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Helmuth Schönauer bespricht:
Franz Schuh
Lachen und Sterben
Texte

Gar nicht wenige Wörter blühen erst dann zu einem vollen Sinn auf, wenn sie mit „und“ zu einem Paar verbunden werden. Lachen könnte man verbinden mit Schnäuzen, Sitzen, Hyperventilieren – und es ergäbe einen tiefen Sinn. Das gleiche gilt für Sterben, dem Lieblingswort der Österreicher. In einer die Persönlichkeit erweiternden Übung kann jede Sterbefachkraft selbst überprüfen, wie er oder sie es gerne hätte: Zum Beispiel „Gendern und Sterben“!

Franz Schuh hat die beiden Wörter Lachen und Sterben deshalb miteinander verbunden, weil sie in seinen Texten häufig vorkommen. Das hat damit zu tun, dass er sich als „Literaturphilosoph“ vor allem mit österreichischen Denkern auseinandersetzt, was ja eigentlich ein Widerspruch ist. Und weil er als deklarierter Wiener den Umgang mit dem Sterben in allen Denkfacetten kennt, bis hin zu dem gnadenlos sarkastischen Satz: „Jeder Trottel derstirbt es.“

Die äußeren Umstände des Autors, der fast ein Jahr in einem Rehazentrum verbracht und dabei einen autarken Lockdown hingelegt hat, lassen vermuten, dass die beiden Begriffe Lachen und Sterben stark miteinander zu tun haben, wenn man sich der Kante des Todes nähert.

Ein Philosoph ist immer an dieser Kante, weshalb er auch immer zum Scherzen aufgelegt ist. Die erste Hauptaussage des Franz Schuh ist freilich „Lachen und Sterben. Punkt“. Der Punkt gehört unbedingt zum Titel, ist er doch so etwas wie eine Genre-Bezeichnung.

Die knapp vierzig Texte tragen Elemente von Essay, Lyrik, Notiz, Protokoll, Porträt oder Meditation in sich. Allen gemeinsam ist, dass sie mit einem Thema jäh und ungefragt einsetzen und dieses unkonventionell zu Ende bringen. Das Ende ist dann wieder genauso überraschend wie der schon wieder vergessene Anfang, sodass man als Leser gefordert ist, jenen entscheidenden Denk-Gap zu finden, an dem das Beschriebene in eine Conclusio übergeht. Lachen und Sterben haben übrigens keine Conclusio, was sie so breit einsetzbar beim Denken macht.

„Die Philosophie ist einerseits eine altehrwürdige Disziplin, derer sich andererseits, wie undiszipliniert auch immer, kaum ein Mensch enthalten kann. Das heißt: Alle philosophieren gelegentlich.“ (170)

Das Vorspiel zu den Überlegungen von den letzten Dingen heißt simpel „2020“ und erklärt, dass eine Quarantäne durchaus Vorteile haben kann und man keinen Mantel braucht, in den man sich jedes Jahr mehr hineinzwängen müsste, weil man wieder zugenommen hat. „Zum Trost ist draußen Frühling. / Manchmal scheint die Sonne, und es ist schon sehr warm.“ (8)

Die erste Geschichte hat etwas von einem Rondo an sich. Bei einem Leichentransport gibt es einen Unfall und eine Leiche rollt aus dem Van, der Sarg ist zertrümmert. Aber der Leichen-Driver handelt pietätvoll und packt das verstorbene Fleisch erneut in einen Reservesarg und bringt alles zu einem guten Ende. Diese Nachricht wird von mehreren Zeitungen aufgegriffen und je nach Blattlinie mit mehr oder weniger heftigen Wörtern ausgeschmückt. Das Lustige ist jedenfalls die Wiederholung, die Ballade vom Sargverlust lässt sich als Abwandlung des Rondo-Modells lesen, „ein Hund kam in die Küche, und stahl dem Koch ein Ei“.

