Helmuth Schönauer
Im Kopf des Landeshauptmanns (LH)
Stichpunkt

Ein brauchbarer Glossist muss sich fallweise in den Kopf seiner betrachteten Persönlichkeiten hineinversetzen können, so wie sich auch ein Leser ins Wesen seiner Helden vertieft, indem er sie in Schriftform aus einem Buch abscannt.

Dieses Hineinfühlen geht so weit, dass im Idealfall Glossist und LH den gleichen Friseurladen besuchen, wenn sie ihr äußeres Erscheinungsbild updaten. Im konkreten Fall ist die Frisur des LH in einem Saloon im Innsbrucker Westen als Promi-Portrait aufgehängt, während die Frisur des Schreibers zu makaber ausfällt, um als Zierde über dem Spülbecken zu dienen.

Über die Frisuren ist ein inniger Transfer der Gedanken möglich, zumal der moderierende Friseur mit Anekdoten weiterhilft, wenn die Einzel-Kontemplation versiegt.

Sobald man sich in die Psyche seines erdachten Gegenübers hineinversetzt, wird man eher ein Fan von ihm, als dass man Aversionen entwickelt. Auch in der Literatur wird ja der Bösewicht während der Lektüre zum Freund, weil man es nicht aushielte, während des Lesens bedroht oder niedergemacht zu werden.

Da macht also der Friseur oben am Kopf herum, und unter dem Gerupfe und Geschnippsel am eigenen Haupt gelingt es dem Kunden rasch, sich in den Kopf des LH zu versetzen.

Das Innere des LH ist übersichtlich, um nicht zu sagen schlicht angeordnet. Auf den ersten Blick scheint es sich um ein gewöhnliches Handy-Display zu handeln, das da im Kopfinnern ausgebreitet ist. Beim genaueren Hinsehen bemerkt man, dass die einzelnen Apps zu politischen Meta-Welten führen.

Auffallend ist eine Laufschrift, die quer über das Gehirn angelegt ist und in regelmäßigen Intervallen Botschaften sendet. „Ich bin in der Hauptsache Schifahrer! | Ich bin am Wiener Parkett als Innenminister nicht ausgerutscht. | Ich will das Land warmherzig und kleingeistig führen wie meine Heimatgemeinde Zams!“

Die Apps sind binär angeordnet für den Schönwetter- und Katastrophenmodus. Im Schönwettermodus sind Tipps dabei, wie man Hirschknöpfe am Janker trägt, das Glasl nur so weit hochhält, dass es nicht das Mikrophon überstrahlt, und wie man die Schere nach gelungenem Einsatz am Eröffnungsband wieder vorsichtig in die Schatulle zurücklegt, damit sich nicht die Kids daran verletzen, wenn sie die Blumen und Sprücheln überbringen.

Im Schlechtwettermodus sind fast alle Apps abgedunkelt oder führen überhaupt ins Leere. Zwei Leitsätze freilich blinken auf, wenn man eine schnelle Ansage abruft. „Niemand wird zurücktreten, das habe ich meinem Schönwetterteam versprochen!“ Und: „Bleibts zuhause, damit die anderen ins Land kommen können!“ Für zornige Nachfragen gibt es noch eine exklusive Antwort: „Wer nicht Schi fährt, ist kein Tiroler, und den werde ich politisch auch nicht unterstützen!“

Soweit das Innere des LH-Kopfes, das so angeordnet ist, dass man auch nichts Belastendes findet, wenn der Kopf beschlagnahmt werden sollte. Geschützt von einem persönlichen Code, der letztlich das gesamte Vermögen des LH darstellt, gibt es einen Geheimzugang zu jenem Wissen, das notwendig ist, um Tirol zu regieren. Dieser Erfahrungsschatz ist in zwei Faustregeln zusammengefasst.

Erstens: Misstraue den Indoor-Intellektuellen und halte dich stattdessen an das Bauchgefühl der Outdoor-Einheimischen.
Zweitens: Tirol wurde bis in die 1980er Jahre ähnlich wie die Sowjetunion als Funktionärsstaat regiert, der in Gestalt von Stalinismus und Wallismus oft zur Übertreibung neigte. Wenn du als Nachfolger dieses Gebildes reüssieren willst, musst du die Oligarchen im Land bedienen, nicht das Volk. Schau dir Putin an! Was dort mit den Ressourcen Gas und Öl geschieht, musst du in Tirol mit den Ressourcen Wasser und Tourismus machen. Klug regieren heißt, die Oligarchen bedienen mit Macht, und das Volk unterhalten mit patriotischen Geschichten.

Diese Faustregeln sind nur eine Gedankenlänge sichtbar und zerstören sich dann von selbst, damit kein Verbrechen daraus entstehen kann.

Dem versonnen Abgetauchten wird gerade der Spiegel gezeigt, worin er seine neue Frisur bewundern kann, die aufs Haar der des LH gleicht. – „Wunderbar und makellos! Was bin ich schuldig?“ Ein echter Glossist muss für seine Erkenntnisse nämlich bezahlen und erhält nichts dafür, außer einer frischen Frisur.

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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