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Helmuth Schönauer
Ein Image-Solitär klagt.
Stichpunkt

Jeder Wirtschafts-Cluster benützt interne Regularien und Spielregeln, die nur dann in den Fokus der Öffentlichkeit gelangen, wenn sich Gerichte damit befassen. Solche Gerichtsverfahren stellen oft den ersten Kontakt zwischen den jeweiligen Blaseninsassen und dem sogenannten trivialen Publikum her.

In der „Skindustrie“ (der Terminus ist aus Schi und Industrie zusammengesetzt) ist noch lange nicht alles Skurrile ausgereizt, obwohl wir das Ding mit dem Schnee schon seit Jahrzehnten industriell betreiben. Meist begnügen wir uns mit Bildern von maschinell gestalteter Gefriermasse, bewegenden Menschenmengen im Hüftschwung und prostenden Après-Typen, die ihr Afterwork-Bier in die Kamera halten.

Dahinter stecken freilich auch Werbestrategien, Designbüros und gestylte Gesichter, die zu Markenzeichen ikonisiert worden sind.

In den letzten Wochen wird jedenfalls ein ungewöhnlicher Arbeitsprozess vorbereitet. Dabei geht es darum, ob ein ehemaliger „Ischgl-Guru“ aus der Marketingbranche überhaupt zu Lebzeiten gekündigt werden darf.

Was auf den ersten Blick ausschaut, als würde ein pragmatisierter Schi-Beamter vor der Pensionierung zwangsruhiggestellt, ist in Wirklichkeit viel skurriler.

Der besagte Schi-Guru behauptet nämlich, er sei ein Marketing-Solitär und als solcher nicht vermittelbar, wenn er seinen Job verliert. Längst nämlich sei sein Gesicht zu einer Marke geworden, das mit dem Geschäftsmodell Ischgl zu einer Einheit verschmolzen sei.

Sollte das Gericht zur Ansicht gelangen, dass ein Angestelltengesicht zu einer Marke werden kann, hätte das unglaublich aufregende Folgen für jeden von uns.

Für den Ischgler Marketing-Nachfolger würde es aber bedeuten, er müsste sein Gesicht umoperieren lassen, damit er in die Gesichts-Stapfen des Vorgängers schlüpfen könnte.

Aber auch der jetzige Kläger müsste sich wieder auf normal zurückoperieren lassen, will er noch einmal zu Lebzeiten einen Job antreten.

Für den Ort könnte es auch bedeuten, dass das Image kaputt ist, wenn sein Gesicht weg ist. Oder aber der Protagonist ist zurecht gekündigt worden, weil er die Marke zu Tode geritten hat, dann muss man erst recht einen Anti-Helden aufbauen, dessen neu ausgeschriebenes Gesicht das alte ersetzt.

Man vermag sich in der Aufregung gar nicht auszumalen, was es da noch für ähnliche Prozesse geben könnte.

Der Alt-Kanzler müsste sofort einen zusätzlichen Prozess anstreben, der nicht nur seine Unschuld beweist, sondern auch seine Arbeitsunfähigkeit, wenn er das Kanzleramt zu Lebzeiten verlässt. Nirgendwo auf der Welt wird er nämlich je einen Job kriegen, weil alle Kanzler zu ihm sagen, was immer er auch machen wird.

Ähnliches würde auch der Landeshauptmann-Stellvertreterfrau in Tirol widerfahren, sie ist als Marke so mit dem „Alten“ verschmolzen, dass sie nie mehr einen Job kriegt, wenn sie ihn nicht zur Seite hat.

Je länger man die Gesichtskataloge durchscrollt, umso mehr kommt man drauf, dass es sich um Ikonen handelt, bei denen Gesicht und Funktion verschmolzen sind. Ein Blick in Wikipedia zeigt, dass alle Porträtbilder untrennbar mit einer Funktion verbunden sind.

Nicht auszudenken, wenn Peter Handke plötzlich bei der Feuerwehr auftauchen würde, statt in der Literatur. So gesehen sind alle Schriftsteller unvermittelbar, was sie vermutlich dazu berechtigt, ständig Preise zu lukrieren, weil sie sonst nichts machen können.

Wenn der Ischgl-Guru seinen Prozess gewinnt, wird man ihn nicht nur wieder als Marketinggenie einstellen müssen, man wird auch die Schilder Ortsanfang und Ortsende mit seinem Gesicht ausstatten müssen, wobei das durchgestrichene Ortsende-Gesicht erneut Prozesse wegen Diskriminierung auslösen dürfte.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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