Helmuth Schönauer
Auf innig getrimmt
Stichpunkt

„Das Fernsehen ist ein Null-Medium!“ ‒ Diese These von Hans Magnus Enzensberger aus den „Zerstreuungen“ (1988) wird seither jeden Tag aufs neue überprüft und gegen Mitternacht hin abgenickt. Täglich versuchen die Fernsehmacher, etwas Berührendes zu senden, und täglich fällt ihnen das Publikum darauf hinein, ehe es nach dem Abschalten des Bildschirms wiederum überzeugt ist, dass es nichts Relevantes gesehen hat.

Sender und Empfänger wissen um die Intelligenz des anderen Bescheid und handeln spielerisch und ohne Konsequenz. Die einen verdienen mit dem Programm Geld, und den anderen wird damit die Zeit vertrieben.

Verstärkt wird diese Harmonie durch eine inszenierte Innigkeit, die scheinbar dann entsteht, wenn die digital gepixelten Personen plötzlich mitten im Wohnzimmer auftauchen.

Auf musikalischem Gebiet versucht etwa der unsäglich tirolerische Franzl Posch durch Musik-Stalking mit seinem Akkordeon-Gequetsche in die Ohren der Heimgesuchten zu gelangen. „Griaß eich! I spiel eich was!“ Und schon gibt es kein Entkommen mehr. Der gekünstelte Spielmann geht nämlich seinem Publikum nach, auch wenn es zu flüchten versucht. In einem Witz heißt es daher: „Sperrts euch beim Toilettenbesuch ein, sonst schaut der Franzl Posch bei der Tür herein!“

Eine ähnliche Intimität inszeniert das Fernsehen bei der Übertragung des Ostergottesdienstes. Da sind im Altarbereich nicht nur Mikrophone versteckt, sondern auch Uhren, die dem sogenannten Gottesdienstmeister zeigen, wie er mit seinem Hochamt im Rennen liegt.

Selbst die sogenannte Wandlung, der Höhepunkt der Messe, wird als Download auf einer Skala dargestellt, damit der Ausführende weiß, wann die Transzendenz auf dem Stick für die Übertragung ist.

Und alles hat ein Ziel: Bis zur Nachrichtensendung müssen alle Rituale über den Bildschirm geflimmert sein. Ein religiös beschriebener Akt wird innig ins Wohnzimmer übertragen, so nah am Heilsgeschehen sind nicht einmal die analogen Ministranten, die sorgfältig gecastet sind.

Was die Innigkeit bei Gesprächen betrifft, so gilt der südtiroler Schwatz-Meister Markus Lanz als Koryphäe. Nach einem sorgfältig vorbereiteten Drehbuch werden die Interview-Partner zuerst im Kreis und dann selbst vorgeführt. Das Spiel dauert so lange, bis der Angebohrte dramaturgisch versagt und etwas Persönliches für die Öffentlichkeit gesteht, auch wenn er es nicht will.

Das Publikum achtet nicht auf das Gesagte, sondern schaut auf das Antlitz des Gefolterten, bis dieses für einen Moment zusammenbricht, ehe es wieder in die wächserne Maske für die Öffentlichkeit flüchtet. So dürfen die Ausgequetschten auch keine Pandi-Masken tragen, weil sonst das Spiel zerstört wäre.

Neben dem Voyeurismus wird freilich auch die Logik der Abwehr-Argumentation bedient. Wenn jemand mit seinem antrainierten Floskelvorrat nicht mehr weiterweiß, sagt er vielleicht zwischendurch die Wahrheit.

Ein berüchtigter Abwehrmechanismus der Delinquenten besteht darin, das Parteiprogramm aufzusagen, statt mit ja oder nein zu antworten.

Vor allem Grüne und Linke kommen bei „leichten“ Fragen leicht aus der Fassung. Soll man dem Nachbarn das Haus wegnehmen, wenn es einen bestimmten Wert überschreitet? Soll man im Kinderzimmer die Heizung abdrehen, wenn das Kind zu spät von der Freitag-Demo heimkommt? Man kann es kaum glauben, was diese einfachen Fragen für ein heruntergerattertes Parteiprogramm auslösen.

Da tun sich die Rechten und Kapitalisten leichter. Waren Sie schon einmal Nazi? Haben Sie undeklarierte Nebeneinkünfte? Auf diese Fragen können sie mit klarem Ja antworten, denn es haut niemanden aus den Socken. Im Gegenteil, jeder ist froh, dass jetzt kein Parteiprogramm kommt.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Hans Pöham

    Guter Herr Schönauer!
    Ich bin von Ihrer Ironie und Ihrer Kunst des Formulierens immer wieder erheitert. Fast hätte ich hier bis ans Ende durchgelacht. Fast. Da wurden mir dann die Hürden immer höher. Bis ich nicht mehr lachen konnte, ich über eine zu hohe stolpern musste. Lachen oder Fäuste im Hosensack machen – es bleibt immer dieselbe Frage. Die Berührung – die Sie bemängeln – ist mit diesem Text allemal gelungen.

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