Helmuth Schönauer
Bashing und Promotion
Stichpunkt
Der Grad der Alkoholisierung einer Abendgesellschaft zeigt sich in Tirol zuerst an der Themenwahl, und später an der versengten Originalität der Argumente.
Ab einem gewissen Zustand wird der Salzstreuer der Humorlosigkeit ausgepackt und in großen Schüben über die Diskussionssuppe gepulvert, bis garantiert alles ungenießbar ist. Dabei bringt der Alkohol letztlich nur jenes Unbehagen ans Licht, das tagsüber vom Business verschluckt worden ist.
Und dann bricht plötzlich das Thema Tourismus auf! Offensichtlich besteht bei dieser Materie ein besonderes Ungleichgewicht zwischen Bedeutung und Aufmachung.
Zwei Thesen geraten sofort aneinander: „Tourismus bringt für fast alle Wohlstand“ versus: „Tourismus bringt für 80 Prozent der Bevölkerung eine Belastung, da seine Wirtschaftsleistung ja nur 20 Prozent ausmacht.“
Diese Thesen werden von zwei Quellen bedient, die in der Hauptsache von der Tourismusindustrie gespeist werden.
Im ORF-Landesstudio versucht man, die Infrastruktur auf Einheimische herunterzubrechen und ihnen die eigene Landschaft als Segen für die anderen darzustellen. Jeder Ausflugstipp, jeder Hinweis auf „neun Plätze und neun Schätze“ hat den Sinn, über die Einheimischen die Gegend für die internationale Urlaubswelt zu erschließen.
Die Einheitszeitung hingegen wird nicht umsonst humorvoll auch „Touristisches Tagblatt“ genannt. Für ihre Leser bietet sich spontan eine sensitive Übung zur Überprüfung der Blattlinie etwa dadurch an, jene Artikel zu markieren, die sich primär oder sekundär mit dem Tourismus beschäftigen. Inklusive Werbung kommt man jeden Tag dabei spielend auf gefühlte 80 Prozent, worin auf die Bedeutung des touristischen Unterfangens hingewiesen wird.
Selbst in Unterkapiteln wie beispielsweise Kunst oder Literatur werden nur Angelegenheiten vorgestellt, die entweder mit einem Inserat hinterlegt sind oder irgendwo eine Nächtigung auslösen.
Diese sehr eindeutige Quellenlage bewirkt in der Bevölkerung, dass sie den Jargon der Branche übernimmt, die permanente Bewerbung des Produkts als Teil des Schöpfungsberichts liest und schließlich in Allmachtsphantasien, aber auch in Verschwörungstheorien flüchtet.
So lautet eine Verschwörungstheorie, dass eine Gegend, worin Tourismus betrieben wird, immer zu hundert Prozent für Einheimische verloren ist.
Eine Fabrik etwa emittiert Lärm und Abgase in einem messbaren und kontrollierbaren Bereich. Der Tourismus hingegen emittiert seine Gäste zu hundert Prozent über alles. So weit vom nächsten Beherbergungsbetrieb entfernt kannst du gar nicht wohnen, dass du nicht zwischendurch einen Selfie-Heini in deinem Garten stehen siehst, der dich für eine ausgestorbene Tiersorte hält. Selbst eine „10h Regel“ wie bei den Windrädern würde nichts nützen, denn der Gast sucht immer die letzte Ritze im Land auf, das er gebucht hat.
Die Besonderheit des Tourismus zeigt sich auch in einem reziproken Planungsverfahren. In einer Firma zum Beispiel wird zuerst das Produkt geplant und dann erst die Halle gebaut und mit den Robotern ausgestattet, mit denen das Produkt erzeugt und vertrieben werden soll. Im Tourismus ist es genau umgekehrt: zuerst wird der Schilift gebaut und dann tut man alles, damit man ihn auch vollkriegt. Da die einzelnen Roboterschritte in diesem Falle von Menschen erledigt werden müssen, wundert man sich später, dass die Ressource nicht mit dem Planspiel für die Hardware kompatibel ist.
Tourismus entwickeln hieße, ihn auf allen drei menschelnden Ebenen (Gast – Service – Einheimische) gerecht oder zumindest erträglich zu gestalten.
In diesem Lichte ist die Diskussion zu sehen, bei der die Verteilung der Werbe- und Fördermittel im Fokus steht. Wenn man davon ausgeht, dass Werbung dort greifen soll, wo es das größte Defizit gibt, müsste augenblicklich das ganze Geld in die Pflege der Einheimischen gesteckt werden.
Momentan ist es so, dass jeder Gast, der im Ausland rekrutiert wird, zu einer Abwanderung eines weiteren Patrioten in den Widerstand führt. Irgendwann wird sich dieser Tourismus nicht einmal mehr bei seinen Befürwortern halten können, wenn er auf Kosten der Lebensqualität oder der Glücksvorstellungen der eigenen Bevölkerung geht.
Einen interessanten Aspekt der Werbestrategien hat im Zuge der Ischgl-Diskussion der deutsche Botschafter Ralf Beste in einem Nebensatz geäußert. Er sieht das Problem des Ischgl-Bashings nicht darin, dass keine Gäste mehr kommen werden, (die Fans kommen felsenfest), sondern dass deren Angehörige und Freunde sich vom Image abwenden. Mit anderen Worten: Nach Ischgl zu fahren ist dann wie ins Puff gehen. Es ist etwas Anrüchiges daran. Das mit dem Puff hat er natürlich nicht gesagt, das ist eine Übertreibung des Glossisten.
Beides, augenzwinkerndes Zitieren einer Verschwörungstheorie und Ausgreifen eines zitierten Bildes sind bekanntlich Elemente des Glossenschreibens.
Wenn also der Abend in Suff und Klischee zu Ende gegangen ist, besteht immerhin die Aussicht, dass am nächsten Tag nüchtern in Reaktion auf eine Glosse diskutiert wird. Denn im Glossismus werden die beiden Extremhaltungen „Bashing“ und „Promotion“ nüchtern diskutiert und spielerisch überprüft.
Und den Humor nicht vergessen! Wenn der getrunkene Spirit sich verzogen hat, sitzen alle wieder mit sich allein im eigenen Kopf!
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