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Helmuth Schönauer
Die vier Häute des Konsumtrottels
Stichpunkt

Wenn Werbung massiert auftritt, dann hat es meist etwas mit der Schwäche des beworbenen Produktes zu tun, oder es ist generell so sinnlos, dass es jeden Tag von neuem als sinnvoll vorgestellt werden muss.

Über den Produkten schwebt so etwas wie ein kollektiver Konsumgeist, der die Gesellschaft vage zusammenhält. Auch wenn du selbst vielleicht nichts kaufst, so musst du wenigstens wissen, dass es wer anderer kauft, der damit Glück erfährt.
Wenn sie dir einen Tag lang ein schlechtes Gewissen einreden, dann kaufst du vielleicht vor dem Schlafengehen noch etwas, damit endlich Ruhe ist.

Das Kaufen ist ein Wert an sich, egal, was du kaufst und um welchen Preis. In einer Kaufwelt musst du ständig einen Button im Auge haben, mit dem du etwas in den Einkaufskorb schieben kannst. (Der Löschbutton ist übrigens in allen Programmen sehr klein gehalten.)

Damit Werbung funktioniert, muss sie unter die Haut gehen. Der Mensch hat bekanntlich als Individuum vier Häute (Gewebe, Kleidung, Möbel, Wohnung), über welche die große Haut der Gesellschaft gespannt ist.

Die beworbenen Produkte lassen sich generell diesen Häuten zuordnen, selbst so abstrakte Werbungen wie jene über das Buch brauchen das haptische Erlebnis von Display oder Papier, damit man es an die Kundschaft bringen kann.

Als dritten Faktor neben Ware und Werbung braucht es schließlich noch den Konsumenten. Fachleute sagen Konsumtrottel zu ihm, weil er ja als Übertölpelter so tut, als erfülle er sich seine eigenen Wünsche, wenn er etwas kauft.

Für Leser, die noch etwas Eigenkraft im Hirn haben, hier ein kurzer Test, welcher „Haut-Typ“ man ist und worauf man am ehesten hineinfällt.


Die eigene Haut ist die erste Haut!

Hier kommt alles zum Einsatz, was man schmieren, ölen, spritzen oder sonstwie kosmetisch zuführen kann. Das Tattoo nicht vergessen! Und wenn man Gourmets glauben darf, ist die Zunge nichts anderes als ein interner Hautlappen, dem man ständig Reize zuführen muss. Die Werbung kann dich also auch beim Fressen und Saufen erwischen, auch wenn du eine reine Haut hast.


Die Kleidung ist die zweite Haut!

Wenn jemand eine schlechte eigene Haut hat oder ein missratenes Gesicht, lässt sich dieser Makel mit Kleidung übertünchen. Die Kleidung gilt dann als die zweite Haut.

Aber du kannst als Textilbranche noch so schleissig produzieren oder auf Kinderarbeit setzen, immer hast du das Problem, dass die Kleidung länger hält, als es dir lieb ist. Also musst du sie so gestalten, dass sie nach Einmal-Tragen hässlich wirkt.

Da du das Gesicht des hässlichen Konsumenten nicht austauschen kannst, musst du ihm eine Veränderung über die Kleidung schmackhaft machen. Du musst Tag und Nacht die zweite Haut bewerben. Vulgär übersetzt wird aus „Haute couture“ das simple „Hautschneiderei“.

Und wenn im Sommer die Menschen wenig auf der ersten Haut haben, musst du mit Accessoires werben: Täschchen, Ringe, Sticker, Head-Phones, Handy-Etuis: Der Mensch muss ununterbrochen an sich herumnesteln können, damit er seine eigene Schönheit fühlt.


Die Möbel sind die dritte Haut!

Zumindest in Österreich gilt die Möbel-Werbung als die lauteste, aggressivste und flächendeckendste. Egal wo du hinschaust, es grinst dich ein roter Stuhl oder eine blaue Matratze an.

Dazu gibt es unendliches Geschrei und Hektik, was eine österreichische Familie sofort an das eigene Heim denken lässt. In österreichischen Haushalten wird nämlich ständig geschrien und Krawall gemacht. Bei Gewaltexzessen gehen zudem viele Möbel verloren.

Den Konsumtrottel dort abholen, wo er wohnt, lautet das Werbekonzept. Deshalb schreit man wie zu Hause, in der Hoffnung, dass die Möbel gewechselt werden, damit es für ein paar Augenblicke ruhig wird.

Die Möbel gelten als die dritte Haut, seit sie häufig gewechselt werden, weil sie ja einem sehr kurz getakteten Zyklus unterliegen. Möbel sind heutzutage wie Unterhosen, sie beißen im Zwickel und nach fünfmal Draufsitzen sind sie kaputt.


Die Wohnung ist die vierte Haut!

Seit es keine Wohnungen mehr gibt, werden nicht einzelne Wohnungen beworben, sondern der gesamte Anlegemarkt. Die vierte Haut ist ein gnadenloses Spekulationsobjekt geworden, längst haben die Menschen ihre vierte Haut zu Grabe tragen müssen.

Wo sich früher Menschen informiert haben, ob es eine Wohnung gibt, die ihren geträumten Bedürfnissen entspricht, ist diese Information heute völlig auf Börsen-orientierte Werte reduziert. Damit der gewöhnliche Mensch nicht merkt, dass er vom Wohnungsmarkt ausgeschlossen ist, redet man ihm ein, dass die Möbel die Wohnung seien.

Merke: Je weniger freie Wohnungen es gibt, umso heftiger fällt die Möbelwerbung aus.

Der gute Konsumtrottel regt sich über das Spiel, das mit seinen Häuten getrieben wird, nicht weiter auf, weiß er doch, dass es auf die letzte Haut drauf ankommt: Sarg oder Urne!



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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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