Print Friendly, PDF & Email

Helmuth Schönauer
Geschmeidige Verfassungen
Stichpunkt

1.
In diesem frisch ausgerufenen Herbst musste der Bundespräsident wieder einmal ausrücken. Er durfte seinen schönen Satz von der geschmeidigen Verfassung zitieren und konnte so eine Regierungskrise abwenden.

Zur gleichen Zeit stellte in Polen ein Höchstgericht das polnische Recht über das EU-Recht, was in der „Krone“ jemand mit dem Zünden einer Atombombe verglichen hat. Und im Norden Europas wurde an diesem Tag der Friedensnobelpreis an Journalistinnen in Russland und auf den Philippinen verliehen, die in Ländern jenseits einer demokratischen Verfassung unter Lebensgefahr schreiben.

2.
Jeder, der einmal beim Bundesheer angelobt worden ist, fragt sich an solchen Tagen, ob und wie das Formular der Republik Österreich noch in Betrieb ist, auf das er seinerzeit in den 1970ern mangels der Möglichkeit zum Zivildienst seine Unterschrift gesetzt hat. Die Republik und ihre Verfassung sind ja unverrückbar auf ewig gemacht, ein Scheitern will sich niemand vorstellen.

Wenn jetzt weltweit die kaputten Staaten (Failed States) zunehmen, erhebt sich die Frage: Können sich Länder wie Österreich mit einer starken Verfassung gegen den Untergang schützen? ‒ Natürlich nicht.

Die Verfassungen nämlich passen sich entweder der Realität an oder sie werden außer Kraft gesetzt. Noch nie hat eine Revolution oder Katastrophe angesichts der Verfassung kehrtgemacht und sich friedlich aus dem Land vertschüsst.

3.
Über die Österreichische Verfassung schwärmen mittlerweile nicht nur der Bundespräsident, sondern auch alle Fans einer dynamischen Rechtsprechung. Sie regelt zumindest am Papier alles, was ein Zusammenleben erfordert, solange ihre Anwender nicht allzu kreativ in der Auslegung werden.

Jenseits von Tages-kriminellen Machenschaften droht der Verfassung fürs erste eine Gefahr von innen her. Österreich schiebt alles, was es nicht erledigen kann, in die Verfassung ab. Legendär ist immer noch das Wirken des sagenhaften Austro-Khols, der Gott in der Verfassung sehen wollte und zurecht als Sympathisant einer katholischen Scharia zurückgepfiffen worden ist.

Die andere Gefahr entsteht aus der Wirkungslosigkeit der Anwendung. Wenn sich jemand über die übliche Rechtsprechung hinwegsetzen kann, weil er beispielsweise das Asylrecht stärker anwendet als die Verfassung dies vorsieht, droht ein Problem, das unaufhaltsam zu einem Failed State führt. Wenn nämlich jemand gültiges Asylrecht bricht, indem er sich weigert,  zur Kenntnis zu nehmen, dass er abgewiesen wurde, wird solches Abschütteln von Rechtskraft auch auf anderen Gebieten Schule machen. Und dann haben wir das Problem einer destabilisierten Gesellschaft, wo diverse Gruppen sich mit Gewalt Gehör verschaffen.

4.
Einen optimistischeren Weg, weil mit anderen Rechtsunterlagen, wählt Deutschland auf dem Weg zum Scheitern als Staat. Deutschland hat eine Utopie als Verfassung: das Grundgesetz! Darin wimmelt es nur so von moralisch hochstehenden Sätzen. Manche glauben sogar, man könne mit dem Grundgesetz die Physik aushebeln. Weltweit strömen daher Menschen in dieses Wunderland, berufen sich auf das deutsche Grundgesetz und verlangen nach Asyl.

Auch in diesem Fall steht das sogenannte Menschenrecht über der Verfassung. Und schon jetzt befürchten manche, dass vor lauter Humanismus aus Deutschland ein Katastrophenstaat zu werden droht. Wenn man sich überlegt, wie dort Flutkatastrophen, Migrationswellen oder Corona gehandelt werden, glaubt niemand mehr, dass dieser Staat, selbst mit einer neuen Regierung, seine Bürger  schützen wird.

Während man in Deutschland vor lauter Föderalismus nicht einmal eine Impfordnung zustande bringt, exportiert man aber das Grundgesetz in alle Welt und verlangt mit sanftem Druck durch die Bundeswehr, dass auch in Kabul oder Bamako deutsches Recht anwendet wird.

Unterstützt wird der bewaffnete Einsatz durch Belehrungen Intellektueller, die der ganzen Welt vorschreiben, wie sich die Menschheit zu entwickeln hat. Sie erstellen über jeden Winkel der Welt Dossiers, die sie freilich oft nicht verbreiten können, weil die von oben herab Angesprochenen am Rand der deutschen Welt oft nicht einmal ein Internet haben.

5.
Dass am Kontinent etwas mit der Vernetzung der geschmeidigen Verfassungssysteme nicht stimmt, machten jüngst zwei Länder der EU klar. Großbritannien ist aus dem System EU ausgetreten, weil seine Realität eine Neuordnung der diversen Rechtsansprüche verlangte. Nicht umsonst reagiert die hinterbliebene EU hysterisch, weil sie sieht, dass man britisch reagieren muss, will man den Staat gerüstet an die neuen Herausforderungen heranführen.

Und die Schweiz hat klugerweise den Verhandlungsmarathon mit der EU beendet, weil sie sonst ihre ungeschriebene Verfassung hätte wegschmeißen müssen. Das Volk als Souverän wäre nämlich von den humanistischen Feel-good-Ideen Brüssels ausgehebelt worden. Selbst dem ökonomisch so schlauen helvetischen Volk ist der ins Haus stehende Papierhumanismus zu viel geworden.

6.
Wenn demnächst der nächste Asylschub wieder illegal ins Land mit der geschmeidigen Verfassung eingedrungen ist und sich mit Berufung auf europäisches Asylrecht über die österreichische Verfassung hinwegsetzt, wird es für vereidigte Bundesheerler Zeit, eine Stelle zu suchen, wo sie ihren Eid zurückgeben können.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Schreibe einen Kommentar