Helmuth Schönauer bespricht:
Fiston Mwanza Mujila
Tanz der Teufel
Roman
Orig.: La Danse du Vilain, Paris 2020
Manchmal erzählt sich ein Roman von selbst, indem er sich zu Beginn als Stück Landkarte zeigt, worin alles eine Stimme hat. Schon das erste Abtasten dieser Karte mit einem kalten Lesefinger lässt den Text aufwallen: Hier erzählen Hitze, aufsteigende Blasen, wabernde Lava, einstürzende Minen und aufgewühlte Menschen von der Geschichte der Kolonialisierung und um ihr Leben.
Fiston Mwanza Mujila, der schon lange in Graz lebt, ist etwas verrückt Schönes gelungen. Er hat mit „Tanz der Teufel“ einen österreichischen „Zaire“-Roman geschrieben.
Der brodelnde Kessel ist auf zwei Herdplatten in Angola und der Demokratischen Republik Kongo aufgestellt und heiß gemacht. Die einzige Information, die der europäische Leser aus dieser Konstellation ins Bewusstsein überleitet, ist ein Gefühl für unermessliche Größe, entkoppelte Peripherie, Dschungel und Bergbau und für ein eigenes Gesetz, das vielleicht über Musik verlautbart wird. Zaire ist dabei als kultureller Überbegriff zu verstehen.
Das Leben spielt sich meist in doppelter Dunkelheit ab, entweder unter der Erde beim Schürfen von Klunker, oder oberirdisch in der Nacht, wenn ganze Stadtteile zu einer einzigen Bar ausfluten. Wir haben die Straßen einkassiert mit Klebstoff, sagen die Kids, wenn sie voller Rhythmus durch die Nacht tanzen. Und andere sagen, das Glück ist ein Tier. „Die Nacht hatte die ganze Provinz gut im Griff.“ (29)
Im ersten Drittel des Romans reden alle durcheinander, Stimmen fallen Geistern ins Wort, und Geister bedienen sich der nächstbesten Stimme, die an der Bar herumsteht. Genaue Zuordnungen wären eine Reminiszenz an die Kolonialzeit, als plötzlich fremde Besatzer willkürlich Sprachgrenzen und nationale Fronten errichtet haben. Die Offenheit, mit der in der Gegenwart durch die Nacht getanzt wird, huldigt der entlarvenden Fragestellung:„Welche Nationalität hat der Sambesi? Oder gar die Donau, die durch zehn Länder fließt?“ (15)
Nachdem im Stimmengewirr ein paar Lebensschicksale aufgetreten sind wie Rollen auf einer fernen Bühne, entsteht allmählich ein vager Überblick über das Gebrodle, das sich außerhalb der Minen entwickelt.
Fast täglich gilt es einen Jungen zu begraben, den das Erdreich bei seiner Grabung verschüttet hat. Der Friedhof ist das Barometer der Stadt! (251) Hier kommen alle zum Vorschein, die der Gefährlichkeit des Lebens haben entkommen wollen, und bei der Trefferquote des Todes merken alle, dass das Leben wirklich gefährlich ist. Denn die gesellschaftlichen Schäden aus der Kolonialzeit sind mindestens so virulent wie jene aus dem Befreiungskampf. Und angesichts der Opfer der seltenen Erden kann man nicht von Freiheit sprechen, die Kolonialisierung hat bloß ihr Gesicht verändert.
Allmählich treten konkrete Erzähler in den Vordergrund. Da ist einmal die sogenannte Madonna, die angeblich in Japan geboren ist und nur weiß, dass sie an manchen Tagen die älteste Frau der Welt ist. Sie beherrscht nicht nur den Tanz und den darin eingeschlossenen Teufel, sie kann auch zaubern, rächen, Blutspuren legen oder verwischen. In ihr wohnt ein Geist, der mit den üblichen Erzählmitteln nicht befreit werden kann.