Ehe es um österreichische Literaten, Denkmuster und Lebensentwürfe geht, wird noch schnell der Tod besungen, vielleicht geht er weiter, wenn er dieses Gedicht hört. „Der Tod im Haus / lässt gar nichts aus. / Auf Stiege zwei / bricht er mein Herz entzwei. / […] / Das Haus ist abgerissen / Ins Gras sie bissen, / die Mieter daneben / in erschütterndem Beben. // Der Atem stockt. / Eine Tablette lockt. / Mit der Luft wird‘s eng. / Der Tod ist streng.“ (27)

An den Beispielen Elias Canetti, Karl Kraus und Rudolf Henz zeigt der Autor, dass es zum Formulieren schlagfertiger Gedanken durchaus Selbstbewusstsein, wenn nicht gar Eitelkeit braucht. Franz Schuh schwärmt davon, dass er selbst durchaus eitel ist, weshalb ihm auch unnachahmliche Formulierungen gelingen.

Das erhöhte Selbstbewusstsein äußert sich in der Literatur meist in drei Schattierungen, wie die drei Beispiele zeigen:
– Elias Canetti ist immer ein Bürger jener Stadt, in der er gerade eine Lesung hat. Manchmal vertut er sich auch und ruft sich zum Mitbürger der Nachbarstadt aus, sodass er sich schließlich deppensicher einen Weltbürger nennt.
– Karl Kraus verrät für eine gute Pointe jeden. Zwar gilt er als der schrille Aufdecker von Floskeln, aber in der Hauptsache ist er ein Zusammentragender, kein Neu-Formulierer. Die letzten Tage der Menschheit sind ja ein kollektives Floskelwerk der österreichischen Intelligenz, wie er selbstbewusst vermerkt.
– Rudolf Henz schließlich, der aus Göpfritz gebürtige Denker des Ständestaates, ist von sich so überzeugt, dass er das gleiche Gedankengut der Dreißiger Jahre im neu gegründeten Rundfunk der zweiten Republik als Programmdirektor umsetzt. Hauptsache, es ist von mir, soll sein Programm gewesen sein.

Die Porträts der Wienerischen Denkfabrik behandeln unter anderem Helmut Qualtinger, Heinz Conrads oder Lukas Resetarits. Je nach Tagesverfassung geht es dabei mehr um das Sterben als das Lachen.

In einem philosophischen Ausflug kommt auch der Meister Johann Nestroy vor, er wird im Porträt als Höhepunkt der Weltsatire gefeiert, durchaus mit dem Hintergrund, dass man über ihn außerhalb von Wien nichts anfangen kann. (Seit ein Wiener Intendant in den sechziger und siebziger Jahren am Tiroler Landestheater Tag und Nacht Nestroy gespielt und als einziger darüber gelacht hat, steht Nestroy in Tirol für Generationen auf verlorenem Lachposten.)

Die Leser empfinden vielleicht jene Texte als wichtig, die der Autor eher beiläufig formuliert hat, wie jenen melancholischen Eintrag über „seine Kaserne“, die wie alles in Salzburg an einen Getränkedosenkonzern verkauft worden ist. Bis zu ihrem Verkauf hat er das Bundesheer lästig, aber interessant empfunden. Nach dem Verkauf freilich muss er feststellen, dass alles am Bundesheer sinnlos ist.

Obwohl das Lachen nur selten mit dem Witz zu tun hat, wird man zwischendurch vom eigenen Gelächter geschüttelt, wenn es etwa heißt: „Warum interessiert die Österreicher prinzipiellerweise das Schifahren?‒ Weil es schnell bergab geht!“ (70)

Das Kompendium wird abgeschlossen mit einem Lesetheater über den Todesengel. Hier ergeht es einem wie jenem Musiker, der gerade kein Instrument in der Hand hat und merkt, dass er nur theoretisch Partituren lesen kann.

Eine Chance haben beim Lachen und Sterben ohnehin nur die kurzen Sachen, denn es muss schnell gehen. In einem Gedicht trägt der Vater einen Herzschrittmacher, damit er auf diesen aufpassen kann. Dennoch passt er eines Tages nicht auf und der Vater stirbt.

Franz Schuh: Lachen und Sterben.
Wien: Zsolnay 2021. 329 Seiten. EUR 26,80. ISBN 978-3-552-07229-9.
Franz Schuh, geb. 1947 in Wien, lebt in Wien.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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