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Helmuth Schönauer bespricht:
Norbert Gstrein
Mehr als nur ein Fremder
Vorlesungen, Vorträge und Preisreden

Ein großkalibriger Autor muss im gegenwärtigen Literaturbetrieb drei Kanäle speisen: Einmal muss er regelmäßig Werke liefern, die einer letztlich sehr engen EU-Norm entsprechen.

Zweitens muss er täglich seine Bereitschaft erklären, Preise, Stipendien und Uni-Auftritte zu absolvieren.

Und drittens muss er am Branding der eigenen Biographie arbeiten, die im Idealfall zu einem Mythos ausgerollt werden kann.

Norbert Gstrein füttert alle diese Kanäle professionell, wobei das Professionelle vermutlich darin besteht, dass er alles mit stiller Ironie absolviert. So ergibt sich bei seinen Büchern immer eine gewisse Irritation, wie ernst das Gesagte nun gemeint ist, und ob es nicht letztlich gar eine Verhöhnung des Publikums ist, wenn der Autor läppisch das erfüllt, was sich eine von Germanisten angeführte Freundesschar vage von ihm erwartet.

Mehr als nur ein Fremder fasst poetische Vorlesungen, Festvorträge zu Preisverleihungen, Nachworte zu Klassikerausgaben und Originalbeiträge zum Fremdsein geschickt zusammen, sodass ein starker Gestus von Roman spürbar wird.

Der Autor spielt in der obersten Liga, indem er nur große Preise annimmt, nur über Weltliteratur Kommentare verfasst, und seine Lektüre ausschließlich danach ausrichtet, dass sie für internationales Festpublikum aufgetischt werden kann.

Auf dieser großen Orgel spielt er an den Manualen internationale Literatur wie Franz Kafka, William Faulkner oder Thomas Mann, greift in die Tasten zum Thema verstecktes Afrika und tritt kurz in die Pedale unter dem Aspekt verlorengegangener Tiroler.

Fangen wir vielleicht mit den Fußtritten an, die sich als äußerst ironische Überlegungen an das Rollenbild eines heimatlosen Schriftstellers heranpirschen.

Der Autor entwirft zu Beginn eine Skizze über das Wunderkind, das er nie war. Zu diesem Zweck verkündet er die These, dass er auf der Suche nach seiner Kindheit nach Wyoming geflogen sei, um einen verschollenen Ex-Schirennläufer aus Tirol zu besuchen. Dieser öffnete ihm kurz die Türe seiner Blockhütte im Schnee und tat kund, dass seine Kindheit in Ordnung gewesen sei, denn es gab ja genug Schnee, so wie er ihn jetzt in Wyoming genieße.

Hinter dieser Geschichte könnte vage die Figur eines Osttiroler Olympiasiegers im Slalom stecken, von dem man bis zu seinem Sieg nichts wusste, und der nach dem Sieg auch sofort wieder im Schnee Amerikas verschwunden ist. In Lienz hat ihm der Alpenverein eine Zeitlang eine Pepi-Hütte gewidmet.

Ungefähr so könnte der Autor seine eigene Biographie in Auftrag geben: unbekannt bis zum Erstling, den er auf einem amerikanischen Campus während eines Mathematik-Stipendiums geschrieben hat, unbekannt zwischen jedem Roman, und seltsam fremd wie eine Figur aus Wyoming, wenn er zwischendurch in den Schnee vor dem Hotel des Großvaters im Ötztal zurückkehrt.

Gegen Schluss überschreibt Norbert Gstrein eine andere Skizze gar mit dem lachenden Hinweis: Für meine Biographen. Also wenn diese was brauchen, dann sollen sie jene Teile verwenden, die er ihnen jetzt mit dem Buch Mehr als nur ein Fremder zur Verfügung stellt.

In der Abschlussskizze bringt ein Autor, der gerade einen Gstrein-Roman verfasst hat, Rezensionsexemplare zur Post und trifft dabei auf prekär arbeitende Menschen aus allen Kontinenten, die jene Literatur als Paketdienste zustellen, die er soeben prekär arbeitend als Literatur verfasst hat. Der Titel heißt völlig zerzaust: Was du wolle. Damit ist eine schroffe Sprachbeherrschung ebenso konnotiert wie der aggressive Seufzer, was willst du überhaupt?

