Print Friendly, PDF & Email

Helmuth Schönauer bespricht:
Elias Schneitter
Civetta
Erzählung

Das Kind kommt zum ersten Mal in die Provinzstadt und ist erschlagen von der Weite und Undurchdringlichkeit der Stadt. Es kann nur einzelne Wörter lesen und merkt sich „Resselstraße“, sollte es verlorengehen. Dort nämlich wohnen Bekannte. Aber oh Wunder, der Name Ressel geht ein Leben lang nicht mehr aus dem Kopf, er steht für Abenteuer, Sicherheit und Orientierung. Diese drei Dinge verspricht auch die Literatur, weshalb ein Leser immer Züge des Josef Ressel an sich hat, wie das erwachsene Kind eines Tages bemerkt.

Elias Schneitter trägt schon ein Leben lang die Geschichte des Josef Ressel ungelöst und voller Bewunderung mit sich herum. Lange sind seine Fragmente in diversen Schatullen und Kisten zur Ruhe gebettet gewesen, aber jetzt hat er seine gesammelten Alterskräfte aufgeboten, ist ins Technische Museum in Wien zu den Originalschriften gefahren und hat eine wundersame Erzählung geschrieben. Diese berichtet in der Verkleidung des Erfinders der Schiffsschraube letztlich davon, wie es einem in Österreich ergeht, wenn man seine privaten Erfindungen dem öffentlichen Geist, dem Kaiser, den Volksvertretern und der Beamtenschaft aussetzt.

Jede Biographie-nahe Partitur erzählt die Geschichte immer auf drei Weisen:
a) wie der Held als Dokument in den Vitrinen oder in Wikipedia liegt,
b) wie der Autor sich selbst verwirklicht, indem er das Leben eines anderen erzählt,
c) wie die Leser bei jedem Absatz überprüfen, wie intensiv ihre Lebensträume vom Helden ausprobiert und verwirklicht worden sind.

Josef Ressel (1793 – 1857) lebt also in ärmsten Verhältnissen, kann gut zeichnen und ist unheimlich neugierig. Er wird zweimal dem Kaiser vorgestellt, einmal erhält er ein zu kurz geratenes Stipendium für eine Forstschule, ein andermal wird er als Forstintendant ins Hinterland von Triest geschickt. Überall, wo er auftaucht, verbessert er die Welt, bis sie klar und logisch ist wie seine gestochen scharfen Zeichnungen.

Anlässlich einer Entkorkung einer Weinflasche kommt ihm die Idee, dass man das „Wasser anbohren“ müsse, um sich darin als Schiff fortbewegen zu können.

Obwohl er viele Erfindungen und Patente nachweisen kann, lässt sich nur mit Mühe ein Probelauf für diese Idee durchführen. Das Schiff für das Experiment heißt Civetta und löst zumindest für ein paar hundert Meter große Aufmerksamkeit aus. Zwar funktioniert bei der Welturaufführung die Schiffsschraube bestens, aber der Dampfkessel explodiert. Und wie üblich reden alle nur vom misslungenen Teil und niemand vom geglückten.

Das Patent verfällt und überall auf der Welt setzen sich Schiffsschrauben durch. Erst als in einem Wettbewerb der Nationen ein spätes Rennen um den Erfinderruhm einsetzt, zeigt sich Österreich von seiner patriotischen Seite und unternimmt alles, um Ressel bekannt zu machen. Aber da ist es naturgemäß zu spät, denn in Österreich ist der Tod die Voraussetzung für Anerkennung. Zwar erfüllt der beamtete Ressel auch diese Vorschrift, aber er hat nichts mehr davon.

In dieser Geschichte, wie man sie aus den diversen Biographien für den eigenen Geschmack herauslesen kann, ist das bemerkenswerte Arbeitsleben des Elias Schneitter selbst verankert. Seine Erfindungen zeigen sich in mannigfaltig im Alltag verstrickten Geschichten, worin die fiktionalen Ressels die Hauptrolle des gewöhnlichen Zusammenlebens spielen. Jeder arbeitet an der Verbesserung seiner Welt und versucht, diese Entwürfe mit der Öffentlichkeit in Einklang zu bringen.

Die simple Frage eines Schriftstellers – wem gehören die Texte und was macht das Urheberrecht damit? – kommt an die Fragestellung Ressels heran: wer hat die Schraube erfunden? So wie im Falle Ressels machen auch in der Literatur nicht jene das Geschäft, die eine Sache gut erfunden haben, sondern jene, die am schnellsten damit auf den Markt gerannt sind.

Die Erzählung Civetta beleuchtet so nebenher das Wesen eines guten Beamten, der seine individuellen Bedürfnisse zurücksteckt im Dienste der Allgemeinheit. In grotesk wirkenden Episoden zeigen sich Unschlagbarkeit und Unsterblichkeit des Vollblut-Beamten. Als Ressel einmal überfallen wird, trennt er sich anstandslos von seinen Wertgegenständen, verteidigt aber sein Dienstpferd. Ihr würdet nicht weit kommen, denn das Dienstpferd ist bekannter als ich, sagt er den Räubern.

Dieses Hintanstellen der eigenen Identität führt die Behörden später ins Dilemma: Als eine Statue gegossen werden soll, weiß niemand, wie der Held ausgesehen hat. So ist man gezwungen, einen idealtypischen Erfindungsbeamten zu kreieren.

Die Erzählung endet mit einer Aufstellung der Dienstzeiten, man beachte die magische Ziffernfolge. 44 Jahre, 2 Monate und 22 Tage ist Ressel im Dienst gewesen und hat dabei die Welt verbessert.Die Parallelen zur Literatur sind unübersehbar, wie der Spruch der Österreichischen Beatniks zeigt: Die Literatur ist immer im Dienst.

Die dritte Komponente, die beim Lesen dieser Erzählung zur Ergriffenheit führt, ist die Möglichkeit, sich mit dem Helden zu identifizieren. In jedem von uns steckt ein Ressel, jeden Tag führen wir Versuche durch, die schiefgehen. Aber die Schraube funktioniert, es ist immer nur der Kessel, der in die Luft fliegt.

Niemand, der lesen kann, vermag sich nach so einer Geschichte der Auseinandersetzung mit seinem eigenen Lebensgeist zu entziehen!

Elias Schneitter: Civetta. Erzählung.
Zirl: BAES 2022. 100 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-9519872-9-3.
Elias Schneitter, geb. 1953 in Zirl, lebt in Wien und Zirl.
Josef Ressel, geb. 1793 in Chrudim, starb 1857 in Laibach.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Schreibe einen Kommentar