Print Friendly, PDF & Email

Helmuth Schönauer
Impf-Lotterie
Stichpunkt

„Beim ORF ist sogar die Zeit falsch, wenn er sie sendet!“ Dieser schöne Strache-Satz aus einer Zeit, wo er noch selbstsicher und mitreißend alles attackieren konnte, was ihm nicht in die Tagesverfassung passte, hat einen Wahrheitsgehalt, den man täglich überprüfen kann.

Trotz Abmahnung glaubt der ORF immer noch, er habe es beim Publikum mit Dummerln zu tun, die sein Programm zu fressen hätten. So zögert er auf Ö3 ständig die Nachrichten hinaus, um die Werbung noch unterzubringen, die knapp am Punkt am teuersten ist. In dieser Verspätung lässt sich nämlich noch ein Möbel-Spot unterbringen..

Längst haben Hörer eine Zeituhr vorgeschaltet, die den Sender erst zulässt, wenn die Nachrichten „Punkt am Punkt“ gesendet werden. Nicht einmal die Zeit kriegen sie hin, könnte man mit Strache ätzen. Aber hinter dieser Ignoranz steckt eiskaltes Kalkül, denn du kannst in Österreich zwar aus der Kirche austreten, aber nicht aus dem ORF.

Jetzt soll dieser verlässliche Regierungskumpan also die sogenannte Impf-Lotterie durchführen, weil er mit dem Zufall so große Erfahrung hat. Vielleicht nennt man den ORF dann gar in ILO (Impf-Lotterie-Oesterreich) um.

Was gesendet wird, ist nämlich reiner Zufall. Es hängt davon ab, wo gerade ein Mitarbeiter sein Handy eingeschaltet hat, und ob zufällige Zeitzeugen eines Geschehens spontan einen Katastrophen-Clip (Querformat bitte) schicken.
Die Nachrichten haben sich an das journalistische Personal zu halten, nicht umgekehrt. Eine Nachricht entsteht nicht dadurch, dass sie sich ereignet, sondern dadurch, dass sie jemand aus dem Journalisten-Tross würdigt, damit er eine Sendung vollkriegt.

Einen noch praktischeren Weg als in der Zentrale mit den landesweiten Amateurzuspielungen geht man in den einzelnen Landesstudios. Hier schaut das Studio-Personal in erster Linie, ob jemand anderer mit einer Meldung vorprescht, dann muss man nachziehen. Selber recherchiert man eher nichts, denn es könnte was Ungutes dabei herauskommen. Oft umgeht man das Dilemma zwischen Aufklärung und Ruhe-Bewahren, indem man einem Blogger was steckt, soll sich doch der mit einer unerwünschten Nachricht herumschlagen.

Nicht nur Nachrichten sind nach dem Konzept Lotterie ausgewählt, auch Sendefelder wie Literatur, Sport oder Unterhaltung unterliegen in der Provinz dem Zufallsprinzip.

Im Landesstudio Tirol hat man das schon vor Jahren im Bereich Literatur erkannt, und eine Maßnahme gesetzt, die dem Zufall Paroli bietet. Über Literatur wird nämlich nicht mehr berichtet, wenn sie irgendwo geschieht, sondern wenn sie im eigenen Sendesaal hausgemacht wird. So produziert man die vier Hörspiele im Jahr live, damit man ein Ereignis hat, das dann als gut recherchiert übertragen werden kann.

Um vor Fehlsendungen geschützt zu sein, hat man, zumindest im Studio Tirol, einen eigenen Literaturbevollmächtigten installiert, der als persönlicher Sende-Guard für den Hausdramatiker und seine unsäglichen Volksstücke abgestellt ist. So hat man ständig etwas zu senden, ohne dass man sich auf die Suche machen muss. Denn die Leute sind selber schuld, wenn sie streamen, podcasten oder hören: Sie kriegen immer den einen Volksdichter zu Gehör, bei dem das Zufallsprinzip ausgeschaltet ist.

Im Sinne einer Erweiterung des Literaturbegriffs ist daher eine Lotterie zu begrüßen. Damit würde verhindert, dass immer nur der eine das große Los zieht.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Thomas Engl

    Kann man so unterschreiben.. ergänzend jedoch: das Thema „wie mache ich Recherche“ dürfte auch bei den lokalen Printmedien in der untersten Bürolade seit Jahrzenten versteckt liegen, und da liegt es für alle Beteiligten gut…die Gründe dafür dürften im Land, das alles richtig macht, bekannt sein..

Schreibe einen Kommentar