Irgendein Preis ist in Göttingen fällig, für den Autor stellt sich die Frage, wie kriegt er die Kurve von seinem Tun hin nach Göttingen. Als germanistischer Ideenblitz bietet sich der Mathematiker Gauß an, der die Gaußsche Kurve erfunden hat, während er in Göttingen dozierte.

Schon während des Studiums war dieser Gauß für den Mathematikstudenten Gstrein eine große Nummer, der er entgegen gelechzt hat, wie jetzt Gstrein-Fans ihm entgegen lechzen. Die Parallele zwischen Literatur und Mathematik ist bestechend, in beiden Segmenten braucht es Genies, Kult, Preise und Stipendien, in beiden Arbeitsfeldern steht das Unlösbare im Mittelpunkt, nur dass die Mathematiker eine klare Sprache dafür haben, während in der Literatur das Klare verpönt ist.

Man nehme nur das Geschwurbel her, mit dem die Literaturwissenschaft betrieben wird – an einer Stelle heißt es gar, jeder Autor sollte ein paar Semester Logik studieren, damit er sich wenigstens halbwegs ausdrücken kann.

Faulkner als Nobelpreisträger ist immer gut für einen großen Text. Im Kern des Buches (Mehr als nur ein Fremder, 117) leistet Gstrein ziemlichen Widerstand gegen den US-Starautor, dessen politische Haltung letztlich Rassismus gewesen ist. Seine Darstellung des amerikanischen Südens hätte man ihm schon zu Lebzeiten (1897–1962) nicht durchgehen lassen dürfen. Ein entscheidender Satz eines Süd-Helden lautet: Für was habt ihr eigentlich gekämpft? – Ich weiß es nicht. (121). Die Antwort wäre gewesen, weil wir die Sklaverei wollten.

Wenn Faulkner etwas falsch gedichtet hat und dies nicht mehr zu vertuschen war, schrieb man es dem Trinken zu, einer Grundvoraussetzung jener starken Schreibertypen, die in der Literaturgeschichte über Jahrhunderte verehrt werden.

Ab und zu legt Gstrein eine falsche Spur zu sich hin oder von ihm weg, je nachdem, was die Biographen und Preisauswähler im Schilde führen.

So besteht eine gute Chance, einen Roman halbwegs gelungen hinzukriegen, darin, dass man für ihn noch nicht das Letzte gibt, damit man sich nicht verkrampft. Wer das Letzte gibt, schreibt auch das Letzte. Daher immer ein paar Sollbruchstellen einbauen, an denen sich die Kritiker die Finger blutig kratzen können.

Ein überirdisch guter Erzähl-Streich ist Gstrein übrigens mit jener Figur gelungen, die eigentlich schwarz ist, aber von der nie als schwarzer Eigenschaft die Rede ist. Im Idealfall kann man also über die Hautfarbe so aufgeklärt und gelassen schreiben, dass niemand mitkriegt, welche Hautfarbe jemand hat. Und wenn es jemandem auffällt, so hat er vielleicht als Leser ein Defizit. Der Autor nämlich hat zur Umgehung der Ethno-Falle alles richtig gemacht, indem er nichts konnotiert, was ein ethnisches Reizwort beinhaltet.

Schalk, Selbstironie, humorvolles Abwinken dummer Vermutungen – Norbert Gstrein ist ein raffinierter Aufdecker blöder Rituale im Literaturbetrieb.

Ja, den Kafka hat er auch machen müssen, dienstlich sozusagen, wie man als Star in der Premier League ab und zu verdrossen eine Ecke treten muss. Gute Literatur sei jene, die den Literaturbetrieb überlebe. Kafka sei so einer, dem nach dem Tod der feierliche Tumult nie geschadet hat.

Norbert Gstrein könnte auch so einer sein, mehr als nur ein Fremder wäre er dann ein Überlebender.

Norbert Gstrein: Mehr als nur ein Fremder.
München: Hanser 2023. 192 Seiten. EUR 24,70. ISBN 978-3-446-27665-9.
Norbert Gstrein, geb. 1961 in Mils/Imst, lebt in Hamburg.


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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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