Print Friendly, PDF & Email

Helmuth Schönauer
Leibrente, statt Leibschüssel!
Stichpunkt

Verkaufen Sie Ihre Wohnung zu Höchstpreisen! Auch Leibrente möglich!

Wenn es sich einmal herumgesprochen hat, dass in einer Gegend verdichtet ältere Menschen wohnen, gibt es für die Makler kein Halten mehr. Im Vierzehntage-Rhythmus wird jeder angeschrieben, der sich noch an einem Rollator aufrechthalten kann, ob er nicht seine Wohnung verkaufen will.

Die Adressen dieser bedauernswerten Wohnungsinhaber sind leicht zugänglich und werden in einschlägigen Kreisen bei jedem Weiterbildungsseminar „weitergegeben“. Gerade in manchen Tälern ist mittlerweile die Dichte von Maklern ins Unermessliche gestiegen, denn dieses meist nebenberuflich ausgeübte Dealen mit Immobilien bringt gigantische Renditen. Wenn du im Jahr zwei „Hütten“ abwickelst, hast du ein sattes Jahresgehalt herinnen, so ein Insider.

Meistens wird zuerst das Altenteil der Oma verkauft, die seit dem Tod des Opas etwas derangiert und besonders leicht übers Ohr zu hauen ist. Bei ihr lässt sich auch der Witz voller Tiroler Charme unterbringen: Leibrente, statt Leibschüssel!

Andernorts treten spontan Schlaganfälle auf, die unerwartet eine Wohnung auf den Markt spülen, wenn der Patient geschäftsunfähig ist. Und immer wieder wächst aus einer Wohnung Efeu heraus, sodass man annehmen kann, dass hier ein Erbe in Übersee die Kontrolle über seinen Besitz verloren hat.

Der Druck auf den Immobilienmarkt ist gewaltig, seit die Babyboomer in die Rente stürmen und ihre Abfertigungen herumliegen. Das Wohnmobil kannst du vergessen, denn wohin kannst du noch fahren? ‒ Also ab mit dem Geld in eine kleine Immobilie.

Jedes Geschäftsmodell bringt auch eine eigene Berufsgruppe hervor. In den sechziger Jahren war es etwa der Bänker vor Ort. Im Wirtschaftswunder konntest du gar nicht genug Geld aufreißen und als Kredit zugänglich machen, so verrückt waren alle danach. Die Kids wechselten manchmal noch vor der Matura in die Bank, wo sie bis zu zwanzig Gehälter ausfassten und unkündbar waren. Später haben sich freilich ganze Jahrgänge von ihnen versoffen und sind schließlich aus ihren ehemaligen Dienstwohnungen geflogen, wenn die Bank verkauft oder fusioniert worden ist.

Den heutigen Wohnungszuhältern wird es nicht viel besser gehen, irgendwann wird wohl der letzte Flecken verbaut sein, den man noch verscherbeln kann. Und die ehemals so stolzen Tiroler liegen zum Teil heute schon auf Urnenfeldern, die sich ihre Hinterbliebenen nicht mehr leisten können.

Jedes System beendet sich von selbst, wenn es müde ist. Erfahrene Revolutionäre wissen das, und zetteln deshalb schon längst keine Revolutionen mehr an, wenn sie etwas verändern wollen. So lautet die Parole der gegenwärtigen Landesregierung trotz aller kosmetischer Richtlinien: Lei lossn! Denn quer durch alle Parteien sind die Entscheidungsträger oft selbst ins Ausverkaufsmodell verwickelt.

Du musst das Gold schürfen, solange es noch glänzt, hieß es einmal bei den Goldgräbern Alaskas, die zumindest in ihrem rhetorischen Habitus an die Tiroler Pioniere der Gegenwart erinnern.

Wenn alle Wohnungen verkauft und alle Tiroler unter der Erde sind, wird sich das Land als großes Gräberfeld auftun, wie wir es von ausgestorbenen Kulturen kennen. Von uns wird nichts bleiben als der Grundriss unserer Immobilien. Aus ganz Europa werden die Archäologen nach Tirol kommen und inventarisieren, was ihre eigenen Vorfahren vor Zeiten über die Immobilienfonds zusammengekauft haben.

Aus den Wohnungen wird Efeu wachsen, an den eingeebneten Straßenecken wird es mobile Karren mit Erfrischungsgetränken geben, an denen prekär dahin wurstelnde Kleingastronomen wie seit Jahrhunderten jammern werden, dass das Geschäft besser sein könnte.

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Schreibe einen Kommentar