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Helmuth Schönauer bespricht:
Dietmar Füssel
Der Verklärte
Groteske

In Denksphären mit mannigfaltigen Spielregeln sind die verwendeten Begriffe oft labil wie Quanten, sie können zu Beginn eines Satzes etwas anderes bedeuten als an dessen Ende. 

Vor allem Theologie und Literatur werden diesem Metier zugerechnet, dessen Protagonisten oft als Schwurbler auftreten. Die Sprache hält für diese Geschichten exquisite Begriffe parat, die wie Leitpflöcke den Diskurs durch den Nebel führen. – Der Verklärte ist so ein Begriff.

Dietmar Füssel, längst eine Marke für groteske Geschichten, lässt den erfolglosen Schriftsteller Didi F. als Prototyp für eine Heilsgeschichte sterben. Er wird in provinzieller Manier von einem Lokalpolitiker überfahren, der Fahrerflucht begeht. Erbärmlicher kann man als Dichter nicht untergehen.

Freilich gewinnt der Held dadurch einen neuen Status: er wird ein Verklärter. Scheinbar unversehrt und schmerzfrei schaut er von außen auf sich selbst, er ist unsichtbar und weist keine Materie mehr auf. Ein herbeigeeilter Schutzengel erklärt ihm, dass sein Zustand den Bildern eines Filmes gleicht: sie sind da, aber nicht greifbar. Zur Bestätigung geht der Verklärte auf den Bahnübergang und durchschreitet den durchfahrenden Zug, der nichts von seiner Existenz mitkriegt.

Der Verklärte muss sich in Folge auf einen Prozess vorbereiten, in dem seine bisherige Lebensleistung beurteilt wird. Vermutlich wird er in einer neuen Existenz als Maus oder Spinne ein nächstes Leben absitzen müssen, denn beiden Lebewesen hat er wissentlich geschadet.

In der Wartezone sind quasi alle Lebewesen von der Steinzeit an versammelt. Ein ehemaliger Tundra-Jäger, der noch auf das Mammut losgegangen ist, wirkt besonders frustriert, dass der ewige Lebenszyklus kein Ende hat.

Im Vorraum des hohen Gerichts gibt es keine Sprachbarrieren, jeder kann sich mit jedem verständigen, aber der Inhalt ist dennoch sinnlos. Ein Cocktail wird herumgereicht, der die Erinnerungen ankurbeln soll. Und dann kommen die zehn Paragraphen über den Sinn des Lebens zur Verteilung. Sie bilden das Fundament der Verhandlungen und nennen sich Seelenordnung: darin sind das Verhältnis der Lebewesen untereinander und ihr Abstand zum Sinn des Lebens geregelt.

Der Verklärte lässt die Seelenordnung auf sich einwirken und kommt als ehemaliger Schriftsteller zum Schluss: Es gibt kein Ziel. Der Weg ist kein Ziel. Es gibt keinen Weg. Der Anfang ist kein Weg. Es gibt keinen Anfang. Das Ende ist kein Anfang. (36) Im Grunde genommen bereute er sogar sein gesamtes Leben als Didi F., in dem keine einzige seiner hochgesteckten Erwartungen sich erfüllt hatte. (38)

Im Prozess werden ihm dann Dinge vorgeworfen, die er schon längst vergessen hat. Eine Maus soll gekränkt worden sein, indem sie unter falschem Vorwand getötet wurde. Freilich trägt auch die Maus eine gewisse Teilschuld für ihren Tod, da sie sich am Speck des Schriftstellers zu früh vergriffen hat, statt zu warten, bis er in eine Mausefalle als Lockmittel ausgelegt wurde.

Solche Spitzfindigkeiten begleiten wie jeden Prozess das Verfahren um den Verklärten. Ihm dämmert allmählich, dass der Aufenthalt in der Wartezone ewig dauern könnte.

Auch bei diesem jenseitigen Gerichtsurteil geht es in die Berufung. Die Strafe fällt schließlich desaströs aus: Weitermachen als Lebewesen!

Der Verklärte hat allerhand Religionen studiert, unter anderem den Buddhismus, dessen existentielle Endlosschleife ihn schon öfters beunruhigt hat. Die Religionen scheinen alle ausweglos zu sein, wenn es um die letzten Dinge geht.

Da greift der Schriftsteller auf seine Erkenntnisse als bedeutungsloser Autor zurück. Immer wieder hat er die Literatur nämlich als sinnloses Unterfangen ausgemacht, aus dem es kein Entrinnen gibt. In einer Replik fasst er das Desaster zusammen:

Weder gibt es das Paradies noch gibt es kein Paradies. / Weder gibt es ein Gesetz noch gibt es kein Gesetz. / Weder gibt es eine Gerechtigkeit noch gibt es Gerechtigkeit. (61)

Dietmar Füssel schließt mit seiner Groteske an die Fabulierkunst von Erlösungsgeschichten an. Sein Verklärter schafft es weder zu Lebzeiten noch nach dem Tod zur Ruhe zu kommen. Er hat sich nämlich das falsche Metier ausgesucht – die Schriftstellerei.

Dabei ist der echte Schriftsteller Dietmar F. gerade vom Glück gestreift worden:

Während meine Mony und ich gerade am Cover dieses neuen Buches arbeiteten, erlitt ich nämlich ohne jede Vorwarnung eine Gehirnblutung, die ich nur dank einer perfekt funktionierenden Rettungskette überlebte. Andernfalls wäre ich jetzt sogar selbst schon ein ‚Verklärter‘.

Dietmar Füssel: Der Verklärte.
Waging am See: Liliom Verlag 2023. 62 Seiten. EUR 15,-. ISBN 978-3-96606-034-9.
Dietmar Füssel, geb. 1958, lebt in St. Georgen im Attergau.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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