Helmuth Schönauer
Schlepper
Stichpunkt

Achtung! – Schlepper blockieren die Auffahrten, weichen Sie großräumig aus! Diese Verkehrsnachricht aus Bayern schlägt bei günstiger Witterung schon mal nach Tirol durch, sodass sich SUVierende auf dem Weg zu einem Arzt-, Schi- oder Familientermin fragen, seit wann denn die Schlepper frei herumlaufen und die Autobahnen blockieren können.

Der Witz der Nachricht besteht aus einer sprachlichen Feinheit. Die sprachmächtigen Deutschen sagen zum Traktor einfach Schlepper, während sich der Tiroler Traktorhersteller aus Kundl schön wundern würde, wenn er vor Gericht erklären müsste, dass er Schlepper herstellt.

Bei uns nämlich sind Schlepper etwas Böses und werden vor Gericht gestellt und eingesperrt. Die Ungarn sind eine Spur schlepperfreundlicher. Sie stellen diese zwar vor Gericht, lassen sie anschließend aber wieder im Hunderter-Paket frei, weil ihr Gefängnis-Aufenthalt für die Staatskasse zu teuer ist.

Die Schlepper müssen bei uns für alles herhalten, was man mit offiziellen Organen nicht bewältigen kann. Hauptsächlich kommen sie im Migrationswesen zum Einsatz. Dort dienen sie einerseits als Feindbild, weil sie ja die illegale Einreise von Migrierenden ermöglichen, andererseits sind sie ein willkommener Blitzableiter zur Erklärung eines seltsamen Asylmodells.

Der illegale Eintritt ins Land ist zwar verboten, die Menschenrechte sind allerdings höher einzustufen, weshalb man straffrei wird, wenn man einen Sündenbock mitbringt: eben den Schlepper.

Der Schlepper macht zwar Geld, wenn das ganze Phantomgeschäft mit den Menschenrechten über die Bühne gegangen ist, seine Hauptaufgabe besteht aber darin, sich fangen zu lassen und ins Gefängnis zu gehen, um den anderen die Einreise zu ermöglichen.

So haben letztlich durch das Schleppermodell auch diejenigen etwas davon, die sonst an der wörtlichen Auslegung der Gesetze scheitern würden.

Das Modell ist übrigens weit verbreitet. Im Finanzwesen tritt der Schlepper in Gestalt des Steuerberaters auf. (Vielleicht sollte man Schlepper überhaupt besser mit Gesetzes-Berater übersetzen.)

Der Steuerschlepper zeigt seinem Klienten das Loch im Zaun der Steuererklärung, durch das er schlüpfen kann, ohne belangt zu werden. Steuerschlepper sind freilich zum Unterschied von Körperschleppern höchst anerkannt und unverzichtbar, weil jede politische Person mindestens zwei davon hat.

Noch spezieller wird die Schlepperei, wenn es um den heiligen Tiroler Grund und Boden geht. Wenn du da nicht ein paar Boden-Schlepper hast, die dir zeigen, wie man die diversen Klauseln beim Erwerb von Grundstücken oder Zweitwohnsitzen umgeht, wirst du ewig auf irgendeiner Warteliste für die Wohnungsgenossenschaft liegen bleiben.

Selbst das in einigen Teilen noch immer nicht exekutierte Urteil zu den Agrargemeinschaften lässt sich nur verschleppen, weil entsprechende Agrar-Schlepper am Werk sind.

Achtung! Schlepper blockieren die Autobahnen nach Paris, weichen Sie großräumig aus! Jetzt lassen nach den Bayern offensichtlich auch die Franzosen ihre Schlepper frei herumlaufen.

Wie wahr: Der Schlepper ist das freiheitsliebendste Ding, das man auf die Autobahn stellen kann. Und in seiner österreichischen Ausformung als Mensch ist er immerhin so freiheitsliebend, dass er anderen den Weg in die Freiheit nach Österreich zeigt.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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