Helmuth Schönauer
Harry Plattler
Short Story

„Letzte Woche wurden drei von uns in die Parteizentrale zitiert.“

Wenn eine Geschichte so los geht, klingelt es bei allen Lesern, die schon einmal etwas von Stalin gehört haben. Der Generalissimus ließ bis zu seinem Tod nämlich regelmäßig Künstler vorladen, um mit ihnen was Kulturelles zu unternehmen. Als kunstinteressiertem Menschen aus Georgien, der 1912 in Wien ein paar Monate Literatur und Habsburgerei studiert hatte, war ihm zuzutrauen, dass er etwas verstand, wenn er von Kunst redete.

Einmal begnügte er sich, den Komponisten Schostakowitsch auf Vordermann zu bringen, worauf er seine Symphonien im Angstschweiß des Todes schrieb, was auch heute noch zwischen den Noten herauszuhören ist.

Andere Künstler wurden nach der Vorladung gleich in den Keller gebracht, wo es zu interessanten Diskussionen gekommen ist. Immerhin hatten viele Geheimdienstoffiziere ein Doktorat in Literatur oder waren wenigstens wie die meisten Sowjetbürger emsige Benützer der Büchereien, wenn sie nicht gerade Geologen waren und als Landvermesser unterwegs sein mussten.

Die sowjetischen Landvermesser hatten alle ihren Josef K. in der Tasche und erwiesen Kafka jeden Abend stille Reverenz, wenn sie tagsüber statt auf Mineralien auf das Nichts stießen. Nach ergreifenden Diskussionen wurden die Vorgeladenen oft vom Vortragenden eigenhändig erschossen, wobei die Liquidation nichts mit den Argumenten der Diskussion zuvor zu tun hatte. Der Schriftsteller Ralf Rothmann erzählt das alles in seinem „Hotel der Schlaflosen“ auf ernüchternde Weise.

Letzte Woche wurden auch drei von uns in die Parteizentrale zitiert, was uns seltsam vorkam, weil die dort weder lesen noch schreiben können und sich alles nur ums Schifahren dreht.

Zum Auftritt von allen dreien ist es aber erst gar nicht gekommen. Eine erste Person hat in Todesangst vor dem Niveau der Tiroler Einheitspartei (TEP) gleich das Handtuch geschmissen und sich entschuldigt. Wir wissen bis heute nicht, wer. Die zweite Person war ein sogenannter Witze-Imitator, der im Stil des Landes-Witzeerzählers Harry etwas erzählen wollte. Da sich der echte Harry aber seine Witze generell urheberrechtlich schützen lässt, war auch das ein Ausfall.

Der echte Harry konnte übrigens trotz Parteiaffinität nicht erscheinen, weil er noch einen Witz fertig erzählen musste, den er auf einer Hütte für ein Vorabendprogramm als Endlosschleife vorzutragen hatte.

Also saß als letzter der geplanten Drei an diesem Vormittag ich dem Pressesprecher der Einheitspartei gegenüber, jederzeit bereit, in den Keller geführt und zum Lachen gebracht zu werden. Der Pressesprecher war natürlich ein Osttiroler, denn ein anderer wäre für diese Funktion weder geeignet noch zu finden gewesen.

Wir blödelten eine Zeitlang über Osttirol, was mir sehr leicht fiel, ihm aber Schmerzen bereitete, denn ein Osttiroler hat immer Bauchweh, wenn etwas über seine Enklave von der Größe Dornbirns gesagt wird.

Endlich kam er zur Sache: Der Landeshauptmann wünsche eine Aufbesserung seines Images, da seine Werte in den Keller gerasselt seien, weil er öffentlich zugegeben habe, nicht lesen zu können.

Aber bei den Tirolern ist das doch egal, meinte ich.

Seit er die Kurz-Papers nicht überfliegen könne, schmerze ihn das aber gewaltig. Er habe nicht einmal die schlichten Chats des Kanzlers überfliegen können. Jetzt leide er wie ein Hund.

