Print Friendly, PDF & Email

Helmuth Schönauer
Tote Dose
Stichpunkt

Tschliepp! Tchliepp!

Noch ehe die beiden Handwerker am Morgen den Kastenwagen öffnen, um daraus das Werkzeug für eine Wohnungssanierung zu holen, öffnen sie jeweils die kleine Dose, welche das Handwerk erst ermöglicht.

Tschliepp! Tchliepp!

Jetzt muss es aber schnell gehen, die Kassiererin im M-Preis hat getrödelt und draußen an der Haltestelle ist schon der Schulbus im Anrollen. Zwei Schülerinnen öffnen die kleine Dose, ohne die sich das Tagwerk nicht starten lässt.

In den letzten Wochen ist viel vom Dosenmacher die Rede gewesen, der  als reichster Österreicher ziemlich still gestorben ist.

Nach angemessener Trauerzeit stellen sich nun doch ab und zu Menschen in diesem Land die Frage, was da abgegangen ist.

In der Hauptsache wird das Phänomen der Energie-Dose wirtschaftlich erklärt.

Mit gutem Marketing ist es dem Konzern gelungen, aus
– thailändischem Mythos,
– österreichischem Zuckerrübenüberschuss,
– halb verstaatlichten Aluminiumwerken in Ranshofen
– und einem auf Fruchtsaft spezialisierten Familienbetrieb als General-Abfüller
etwas in die Welt zu setzen, was letztlich aus einem kurzen Geräusch besteht:

Tschliepp!

Das Geräusch ist übrigens nicht urheberrechtlich geschützt, entsprechende Klagen sind vom EuGH in Luxemburg stets abgewiesen worden.

Während sich die Erfolgsstory des Dosenkonzerns durchaus wirtschaftlich und wissenschaftlich darstellen lässt, bleibt die wichtigste Komponente meist unbeachtet.

Bei der Dose handelt es sich um eine Religion!

Der Vergleich zwischen Religion und Konzern endet verblüffend: In der Dose ist alles drin, was man für eine Religion braucht.

Es beginnt mit dem Religionsstifter, der seine Idee auf wirtschaftliche Beine gestellt hat, die auch nach seinem Tod noch tragfähig sind. Das moderne Apostolium wird über eine Stiftung abgewickelt und heißt Event.

Woche für Woche finden Fußballspiele, Schispringen, Eishockey, Weltraumflüge und Rallyes statt, zu denen die Gläubigen strömen und Fun haben.

Ab und zu gibt es was Größeres, etwa eine Wallfahrt, nur fährt man nicht mit der Maria-Zeller-Bahn in den Wald, sondern mit dem eigenen Sechszylinder knapp an das Autodrom von Spielfeld heran. Freilich ist auch dieses Areal einmal Wald gewesen, ehe es von Dosenmönchen gerodet worden ist. Und jetzt sprießt daraus etwas hervor, zu dem sich übers Wochenende locker 300.000 Wallfahrer anpirschen.

Die Weltzentrale ist in die unberührte Natur von Fuschl hineingeschlagen, von der Führungsetage aus gibt es einen ungebrochenen Blick auf den See, der als Kunstimitat rund um das Areal gezogen ist, wie ehemals Wassergräben um eine Burg.

Wo in Rom vielleicht Weltkünstler wie Michelangelo am Werk gewesen sind, war es in Fuschl jener Weltkünstler aus Osttirol, der schon Hollywood-Legenden mit seinen über- und unmenschlichen Tierdarstellungen beglückt hat. Wie bei allen Aufsteigern üblich, ist Gigantomanie und geistige Kleptomanie gefragt, die Figuren frönen einem Retro-Realismus, indem sie die Wörter Bulle und Bronze zu einem inzwischen abgekühlten Lava-Haufen verschmelzen.

Die Bronzen zu Fuschl umrahmen die Weltzentrale, wie es sonst Flaggen und Lichtshows bei Regionalereignissen tun.

Und jetzt kommt das Glaubensbekenntnis:

Jeder kann mitmachen, alle sind gleich, alle haben Fun, wenn sie nur das eine tun, nämlich dem Dosengott zu opfern.

Längst stehen auf Nepalesischen Pässen, wo Fuhrwerker früher Gebetsfahnen in den Wind gehängt haben, Dosenbatterien und feuern ununterbrochen das berühmte Tschiepp ab, das die Glaubenden vereint.

An jeder Tankstelle ist neben der Zapfsäule der Dosenkasten aufgestellt, ein leises Geräusch, und du bist wieder voller Energie, während die Scheinwerfer dich beim Scheibenputzen anglotzen.

Solltest du einmal nicht wissen, was Dosen-Sache ist, schau in den Sender, sag Servus zu ihm, während er dich mit alten Aufnahmen aus der Kindheitslandschaft beglückt. In der Gegenwart sind solche Aufnahmen nicht mehr möglich, weil das Land längst von einem Schleier aus leeren Dosen überzogen ist.

Mach mit! Jeder kann Feel-Good haben, wenn er sich eine Dose aufreißt! Mach mit beim Vermüllen der Erde, und die Arbeit wird dir leicht fallen, sogar die Schule wird zum Fun!

Und am Wochenende erst!
Tschliepp! – Es ist wie steifer Sex, nur eben aus Aluminium!

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Schreibe einen Kommentar