Helmuth Schönauer
Auf der Veranda
Stichpunkt

Endlich wird unsere Oma auf die Veranda geschoben. Der begleitende Arzt sagt, wir sollen nur leise reden und heikle Wörter verschlucken. Und wenn sie uns fragt, wie es uns auf der Universität geht, sollen wir sofort ablenken und sagen, dass die Schilifte in Betrieb sind, das mag sie.

Meine Schwester und ich haben Anstellungen an verschiedenen Laboren. Sie arbeitet mehr mit Viren, ich mit abgebrochenen Pfeilspitzen, die seinerzeit die Römer im Land hinterlegt haben, damit wir was zum Forschen haben.

Unsere Oma war einmal Ministerin. Aber dann musste sie zurücktreten, weil man ihre Arbeiten als Fälschungen erkannt hat. Von diesem Rücktritt hat Oma sich nie mehr erholt. Sie ist auch in diverse Komata gefallen, ehe sie dann mit einer steirischen Heimat-Therapie halbwegs stabilisiert werden konnte. Aber der Rollstuhl geht nicht mehr weg. Das ist der Preis, wenn man aus einem hohen Amt gefallen ist.

Und im harten Cut geht es weiter. In der Dämmerung feiert Thomas Bernhard seinen neunzigsten Geburtstag auf einer literarischen Veranda.

Endlich wird er auf die Plattform geschoben, der begleitende Arzt sagt, wir sollen nur leise reden und heikle Wörter verschlucken. Und wenn er uns fragt, wie es uns auf der Universität geht, sollen wir sofort ablenken und sagen, dass die Schilifte in Betrieb sind, das mag auch er.

Meine Schwester und ich haben Anstellungen an verschiedenen Germanistik-Instituten, sie arbeitet mehr mit Lyrik, ich mit abgebrochenen Fragmenten, die seinerzeit die Dichter in Heimatarchiven hinterlegt haben, damit wir was zum Forschen haben.

Thomas Bernhard war einmal Burgtheaterdichter. Aber dann legte sich ein Schatten über ihn. Zuerst auf seine Lunge und später auf seine Lauterkeit.

Er musste in der Karriere innehalten, weil er seinen Ruhm auf Kosten des Wolfi Bauer erkauft hatte. Dem Burgtheater stellte er nämlich ein Ultimatum, dass er nichts mehr liefere, wenn man den Wolfi Bauer nicht vom Burgtheater entferne.

Von dieser Vernichtung hat sich übrigens Wolfi Bauer nie mehr erholt. Er ist in diverse Komata gefallen, ehe er dann mit einer steirischen Heimat-Therapie halbwegs stabilisiert werden konnte. Aber der Schmerz geht nicht mehr weg, das ist der Preis, wenn man aus dem Burgtheater gefallen ist.

Während wir noch versuchen, Thomas Bernhard irgendwie würdevoll zum Neunziger zu begegnen, hören wir, wie es hinter der Veranda raschelt. Die Germanisten bereiten den nächsten Geburtstag vor. Am 18. März soll Wolfgang Bauer zu seinem achtzigsten Geburtstag auf die Veranda geschoben werden. Mal sehen, wie der heuer beinand ist.

Info: Der Burgtheaterdichter Thomas Bernhard (*1931) hatte mit der Direktion die Abmachung durchgesetzt, dass keine Stücke des vormaligen Burgtheaterdichters Wolfgang Bauer (*1941) aufgeführt werden dürfen, damit das Publikum die einmalige Wirkung seiner eigenen Stücke nicht in Frage stelle.


Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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