Als Schriftsteller sei ich nun gefragt, einen kleinen Trailer zu konzipieren, in dem man den Landeshauptmann lesen sehe, ehe er die Schi umschnallt und mit einer Gitarre in der Hand in den Kunstschnee hinausschwingt.

– Ist diese Motivkette schon fix?
– Fix ist: Hütte, Schnee, Schi, rotkariertes Hemd, lachender Landeshauptmann, Buch, Gitarre und wieder Schnee. Und Sonne natürlich, vor einer Hütte ist immer Sonne!
– Und ein Wolfszaun?
– Ist nicht verpflichtend, den können wir weglassen, wenn er den Auftritt stört.

Als Schriftsteller weiß ich, dass die größten Sachen jene sind, die als Zeichnung auf einem Bierdeckel Platz haben. Ich zeichnete für den Osttiroler, bei dem ich mir nicht sicher war, ob er lesen konnte, die wichtigsten Sachen auf, und riss die Seite dann aus meinem analogen Notebook.

Zu sehen waren: Hütte, rotkariertes Hemd, Sonne, Schnee, ein lachender Landeshauptmann mit Schi unten, Gitarre in der Mitte und leerem Kopf oben.
– Nach einem Sturz ist diese Reihenfolge natürlich umgekehrt. Er hat dann unten nichts, in der Mitte die Gitarre und oben die Schi. Im Sinne eines Image-Spots sollte man beide Bilder verwenden können.

Der Pressesprecher war sehr angetan. Von so etwas hatte er seit der Volksschule geträumt, als er mit seinem ersten Bleistift einen Landeshauptmann zeichnen musste. Ich würde nicht in Cash honoriert, sagte er mir, sondern in Keks. Cash kann man momentan wegen der vielen Scheinrechnungen nicht abrechnen, aber Keks gehen immer.

Er machte drei Kreise in sein analoges Notebook, was wohl die Größe des angedachten Kekses zeigen sollte.

– Jetzt noch zur Botschaft, die der Landeshauptmann aussprechen soll. Als erstes soll er sich hinsetzen wie der Landes-Witzerzähler und einen typischen Landeshauptmann-Witz selber erzählen.
Also:
„Kommt der Diesel zur Tankstelle und sagt: Nimmst du mich mit? ‒ Hahaha.“
Der Landeshauptmann muss über seinen Witz selbst am meisten lachen, weil er selber ein Witz ist. Das Gelächter geht dann über in die Melodie „Wir lagen vor Madagaskar“. Diesen Text können wir aber wegen der kolonialen Konnotation nicht verwenden, weshalb der Landeshauptmann singen muss:

„Wir lagen vorm Archenkogel,
und hatten den Kurz an Bord,
in den Chatrooms da faulte das Wasser,
und jeden Tag ging einer von Bord!“

Dann sagt der Landeshauptmann:
„Schifahren ist das Beste, was Tiroler tun können, ich werde jetzt obi platteln, um meinem Namen gerecht zu werden.“

Der Osttiroler Pressesprecher lächelte, und die Parteizentrale erschien in einem fahlen türkisen Licht. Er begleitete mich noch durchs Foyer hinaus, und als ich draußen stand in der Gegenwart, griff ich als erstes an meinen Nacken, ob sie mir nicht doch einen heimlichen Genickschuss verpasst hatten.

Zu Hause sah ich am Kühlschrank mit einem Magnetknopf befestigt die von mir verfasste Erinnerungsnotiz. „Achtung Altersheim, sofort Shortstory für die Kids abliefern!“

Einerseits war ich glücklich, dass mich die Partei endlich als Schriftsteller wahrgenommen hatte. Andererseits wusste ich, dass ich jetzt erst recht gefährdet war, in den Keller geschickt zu werden. Zugleich war ich durch mein Erlebnis, das ich hier schildere, der Einweisung ins Altersheim entkommen.

 

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Hannes Hofinger

    unübertrefflicher Tiroler Hofnarr. Im besten, positiven Sinn der Bedeutung..

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