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Helmuth Schönauer
Zwei alte weiße Schriftsteller auf Lesetournee
Stichpunkt

Wenn man so den Veranstaltungskalender durchblättert oder die Angebote für Buchpräsentationen durchstöbert, gerät man nur mehr selten an jene Spezies von Autoren, die früher massenhaft den Literaturbetrieb bevölkert hat.

Es sind diese komischen weißen alten Männer, deren Porträts oft wie bei Walther von der Vogelweide ausschauen, das heißt, sie stützen das Kinn mit dem erschlafften Handrücken der Schreibhand.

Dennoch sind sie, aus welchen Gründen auch immer, im Ruhestand noch auf Tournee, und haben täglich mit zwei Hindernissen zu kämpfen:

a) sie müssen sich dem Vorwurf stellen, dass es uncool ist, in diesem Alter noch immer als Mann aufzutreten.
b) sie müssen sich angesichts immer leerer werdender Lese-Lokale fragen, wo denn das Publikum geblieben ist.

Häufigste Antwort: Das Publikum ist mit den Autoren alt geworden und hat keinen Bock mehr, deren Schreibe zu lesen.

Und Autoren und Publikum sind sich mittlerweile einig, dass sich der Literaturbetrieb laufend verändert. Das ist schon seit Jahrzehnten so. Und klug ist, wer diese Veränderungen ohne Nostalgie zur Kenntnis nimmt.

Die Hauptfrage nach dem Sinn des Schreibens beantwortet sich ohnehin von selbst: Wenn Publikum und Autoren durch Lesen und Schreiben immer klüger werden, gibt es hoffentlich in der Biographie der Menschen einmal jenen Punkt, wo der Autor alles gesagt und der Leser alles gelesen hat.

Im Literaturbetrieb geht es also seltener um Wissensvermittlung, sondern um Unterhaltung und Zeitvertreib mit intellektuell gestalteten Spielkarten.

Der Hauptgrund, warum alte Männer auf Lesetournee gehen, ist also der gleiche wie bei den Rolling Stones. Man will einfach dem Publikum augenzwinkernd zeigen, dass man Gestus und Vokabular aus Jugendtagen noch nicht vergessen hat.

Im Frühjahr 2024 sind aus diesem Grund unter anderem der Politologe Herfried Münkler und der Moralist Michael Köhlmeier auf Lesetournee. Beide eint, dass sie von öffentlich rechtlichen Sendern hofiert werden. So ist der eine Dauergast für politische Analysen in Deutschland und der andere Dauerredner bei Festivals und Märchenstunden in Österreich.

Die Öffentlich Rechtlichen generieren als Monopolisten die Themen, Thesen und Theorien und lassen diese dann mit entsprechend angeheuertem Personal in Sendungen abarbeiten.

Naturgemäß tauschen sie sich untereinander aus, Herfried Münkler darf dann im  ORF zum Obermoralisten Wolf, Michael Köhlmeier zur ARD, wo die Zuversicht sendefertig in der Tagesschau sitzt. (Ingo Zamperoni: Bleiben Sie zuversichtlich!)

Für das Frühjahr sind von den Monopol-Animateuren zwei Themen ausgerufen worden, die möglichst mit Moral abgearbeitet werden müssen.


1. Die rechte Gefahr

Wie bei der Henne und dem Ei lässt sich nicht mehr sagen, wer zuerst da war: der Rechtsradikalismus oder die Warnung davor. Jedenfalls wird viel gewarnt, gedeutet und gedroht.

Ein ideales Feld für Demokratieforscher also, die endlich Grundgesetz oder Verfassung erklären können, deren Sinn an manchen Tagen als verschollen gilt.
Ein exzellenter Demokratieforscher ist zweifellos Münkler, dessen Thesen sich mit einem klugen Satz zusammenfassen lassen:

Die Demokratie arbeitet mit Entschleunigung, indem alles erklärt, abgewogen und für eine Mehrheit austariert wird. Die Autokratie suggeriert schnelles Handeln, das aber im Symbolismus und später in Gewalt endet.

Münkler erzählt das alles mit charmanter Rhetorik, als wolle er der Demokratie einen Heiratsantrag machen. Aber wie bei Heiratsanträgen üblich, kommt meist nur ein Antragssteller zum Zug, die anderen fühlen sich abgewiesen.

Wenn also der Politologe charmant der Demokratie einredet, dass sie die Schönste ist, so bleibt uns Hässlichen diese Schönheit versagt, wir müssen uns wohl oder übel mit mieseren Regierungsformen begnügen.

Zum Beispiel müssen wir uns etwas suchen, das gegenüber dem Migrationsunbehagen eine bessere Lösung verspricht als das bloße Warten auf das Jenseits. Da könnten wir ja wieder zur Kirche zurückkehren, wenn das die Lösung ist.


2. Der Irrtum Lenin

Lenin wird dieser Tage hundert Jahre tot sein, aber niemand weiß so recht, ob das was Gutes oder Schlechtes ist.

Zumal die ehemaligen Wissens-Monopolisten aus dem linken Spektrum selbst ins Wanken geraten, ob das wirklich was Sinnvolles war, was Lenin da aufgeführt hat.

Einer dieser Zweifler ist Michael Köhlmeier, der bei kleineren, sprich österreichischen Problemen immer genau weiß, was ethisch gut oder schlecht ist.
In seinem neuen Roman Das Philosophenschiff, im Volksmund bereits Lenin-Kutter genannt, kommt es nach der russischen Revolution zu einem Exodus an Intellektuellen, die gleichermaßen gezwungen wie freiwillig aus St. Petersburg flüchten. Auf eines dieser Boote flieht schließlich sogar Lenin selbst, womöglich vor seinen eigenen Thesen.

Diese faszinierende Installation von historischen Artefakten ermöglicht es Köhlmeier, auf hohem Niveau zu schwadronieren – ein wunderschöner Hirnwixer-Roman entsteht.


Und da setzt das Problem ein.

Muss ich, wenn ich die Spielanleitung verstanden habe, als erfahrener Leser den ganzen Senf Zeile für Zeile aus der Tube drücken?

Der Auftritt der beiden Schriftsteller Münkler und Köhlmeier beweist einmal mehr, dass es nicht auf das Buch drauf ankommt, sondern auf die Promotion zu einem Anlass.

Es wird in Zukunft genügen, einen guten Prompt ( = KI-Anleitung) zu setzen, der auf ein Jubiläum oder eine Stimmung Rücksicht nimmt. Das Buch schreibt dann die KI wie von selbst. Und für die Promotion muss ich mich in einen Öffentlich Rechtlichen hineinzwängen, dann ist die Tournee perfekt.

Ab einem gewissen Alter besteht die Kunst des Lesens darin, inszenierten Büchern aus dem Weg zu gehen. Kein Wunder, dass viele erfahrene Leser auf Bücher in der Vergangenheit zurückgreifen, indem sie sich in deren Schönheit selbst inszenieren.

Michael Köhlmeier: Das Philosophenschiff. Roman.
München: Hanser 2024. 224 Seiten. EUR 24,70. ISBN 978-3-446-27942-1.

Herfried Münkler: Die Zukunft der Demokratie. Wien: Brandstätter 2022. 200 Seiten. Euro 20,00. ISBN 978-3-7106-0651-9.

Herfried Münkler: Die Welt im Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert. Rowohlt Berlin. 528 Seiten. 30,84 Euro. ISBN 978-3-7371-0160-8

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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