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Helmuth Schönauer bespricht:
Ewald Baringer
Der Zaunprinz
Roman

Prinz kann ein hartes Schicksal sein. Ein besonders „prinzliges“ Schicksal hat in der Gegenwart der englische Thronfolger ausgefasst, der mit großen Ohren gegen sein Leben in der Warteschleife ankämpft.

Ewald Baringer stellt in seinem Roman ein triviales Prinzen-Schicksal aus unseren Breitengraden vor. Und wer könnte besser für diese undankbare Aufgabe geeignet sein als ein Germanist, der ein Leben lang mit nichts fertig wird?

Natürlich sind es auch beim Germanisten widrige Umstände, die ihn an seiner undefinierten Aufgabe scheitern lassen. Aber als halbgebildeter Mensch weiß er, dass der Zaunkönig ein kluges Tier ist, das in der Fabel schon mal zu einem Zaunprinzen mutieren kann, indem er sich die Welt schönredet und auf große Missionen pfeift.

Alfred ist also Germanist mit unvollendeter Arbeit, durch die Hilfe eines Verwandten ist er ins Ministerium gekommen, wo er Presseberichte auswertet. Als sich der Sinn auch nach Jahren nicht einstellt und die analoge Pressebeobachtung eingestellt wird, kündigt er seine sichere Stelle, weil er sich zu schade ist für ein Leben ohne literarischen Touch.

Natürlich ist so ein einfacher Plot unerträglich für einen Menschen, der den Umgang mit alternativen Denkmöglichkeiten und Fiktionen gelernt hat. Alfred bastelt sich also aus diversen Strängen ein Schicksal zusammen, in dessen Mittelpunkt der berühmte Satz von Arnold Schönberg steht, der Mittelweg sei der einzige, der nicht nach Rom führe. Mit diesem Motto lässt sich alles entschuldigen und erklären, ob es sich um staatstragende Ereignisse handelt oder um private Mesalliancen.

In einem Entwurf zur jüngeren Geschichte Österreichs verknüpft Alfred Ereignisse aus der Chronik mit seinem ziemlich unbedarften Lebensstil. „Als Zaungast war er 1976 bei der Besetzung der in einem ehemaligen Schlachthof installierten Arena dabeigewesen und hatte zum ersten Mal so etwas wie wahrhaft revolutionäre Stimmung erlebt.“ (113) Vom Zaungast zum Zaunprinzen ist es nie weit, oft lassen sich beide Rollen aus der selben Position heraus bestreiten.

Die zweite Komponente, die zumindest in der Literatur zu einem erfüllenden Lebensziel führen könnte, ist die unsägliche Geschichte mit der Liebe. Auch hier gibt es bekanntlich keinen Mittelweg, alles kann eine Über- oder Untersteuerung bedeuten, die einen abdriften lässt.

Während des Dissertationsversuchs in Rom hat Alfred seinerzeit Marianne kennengelernt, sie ermöglichte ein starkes Erlebnisbündel zwischen Diskurs, Erotik und Lebensqualität. Als Pressefrau transformierte sie die Recherchen zu diversen kriminellen Vorfällen im politischen Milieu auf die Ebene von wahrhaftiger Erkenntnis, wobei sich Alfred mit seinem fiktionalen Gespür bestens einbringen konnte. Als es jedoch darum ging, ein gemeinsames Leben aufzubauen, sagte Marianne ab, er musste alleine, ohne Dissertation und Marianne, nach Wien zurückkehren.

Jetzt, dreißig Jahre später läuft alles wieder auf Tabula rasa zu, die Dinge von früher könnten wieder einmal neu gedeutet werden. Anlass ist ein Brief aus Rom, wonach es um Nachlassgeschichten gehe, denn angeblich habe Marianne Suizid verübt, indem sie „ins Wasser gegangen sei“.

Alfred fährt relativ emotionslos nach Rom, wie man eine Lektüre über sich ergehen lässt, die einen nicht berührt. Da nichts gewiss ist, selbst der Suizid steht ja nur in der Zeitung, kann alles zur Geschichte passen. Alfred trifft auf das alte Hausmeisterpaar, das aber nach seiner Abreise ungeniert weitergelebt hat, als ob er gar nicht nach Wien zurückgekehrt sei. Überhaupt haben alle in Rom ohne Genierer weitergemacht, als sei er nie in Rom oder gar von Bedeutung gewesen.

Eine nachdrückliche Einladung, in einer Privatwohnung abzusteigen, um die Verlassenschaft zu regeln, könnte einen kriminellen Hintergrund haben. Marianne könnte vielleicht in eine brisante Geschichte verstrickt gewesen sein, immerhin hat sie ja für die Presse gearbeitet. Andererseits gilt im Zweifelsfalle das, was in der Zeitung steht.

Nach allerhand verwirrenden Gedankengängen wird Alfred final auf einen USB-Stick hingewiesen, der in einem Tresor verwahrt werden sollte. Jetzt ist die Wahrheit dort, wo sie in der Literatur hingehört: Sie ist zwar zum Greifen nah, liegt aber außerhalb des Zugriffs.

Alfred hat allmählich genug, er akzeptiert den Mittelweg, den er schon längst beschritten hat, verschönert seine selbst ausgedachte Geschichte vom Zaunprinzen und überlässt Geheimnisse auf Sticks den Tresoren.

Ewald Baringer bietet wie bei gelungenem Birdwatching verschiedene Ausguckpunkte an, von denen aus man den Zaunprinzen in seinem Wirken und Treiben beobachten kann. Mal ist es die Position eines Krimis, dann wieder etwas aus der Romantik von misslungenen Liebesgeschichten, und die Feinspitze werden die Position des von der Welt abgeschmetterten Germanisten lieben, denn da gibt es am meisten zu sehen.

Ewald Baringer: Der Zaunprinz. Roman.
Innsbruck: Limbus 2021. 170 Seiten. EUR 18,-. ISBN 978-3-99039-206-5.
Ewald Baringer, geb. 1955 in Wien, lebt in Klosterneuburg.


PS:
„Bestseller bespreche ich nicht, die hat schon jemand gelesen!“ Dieser Satz kann als Leitmotiv für jene 6000 Buchbesprechungen gelten, die Helmuth Schönauer seit 1986 verfasst hat und die als einmaliges Zeitdokument in einer mehrbändigen Buchfassung vorliegen. Schönauer bedient mit seinen Rezensionen nicht den Markt, sondern wendet sich an 2000 vor allem österreichische Bibliothekare und deren Leserschaft, aber auch an etwa 500 Autoren, von denen er die meisten persönlich kennt. Dieses Rhizom ist der Nährboden, aus dem seine deskriptive literarische Anthropologie erwächst – ein breit dahinfließender Strom des Zeitgeists und seiner Mythen, von dem besonders markante Beispiele den Lesern des schoepfblog allwöchentlich zur Verfügung gestellt werden.

 

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Christine Zippel

    Der Zaunprinz – die Rezension macht Lust auf mehr!

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