Daneben taucht öfters ein klassischer Ich-Erzähler auf, der die wirren Sachverhalte mit den Methoden eines rationalen Kommentators darlegt, sodass sich der Leser ab und zu wie in einem klassischen europäischen Roman fühlt.
Und als österreichische Karikatur und romantische Ironie taucht regelmäßig der Schriftsteller Franz auf, der in St. Pölten geboren und ausgewandert ist, um seinen Afrika-Roman zu schreiben. Aber obwohl er das Thema mehrmals geändert hat, bleibt sein Roman ein großer Zettelkasten, den er im Koffer herumträgt. Sein Vorbild ist die Wand von Marlen Haushofer, die er im Dschungel wiederzufinden gedenkt.
Am Schluss freilich nehmen ihm Kindersoldaten den Pass ab und stecken ihn ins Gefängnis, wo er einen herzergreifenden Schlusssong loswird.
„Die Augenlider / vom Klebstoff feuerrot / in ihren Träumen / Ozean weißglühender Bilder / tanzen sie / bis ihre Wirbelsäule bricht / den Tanz der Teufel“ (282)
Hinterlegt sind diese Erzähl-Kastelle mit allerhand Stimmen, die kurz ins Essayistische abschwenken, ehe sie wieder im Tanz aufgehen. So gibt es kluge Analysen, wie man einen Zairischen Mittelstand errichten könnte, wie die Geschichtsschreibung die Bezeichnung Zaire als Kulturbegriff verwenden könnte, und was man den Faustregeln vergangener Herrenwitze entgegensetzen muss, wenn diese die Parole ausgeben: Wenn der Weiße spricht, haben die andern zu schweigen.
Manche Szenen sind zeitlos im Diffusum angelegt. Als eine belgische Ärztetruppe wegen der Windpocken in die Dörfer kommt, blitzt das Misstrauen gegenüber den belgischen Schlächtern auch nach Generationen wieder auf, zumal sie auch noch andere Impfungen im Köcher haben. Der Mythos der Impfverweigerer erhält plötzlich historisch knallhartes Unterfutter.
Bald darauf bricht eine Epidemie aus, bei der alle ihre Geschlechtsorgane verlieren. (202) Diese Geschichte ist äußerst glaubwürdig, aber sie lässt sich schwer in einen logischen Kontext einordnen. Genau diese rationalen Schweißnähte aber machen den Roman „griffig“, weil das Dunkle immer noch im Dunkeln bleibt, aber dennoch eingeordnet werden kann in die vielen Lektüren, die wir über entlegene Kulturen schon einmal gelesen haben.
Die diversen Stimmen sind hin- und hergerissen zwischen einer kapitalistisch-rationalen Welt – „Das Geld verschwand, ohne dass welches nachkam.“ (52) – und einem stumpfen Empfinden, wonach sich eine ganze Generation „wie ein Haar in irgendwelcher Suppe“ empfindet, nämlich als zufällig hineingeraten und störend.
Und die aktuellen Kriegsherren berichten, dass das wirklich gültige Geld erst am Kriegsende auftaucht, sofern es jemals dazu kommen sollte.
Fiston Mwanza Mujila bringt mit einem ironischen Erzähl-Klaps beide Kulturen ins Gelächter. Den Helden des Teufelstanzes wird er gerecht, indem er ihren Visionen Ausdruck verleiht, den österreichischen Literaturhelden hält er einen Spiegel vor, indem er einen der ihren in den Erzähldschungel schickt, worin ihm kein subventionierter Koffer voller Notizen mehr hilft.
Fiston Mwanza Mujila: Tanz der Teufel. Roman. A. .d. Franz. Von Katharina Meyer und Lena Müller. [Orig.: La Danse du Vilain, Paris 2020.]
Wien: Zsolnay 2022. 283 Seiten. EUR 25,70. ISBN 978-3-552-07277-0.
Fiston Mwanza Mujila, geb. 1981 in Lubumbashi / DR Kongo, lebt in Graz.
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