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Reinhard Walcher bespricht:
Seppy Rose
Nebel Schwimmen
Lyrik Prosa

Nebel Schwimmen Lyrik Prosa.…steht etwas rätselhaft auf dem Cover eines Buches, das mir kürzlich ins Auge fiel. Im Vordergrund des schwarzweißen Titelfotos plantscht ein Bub im seichten Wasser vor dem nebelig verschwimmenden Horizont und blickt (irgendwohin?) zurück.

Nebelschwimmen | Seppy Rose 

Am unteren Rand des Covers steht (fast schüchtern) winzig Lyrik Prosa geschrieben. Lyrik und Prosa? Oder Lyrik-Prosa? Frage ich mich. Das nächste kleine Rätsel schon auf der Titelseite, denke ich. Und beim Wort Lyrik – das vom Klang der altgriechischen Lyra herrührt – erklingen tiefe, outrierende Schauspielerstimmen und Sätze von „Über allen Gipfeln ist Ruh …“ bis zum Schwachsinn „Nebel befüllt grau und fahl mein geliebtes Alpental …“.

No poems please war das Motto einer von mir vor vielen Jahren mitgestalteten Satirezeitschrift. Man merkt schon eine gewisse Skepsis  gegenüber schwulstigen, romantisierenden, gereimten und nebulösen Worten mit beziehungsweise ohne ergründbaren Sinn oder Inhalt. Beim Hinausgehen kommt mir noch der Turmbund und ungerechterweise Georg Trakl und der junge Walter Klier in den Sinn. Gedichte?! Ob ich es lieber doch nicht aufschlagen soll? Aber meine Neugierde war erwacht.

Einen Gedichtband kann/soll man nicht einfach durchlesen, weshalb ich beschloss – gleich im nächsten Café – das Buch einfach an irgendeiner zufälligen, mir zufallenden Stelle aufzuschlagen, und ich las in Großbuchstaben die Überschrift:
ICH RECHNE DAMIT VERGESSEN ZU WERDEN.

Mir stockte der Atem oder weniger poetisch: Mir blieb die Luft weg. Ich konnte nicht weiterlesen. Ich stellte mir eine blasse Dichterin vor, aber der Name Seppy Rose passt nicht. Rechnete hier ein Mann damit, vergessen zu werden? Das karg gestaltete Schriftbild. Die schnörkellose Schrift. Keine Seitenzahlen. Kurze Sätze, oft nur ein Wort und Punkt. Das Gedicht schmal an den Seitenrand gedrängt, fast als fürchte es sich vor der weißen Leere des Blattes.

Und dann las ich langsam, Wort für Wort. Ganz anders als ich sonst Texte, aber eben nicht Gedichte lese: Jedes Wort, jeder noch so kurze Satz berührte mich mit einer Wucht, die ich noch nie beim Lesen eines Textes empfunden hatte.

Bin fest überzeugt.
Dass ich niemandem … wert
.

Das Schreibprogramm protestiert mit roter Wellenlinie und doppelter, blauer Unterstreichung. Es verlangt nach Subjekt und Verbum, versteht nicht, dass diese hier nicht notwendig (sind).

Ich könnte mich an diesen minimierten Stil des Schreibens des Autors oder der Autorin Rose gewöhnen. Erschreckender Inhalt, wohltuend präzise Form. Es folgen Sätze mit einem Punkt nach jedem einzelnen Wort. Die Wucht der Worte verdichtet sich weiter und plötzlich verstehe ich, worum es in Gedichten, in der Dichtung geht: um Verdichtung im Sinn einer Verdeutlichung eines Zustandes, eines Gefühls, eines Menschen.

Bestürzt lese ich weiter bis endlich im letzten Satz ein Hauch von Trost aufblitzt. Erst am nächsten Tag wage ich, nochmals zu diesem außergewöhnlichen Buch zu greifen. Mit mulmigem Gefühl im Bauch, aber neugierig öffne ich es wieder nach dem Zufallsprinzip.

Die Überschrift ist nur ein Wort:

WASSER

Zum Glück lese ich staunend und erleichtert vom Glück im Wasser beim Schwimmen in Schwerelosigkeit. Das Rätsel, ob Dichter oder Dichterin ist noch nicht gelöst, aber hinter dem abrupten Wechsel von bedrückender Wucht zu beglückender Leichtigkeit könnte auch eine Winzigkeit an Koketterie stecken und ich denke, dass Seppy Rose doch eher weiblich ist.

Am dritten Tag, den ich mit dem Buch zubrachte, begann ich auf Seite eins zu lesen und erkannte bald, dass es zwar einzelne Gedichte sind, die sich aber dramatisch zu einer Geschichte zusammenfügen, zu einem Roman sogar in lyrischer Prosa.

Die Protagonistin liegt im Koma und durchträumt nochmals – Gedicht für Gedicht, eigentlich Kapitel für Kapitel – die Ereignisse ihres Lebens.

Zunehmend erhärtet beziehungsweise verdichtet sich der Verdacht, sie habe versucht, sich umzubringen. Am Ende kann sie noch einmal zwischen Tod und Leben wählen. Und entscheidet sich …?

Seppy Rose: Nebel Schwimmen. Lyrik Prosa. published october 2022 by epubli hardcover. 104 pages ISBN 9783756537402. Preis € 15,40

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Reinhard Walcher

Reinhard Walcher, Dipl.-Ing., Architekt, Blogger, Essayist, Karikaturist und Zeichner, Maler, Rettungsfahrer, Schilehrer und so weiter … (Jahrgang 1953) hat nach 15 Jahren den Architektenberuf an den Nagel gehängt und lebt seither als freischaffender Cartoonist und seit 2009 als Reiseschriftsteller Der Bimreiser.

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