Helmuth Schönauer bespricht:
Dominik Barta
Tür an Tür
Roman
Mal was Neues: Es gibt auch in der Schwulenszene schlechten Sex, und – erfreulich für die Leserschaft – daran ist nicht unbedingt die Gesellschaft schuld.
Dominik Barta outet seinen Helden schon am Klappentext als schwul, aber dieser kämpft während des Romans „Tür an Tür“ um eine adäquate Identität, er steht sich selbst ordentlich im Weg.
Der Ich-Erzähler Kurt Endlicher, knapp dreißig Jahre alt, hat in einer HAK eine Lehrer-Anstellung erreicht und übernimmt im Wiener Genossenschaftsbau die Dachbodenwohnung seiner Tante, die ins Burgenland abgerückt ist.
Damit ist das Lebensglück auf drei Etagen eröffnet.
a) Der Held stößt auf keinerlei Widerstand seiner Schwulität, was ihn zunehmend irritiert.
b) Im Wohnhaus leben die Bewohner nach allen Facetten der Gesellschaft Tür an Tür und entwickeln dabei ein Sozialgefüge, wie es in der berühmten Fernsehserie „Lindenstraße“ jahrzehntelang vorgespielt worden ist.
c) Der Staat kocht hinter allen Fassaden sein eigenes Süppchen, indem er sich zynisch als Staat im Staat geriert.
Wenn man davon ausgeht, dass für die Österreicher das Häuschen im Grünen das Höchste ist, wofür es sich zu leben lohnt, so wäre das Leben in Genossenschaft unterm Dach das Bedrückendste, was sich ausdenken lässt. Unerträglich wäre zusätzlich die Lage, wenn die Wände so dünn sind, dass man jedes Körpergeräusch aus der Nachbarwohnung hört. Und ganz arg wäre es, wenn sich nicht abschätzen lässt, ob die Nachbarperson männlich oder weiblich ist, und vielleicht gar schwul.
Kurt hat es sich angewöhnt, alles mit einem Schwulenkoeffizienten zu checken, obwohl er keine genaueren Richtlinien dafür hat. Schon seit Kindertagen ist er mit Frederik schwul befreundet, später hat dieser eine Freundschaft mit der aus dem Libanon stammenden Yasmina gestartet, aber kurz vor der Hochzeit bricht er ab und zieht beim Helden ein, noch ehe der in der eigenen Wohnung firm geworden ist.
Den gesamten Roman hindurch geht es um Zuneigung und Abstoßung, Zusammen-kuscheln und Distanz-halten. Eine gemeinsame Hausfreundin erweist sich als Lakmustest für Schwulsein: der eine schafft mit ihr einen ungeplanten Geschlechtsverkehr, der andere bricht den geplanten ab.
Und immer wieder Gefühlswallungen, Orientierungslosigkeit und Ausflucht in große Sätze. Der Roman schafft es, diese Tragödie im eigenen Haus zu überwinden, indem er die Ironie als Lösung anbietet. Der Erzähler lacht zwischendurch über sich und seinen Schwulenwahn, vielleicht ist er sowas von normal, dass üblicherweise kein Roman über ihn entstehen könnte.
Fazit: Auf privater Ebene ist Homosexualität zumindest in Wien das Normale. Denn wenn sich über einen Status bereits lachen lässt, ist dieser in der Gesellschaft angekommen.
Im dienstlichen Bereich zeigt sich das Schwulsein jeweils kombiniert mit dem Status der Migration. Aus manchen Kulturen müssen die Protagonisten flüchten, wenn sie sich outen, in politisch radikalisierten Kreisen gibt es sogar im Asylland Verfolgungen gegen Geoutete.
Eine Schlüsselrolle spielen dabei Schwulenbars, in die es das Paar des Nachts hinzieht, wobei die Lage durch Alkohol eskaliert, sodass man sich dort nie mehr sehen lassen kann.
Ein besonders schönes Beispiel politischer Eskalation geschieht, als sich in Studentenkreisen Fans des Studentenbundeskanzlers türkise Strumpfhosen anziehen und auf happy-geil machen.
Für Kurt wird es zunehmend ein Problem, dass er mit dem verengten Schwulenblick auf die Welt schaut. Selbst als Lehrer, der am Nachmittag Lehrlinge aus der Migrationsszene unterrichtet, interessiert ihn letztlich nur, wie sehr eine sexuelle Beziehung in das erwartete Muster passen würde.
Mit einem kurdischen Klienten tut sich dann auch sofort eine surreal erotische Beziehung auf, die überschattet wird vom Besuch des türkischen Präsidenten in Wien, der seinen langen Arm in die Szene hineinwirken lässt.
Je nach erotischer Lage wohnen die Mieter mal in dieser mal in jener Konstellation zusammen. Manchmal scheint sich der alte Hippie-Traum zwei Generationen später zu erfüllen. Im Genossenschafts-Shangrila wohnen alle Tür an Tür und durchschreiten sie problemlos, wenn es notwendig ist.
Der eine muss den Krebs bekämpfen und schafft es nicht, die andere muss am Institut Tumore an Mäusen nachweisen und schafft es, sie kriegt ein Stipendium.
Wer es auf die Reihe kriegt, macht seinen Sex. Wer zuvor müde geworden ist, vertagt ihn. Das Schaf wird beim Wolf liegen, der Schwule beim Hetero, der Kranke beim Arzt, dem Erzähler geht letztlich die Phantasie durch und er staunt, dass es noch andere Probleme gibt als Sex in ausgemalten Szenen.
„Tür an Tür“ könnte man als ironischen Verbindungsroman zwischen den einzelnen Stellungen und Konstellationen in der Kultur der Erotik lesen. Und alles wird vom kommunalen Ambiente wohlwollend befördert.
Die Botschaft ist klar: Du brauchst kein Haus im Grünen, um glücklich zu werden, sondern eine Dachbodenwohnung in der Stadt, und einen Freund, der Arzt ist, und eine Freundin, die alles sexuell d´rauf hat, und einen Schüler, den du anhimmeln darfst, und eine Bar, wo türkise Strumpfhosen auftreten. Eigentlich brauchst du nur den Roman „Tür an Tür“, um für eine Weile glücklich zu sein.
Dominik Barta: Tür an Tür. Roman.
Wien: Zsolnay 2022. 207 Seiten. EUR 23,70. ISBN 978-3-552-07303-6.
Dominik Barta, geb. 1982 in Oberösterreich, lebt in Wien.
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