zu schöpfen.

Solche individuellen Deutungen können durchaus danebengehen, wie etwa jene wissenschaftlich widerlegten Behauptungen zeigen, wonach der Mond Einfluss auf das Haareschneiden habe, Holz sich durch kluges Schlagen bei Mond verhärten ließe, oder das berüchtigte Grander-Wasser durch Streicheln der Moleküle zu einer Generalsanierung des Körpers beitragen könne.

Interessant ist für einen Astrophysiker auch, wie sich Weltraummöbel im Alltag unterbringen lassen, seien es die Sterne in Hollywood, die kosmische Musik von Weltraumfähren oder der Germteig, der beim Aufgehen das Weltall nachäfft, indem er sich samt den Rosinen ins Unendliche ausdehnt.

Alle diese Beispiele führen schließlich zur Gedankenkette Wirklichkeit – Realität – Wahrheit. (180) In der sprachlichen Anwendung des Alltags wird das oft verwechselt oder vertauscht, wodurch von seltsamen Gottesbeweisen bis hin zu einer Lust nach Fake-News alle Anwendungen gleich plausibel erscheinen.

Ähnlich verhält es sich mit dem sogenannten Glauben, wo es ja logisch, semantisch und fiktional ordentlich drunter und drüber geht. Der Autor hat eine süffig-passable Erklärung für den Glauben: er ist das, was man sich zusammenklaubt und müsste eigentlich mit K geschrieben werden.

Alltags-schludrig ist auch der Umgang mit den Wörtern Weltbild und Weltanschauung. (207)

Das objektive Weltbild wird im Alltagsgebrauch oft mit der politisch motivierten subjektiven Weltanschauung überlagert, um seriöser zu erscheinen.

Ronald Weinberger erzählt vom Giga-Thema Universum, indem er einen Spaziergang vortäuscht, auf den er die Leser mitnimmt. Während ununterbrochen draußen Verliebte in die Laternenpfähle knallen, sinniert er im Verlaufe einer Buchlänge darüber nach, was man als neugieriges Individuum wissen sollte, was einem weiterhilft und was nicht, wo verlogene Konventionen die User bewusst in die Dummheit und Dunkelheit führen, und wie das Leben wahrscheinlich nur eine Beschreibungsform zulässt: Optimismus oder nicht.

Der Autor hält nicht hinterm Berg mit seinem Erlebnis, dass das Leben gelingen kann, wenn man neugierig und bescheiden bleibt. Das sind übrigens die Grundtugenden der Wissenschaft, der er einen durchaus in Weltraummanier aufgegangenen Gugelhupf spendet.


Ronald Weinberger: Die Astronomie und der liebe Gott. „Sündige“ Gedanken eines vormaligen Naturwissenschaftlers.
St. Johann: Hannes Hofinger Verlag 2022. 378 Seiten. EUR 14,90. ISBN 978-3-9505074-5-4.
Ronald Weinberger, geb. 1948 in Bad Schallerbach, ist vormaliger Professor am Institut für Astro- und Teilchenphysik an der Universität Innsbruck und Autor des schoepfblog.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. c. h. huber

    auch ältere damen(?) denken bei dem gedicht an den einstmals berühmten asbach uralt! und wünschen dem autor noch viele gesternte oder gestirnte, wissenschaftlich-humorvolle gedanken.
    dank der heschö-rezension auch ebenso viele verkaufte bücher!

  2. walter plasil

    Ronald Weinberger beweist mit seinem Buch, dass es keinen allwissenden und allmächtigen Schöpfer geben kann. Denn wenn es einen solchen geben würde, hätte dieser Typ wissen müssen, dass er einst durch Weinberger eloquent widerlegt werden würde. Und das hätte der Allmächtige nur verhindern können, wenn er die Existenz Weinbergers verunmöglicht hätte, wozu er aber infolge seiner eigenen Inexistenz nicht in der Lage war.

  3. Ronald Weinberger

    Ach Gottchen, angesichts einer für mich derart erquicklichen Besprechung durch den Tiroler Rezensionspapst Helmuth Schönauer … wenn mich darob bloß nicht der helle Mut packt und ich, trotz meines gegenwärtigen Auf-Keinen-Fall-Wollens, mich irgendwann schriftlich über weitere schöne Aue im Kosmos auszulassen die Stirn haben werde!
    Also, Herr Rezensent: Es war/ist mir ein geradezu gugelhupfiges Vergnügen, Ihre Kommentare zu meinen Ausritten in die Weiten des Kosmos, die Fallgruben der Philosophie und die Purgatorien der Anti-Religiosität aufzusaugen.
    Ja, ich bin nachgerade verwundert und fühle mich im Endeffekt gebauchpinselt, dass ich in Ihrer Besprechung nicht einmal ansatzweise ein Schwarzes Loch zu erblicken vermag, in das Sie den einen oder anderen Teil meines Werkchens auf Dauer entsorgt haben möchten.
    Kurzum: Haben Sie sternigen Dank!
    Und da ich – wenngleich nur spärlich in diesem Buch – gerne einen Hang zur unbotmäßigen Reimerei auslebe, will ich selbigem stante pede nachgeben, wenn ich meine:

    Wenn dich der Helmuth nicht „zerlegt“,
    keinen Groll gen dein Geschreibsel hegt,
    wenn dir also Gutes widerfährt,
    das ist schon einen Jauchzer wert.

    (Ich weiß selbstverständlich, dass insbesondere Herren älteren Semesters, genüsslich reminiszierend, dabei an ein bestimmtes, ungleich eingängigeres, „asbach-uralt“es Sprüchlein denken … ).
    Ad astra!

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