Helmuth Schönauer bespricht:
Sieg durch Abwesenheit
Bachmannpreis 2023
Stichpunkt
Seit Jahrzehnten findet in Klagenfurt das Wettlesen am Wörthersee statt. Unter dem Medaillon der inzwischen heiliggesprochenen Klagenfurterin Ingeborg Bachmann treffen Kritisierende auf Textende.
Das Publikum wird bestens versorgt mit Direktübertragungen, freilich heuer ein wenig abgelenkt von der Formel 1, die zur gleichen Zeit in Spielberg zu Gast war.
Da auch 2023 alles wie immer abläuft, braucht man sich nur zu merken, was die diversen Korrespondenten als Neuigkeit ausfindig machen. Wie jede germanistische Arbeit ist auch die Berichterstattung über ein Literaturfestival letztlich eine Nullnummer. Denn in beiden Fällen kommt immer hinten heraus, was man vorn anmoderiert hat.
Die Trends sind schon vor Beginn fixiert, indem Kritisierende aus der galoppierenden Herde von Textenden mit dem feministischen Migrations-Lasso ein paar Lebewesen herausfangen, die später auf der Lesebühne vorgeführt werden. Ab diesem Zeitpunkt ist alles geklärt, der Rest ist Show, worin die neuesten Floskeln ausprobiert werden.
Diverse Korrespondenten fassen jeweils zentrale Fragen zusammen und funken sie nach Hause in ihre Redaktionen, sofern sie nicht inzwischen gekündigt wurden wie jene von der Wiener Zeitung.
Jole, der hochgeschätzte Korrespondent der TT, stellt drei solcher Fragen für die Mitfiebernden zu Hause. (TT, 01.07.2023)
– Wie soll Literaturkritik mit Texten umgehen, die jenseits des Erfahrungshorizonts der Kritiker liegen?
– Nach welchen Kriterien lässt sich Literatur bewerten, die sich gängigen, sprich althergebrachten Etikettierungsversuchen entzieht?
– Die Jurydiskussion kreiste zunächst vor allem um die Frage, ob es sich hierbei um eine Reportage handelt, und wenn ja, ob die eingangs erwähnte Literarizität gegeben sei?
Die Fragen lassen sich alle germanistisch beantworten, indem man sie germanistisch beantwortet wie in einer kopierten Masterarbeit.
ad 3: Kann eine Reportage Literatur sein? – Ja, wenn sie Literatur ist.
ad 2: Kann ich mit den Begriffen von gestern die Literatur von heute bewerten? – Ja, wenn die Anwender von gestern sind.
ad 1: Wie soll die Jury mit Texten umgehen, für die sie keine Erfahrung hat? – Indem sie nur Textende einlädt, die ebenfalls keine Erfahrung haben.
Jetzt kommt der heimliche Sieger ins Spiel.
Der Tiroler Autor Robert Prosser hat wenige Tage vor Start des Spektakels absagen müssen. Höflichkeitshalber aus persönlichen Gründen, in Wahrheit aber aus der Erkenntnis heraus, dass er als männlicher Aufputz keine Chance gehabt hätte. Zudem ist sein Herkunftsdorf Alpbach nicht als Migrationshotspot zertifiziert.
Fans, Lesende und Experten sind sich einig: Der heurige Sieger hat durch Abwesenheit gewonnen. Tatsächlich blieb ihm der Makel erspart, unter einem Haufen textender Mütter den Quotenmann abzugeben.
Denn schon am ersten Tag des Wettlesens ging es um Ich, Ich, Ich, wie allgemein festgestellt wurde. Alle Facetten von alleinerziehenden Müttern sollen getextet worden sein. – Die Forderung nach Kinderbetreuung während der Literarischen Aktion wurde immer lauter.
Für uns Lesende an der Randzone solcher literarischer Beben bleibt künftig eine gute Ausrede: Nein, ich habe das Buch nicht gelesen, ich hatte nämlich keinen Kinderbetreuungsplatz.
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