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Helmuth Schönauer bespricht:
Hannes Hofinger
Nasca-Healing
Roman

Der Tiroler Menschenschlag setzt sich generell aus jenen Elementen zusammen, die in touristischen Saison-Prospekten geoffenbart werden. Darin werden Begriffe hochgehalten wie: Schmalz, Almvieh, Brunft, Hormone, Schlitzohr, hinterfotzig, überirdisch oder bodenständig.

Ein Tiroler Roman muss das alles berücksichtigen, was ihn zum schwierigsten Genre der Literatur überhaupt macht.

Hannes Hofinger nennt sein Projekt des totalen Tirolromans „Nasca-Healing“. Dabei wird gekonnt eine Erzählstaffelei aufgestellt, die Unwahrscheinliches, Reales, Unwirkliches und Geträumtes in Gestalt eines Multi-Hybrids zum Ausmalen bringt. Die Genres Krimi, Schnulze, Romanze, Heimat- und Heiler-Roman sind dabei unauffällig ineinander gesteckt, sodass man bei jedem Umblättern irritiert wird, welche Dramaturgie nun schon wieder am Werk ist.

Der erzählte Rahmen geht auf eine religiöse Feier 225 n. Chr. in Peru zurück, als eingerauchte und narkotisierte Priester für die Nachwelt den Nasca-Kult kreieren, indem sie „bodenständig“ Linien in die Erde ritzen, die man zweitausend Jahre später noch staunend auf Luftaufnahmen ausmachen wird.

Der Sinn der Geoglyphen ist eine Orientierungshilfe für Priester in Trance. So wie später einmal in Krankenhäusern bunte Linien als Leitsystem auf Boden und Wände gemalt sind, damit man sich, von der Narkose erwacht, wieder zu seinem Bett findet.

Zumindest der Protagonist Michael ist auf dieses narkotische Leitsystem angewiesen, als er während einer schweren OP den stillgelegten Körper verlässt, einen frisch Verstorbenen trifft und feststellt, dass er mit einem Ellbogenritual die Wahrheit hinter der Wahrheit ausmachen kann. Während der Trance verwandelt sich sein Name zu Micheal, was ihm zusätzliche Erkenntniskraft verschafft.

Wieder erwacht erfreut sich Michael seines Lebens und wird erst später wieder an die transzendente Begebenheit erinnert, als er während einer Feldforschung zur Familiengeschichte mitten im Waldviertel plötzlich die Koordinaten von Jugendlichen sieht, die im Nebel verschollen sind. Die Einsatzkräfte sind völlig perplex, als sie am „geschauten“ Koordinatenort tatsächlich die Verschollenen finden und retten.

In einem ähnlichen Fall wird ein Graf „geschaut“ und des Mordes an seiner Gattin überführt. Die Ermittler sind begeistert, stehen aber vor dem Problem, das Übersinnliche mit forensischen Sinnen in Einklang bringen zu müssen. Wie in vielen solchen Fällen hilft Alkohol, der ja ein später Ausläufer der Nasca-Kultur ist.

Die übersinnlichen Fähigkeiten lassen sich leider nicht steuern, sie kommen, oder kommen nicht. Erst als Michael von zwei Frauen emotional und sexuell in die Zange genommen wird, scheint er mit seinen Übersinnen klar zu kommen. Lange nämlich führt er seine Visionen auf Spätschäden einer streng katholischen Erziehung und auf sexuelle Traumatisierung zurück.

Jetzt als spät erwachter Mann kommt es zur Klärung aller irdischen Dinge.
Eine lange Liebschaft mit Elke, einer Hippie-Bekanntschaft aus Frankfurt, nimmt ein jähes Ende, als sie an Krebs erkrankt, und er seine Heilkräfte nicht anwenden kann. Diese hat ihm nämlich eine neue Liebschaft abgesogen, als es darauf angekommen wäre. Die neue Frau vermarktet nämlich Michaels Seherqualität und baut ein esoterisches Imperium drum herum auf.

Am Schluss geht alles den Bach hinunter und die Nasca-Kultur löst sich in Luft auf. Der Held bricht sich beim Fotografieren einer entscheidenden Kult-Szene das Genick. Die Lebensfreundin wird vom Krebs geheilt, der Geschäftsfreundin hingegen zerrinnt das Kult-Geschäft.

So also ist das mit den Träumen in Tirol, lässt sich der Hauptplot zusammenfassen.

Ein Heldenleben ist freilich in unseren Breitengraden eingepflockt in abstruse Alltagsbegebenheiten, die das Leben als Trance erscheinen lassen. Als Fotograf ist Michael stets mit skurrilen Motiven und Inszenierungen konfrontiert. Beinahe peruanisch entrückt wirken ständige Almabtriebe für ein Publikum, das im Halbstundentakt aufgetrieben wird. Den ganzen Tag lang müssen die ewig gleichen einundzwanzig Kühe an verwelkten Touristen vorbei defilieren und gutes Muh zum bösen Spiel machen.

An anderer Stelle reißt sich eine Hormonjägerin Tag für Tag fette Beutemänner im Tal auf und bekocht sie anschließend mit Kaiserschmarrn auf der Alm, bis sie willig sind und alles Finanzielle mit sich geschehen lassen.

Umgekehrt verwechseln Angeordnete die Macht ihres Mandats mit einem sexuellen Freibrief und gehen bis zum Mord über, wenn sich die Beute wehrt oder sie gar verhöhnt.

Diese Alltagsgeschichten kommen wie die Chronikseiten einer Zeitung daher, man kann sich nicht dagegen wehren, sie geschehen einfach in einem Konglomerat aus falschen Träumen, verlogenen Bildern und schlechter Bildung.

Gerade diese Abscheu gegen Wissenschaft und Bildung macht ganze Landstriche anfällig für Aberglauben und Halbbildung. Da benebelt das sogenannte Granderwasser die Hirne ganzer Kohorten, die sich in Wellnesshotels tummeln. Ein Ermittler in einer heiklen politischen Sache, wahrscheinlich Mord aus sexuellen Motiven, bricht tatsächlich seinen Hotelaufenthalt im berühmten Stanglwirt ab, weil dieser keine brauchbare Bibliothek hat. Das ist noch nie passiert, dass jemand ein Hotel wechseln muss, weil es so ungebildet ist! Die Hoteliers sind fassungslos.

Als das Konzept von Nasca-Healing schließlich formuliert ist, stellt es sich als wertlos heraus, der Leser ist nämlich durch den gleichnamigen Roman bereits so aufgeklärt, dass er nicht mehr daran glaubt.

Das Faszinierende an Hannes Hofingers Universalroman ist sein idealer Verschnitt von Aberglaube, Trugschluss und Totalnarkose. Selten ist der Zustand der Tiroler Geschäftsmentalität so ulkig genau beschrieben worden.

Die Hauptübung des Nasca-Healing lässt sich übrigens ohne Einübung von jedermann anwenden: Ans Herz greifen und Ellenbogen raus!

Hannes Hofinger: Nasca-Healing. Roman.
Berlin: neobooks 2021. 173 Seiten. EUR 9,90. ISBN 978-3-7549-1469-4.
Hannes Hofinger ist Buchhändler, Verleger, Autor und Bibliothekar in St. Johann/Tirol.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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