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Helmuth Schönauer
Zwölf Notstände aus Osttirol
Stichpunkt

Seit der Ausdruck „Ostukraine“ durch Kriegsgeschehen lädiert ist, wollen auch die Osttiroler nur mehr „Bezirksinsassen Lienz“ genannt werden, weil sie um ihren Fremdenverkehr fürchten. Dabei fährt man extra in dieses entlegene Gebiet, um noch alte Bräuche und Redewendungen zu hören, die andernorts bereits durch die Globalisierung niedergemacht sind.

Ein Relikt aus früheren Zeiten sind die sogenannten Nothelfer, die bei diversen Unglücken Erste Hilfe leisten. Die Unglücke selbst heißen nach dieser Logik „Notstände“ und sind die Quelle für den berühmten ORF-Lokalreporter „Happy Hippi“, der jeden Tag einen Notstand melden muss, um nicht seinen Job als Alleinunterhalter aus der Branche zu verlieren.

Gerade hat er mit flatternder Stimme von einem Taxi-Notstand berichtet. Wegen der Seuche nämlich, die auch Osttirol nicht verschmäht hat! Weil dort nämlich besonders viele Esoteriker und Halbgläubige sitzen, hat niemand in der Quarantäne einen Fahrdienst gebraucht. Jetzt freilich wollen die Einheimischen wieder in die einzige Bar des Bezirks und müssen später stundenlang davor im eigenen Sud herumliegen, weil sie kein Taxi nach Hause fährt. „Es herrscht schwerer Taxi-Notstand!“ sagt der Reporter betroffen.

Ein schwerer Notstand liefert meistens eine Woche lang Sendestoff, wenn man die diversen Vorankündigungen hinzuzählt. Am Mittwoch Taxi-Notstand! poppt es auf der Homepage auf, wenn man sich etwa über einen Impftermin kundig machen will.

Seit heuer wird die Arbeit von Happy Hippi auch auf der Wellness-Seite der Bezirkshauptmannschaft geführt, was durchaus logisch ist. So erspart man sich einen Weg außer Haus, wenn man die Nachricht über den aktuellen Notstand im Homeoffice abruft.

Sogar aus Amerika gibt es Anfragen, was in Osttirol wohl wieder für ein Notstand herrscht. Manche stammen von den Amischen, die unter der Tuchent surfen wollen, weil es ihnen die Religion verbietet, einen Laptop zu benützen. Seit aber ein Siedlungsvater gesagt hat, dass man den Laptop benützen darf, wenn man sich nach Osttirol einklinkt, gilt die Anfrage als Gebet und ist erlaubt.

Diese Woche also geht es noch um den Taxi-Notstand, aber die kommenden sind schon auf der Hippi-Liste avisiert. Es müssen aus religiösen Gründen immer apostelmäßig zwölf Notstände sein, die es unter Beachtung entsprechender Kontraindikationen zu beseitigen gilt.

Sende-Notstand
Im ganzen Bezirk gibt es eine Woche lang nichts zu senden, weil nichts passiert ist. Es wird der Sende-Notstand ausgerufen und dieser eine Woche lang gesendet.

Krimi-Notstand
Die heurige Frühjahrslieferung an Krimis ist völlig ohne Spannung, weil es die gleichen Krimis sind wie im Vorjahr. Das Publikum lässt die faden Krimis in den Regalen liegen, es herrscht ausgesprochener Krimi-Notstand im Bezirk, zumal der ehemalige Killerschreiber aus Lienz jetzt auf Weltmann macht und ohne Inhalt publiziert.

Rindfleisch-Notstand
Beim Abschneiden der Hörner ist die Schneidemaschine der Bezirkslandwirtschaftskammer zu tief eingestellt gewesen, weshalb die Rinder der Reihe nach an Hornverletzungen eingegangen sind. Jetzt herrscht Rindfleisch-Notstand, weil sich fehlende Rinder auf die Quantität des Fleisches auswirken.

Heu-Notstand
Oft hängen die einzelnen Notstände miteinander zusammen. Wenn keine Rinder mehr da sind, frisst auch niemand das Heu, das mittlerweile aus den Tennen quillt, in ganz Osttirol herrscht daher Heu-Notstand.

Schnee-Notstand
Der Chip-Mangel geht auch an Osttirol nicht vorbei. Seit die Schneekanonen wegen fehlender Halbleiter keinen Ausschaltknopf mehr haben, müssen die Sprühköpfe die ganze Saison durchrennen. Das führt wegen der exponierten Lage des Bezirks zu gigantischen Schneehäufen, die sichtbare Zeichen eines Schnee-Notstandes sind.

Verkehrs-Notstand
Gut gemeint ist auch in Osttirol schlecht getroffen. Seit man den einzigen Kreisverkehr zweispurig gestaltet hat, bricht der gesamte Verkehr zusammen, weil niemand im Bezirk weiß, wie man einen zweispurigen Kreisverkehr anfährt. Manche weichen über Kärnten aus, was erst recht zum Zusammenbruch des Verkehrs führt, der mit Fug und Recht als Notstand bezeichnet werden muss.

Pastoral-Notstand
Seit der Wolf freie Hand hat, um seine Schafe niederzustrecken, herrscht ausgesprochener Pastoral-Notstand, weil die Hirten (Pastoren) nicht mehr mit dem Verzweifeln nachkommen. Großer Notstand herrscht auch unter den Kutten (sub-kuttan!).

Bären-Notstand
Im Naturschutzgebiet sind seit einer Fotofallen-Billigaktion eines Handelsriesen an jedem Baum Fotofallen installiert worden, die etwaige Bären erwischen sollen. Da aber schon monatelang kein Bär mehr aufgetaucht ist, herrscht Bären-Notstand.

Blutspende-Notstand
Seit die Piks-Fetischisten alle zur Impfung gehen, statt sich Blut abzapfen zu lassen, herrscht Bluspende-Notstand, der dadurch verstärkt wird, dass die Osttiroler fast alle die seltene Blutgruppe „O minus“ aufweisen, die weltweit Mangelware ist.

Nächtigungs-Notstand
Wegen der rasant steigenden Benzinpreise getraut sich niemand mehr in Osttirol zu nächtigen, da die Spritpreise am nächsten Tag für einen Durchschnittsmenschen nicht mehr zu berappen sind. Die Auswirkungen sind fatal: Es herrscht in den Betten Osttirols Nächtigungs-Notstand, der mühsam bei den Kunden in ganz Europa durch Werbekampagnen behoben werden muss.

Lokomotiven-Notstand
Durch den Ausbau des Bahnhofs Lienz kommt es zur Beschleunigung des Zugdurchzugsverkehrs, darunter leiden vor allem die Bediensteten der Abschmierhalle, weil sie plötzlich keine Lokomotiven mehr zum Abschmieren haben. Der 12. Notstand.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. c. h. huber

    ganz großes schmunzeln oder eigentlich schon haha, lieber helmuth!

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