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Hannes Hofinger
Mein basisdemokratischer Albtraum
Short Story

Ich träumte vom Parteitag einer Partei, die es gottseidank nicht gibt.

Die Delegierten debattierten schon acht Stunden, einzig durch kurze Kaffeepausen unterbrochen. Nach der dreizehnten Kaffeepause schienen sie wieder eine Spur weniger tot als vorher und so konnte das endlose Hearing fortgesetzt werden.

Nach Oswalds Radwegen und Hansjörgs Maulwurfthema hatte noch Manfred eine Brandrede für die Rechte der Schwulen und Lesben vom Stapel gelassen und seiner jahrelangen Forderung nach einer Schwulen- und Lesbenquote lautstark Nachdruck verliehen.

„Seit Jahren haben wir die Frauenquote, es gibt bei uns keine Wählerliste ohne Frauenquote. Eins zu Eins. Eine Frau, ein Mann, eine Frau, ein Mann, immer schön abwechselnd. Ich verlange, dass wir heute endlich diese Kette erweitern auf eine Frau, eine Lesbe, ein Mann, ein Schwuler, eine Frau, eine Lesbe, ein Mann, ein Schwuler und so weiter, ist ja nicht so schwer zu verstehen, oder?“

„Und ich will eine Vegetarierliste“ schrie Hans aus dem Publikum dazwischen.
„Was willst du?“ Alexandra war sichtlich genervt, schließlich war sie für den Ablauf der verdammten Veranstaltung verantwortlich. Aber wie sollte man einen vernünftigen, geregelten Ablauf organisieren, wenn die Protagonisten auf ihre basisdemokratischen, statutarisch verbürgten Rechte auf endlose Reden und Zwischenrufe im Interesse der Sache bestanden?

„Hör zu, du brauchst nicht zu fragen, du hast schon richtig verstanden“ pfauchte Hans zurück, „eine Vegatarierquote!“
„Liste hast du gesagt, nicht Quote!“
„Ist ja gut, ich hab natürlich Quote gemeint, also stelle ich den Antrag, dass wir eine Vegetarierquote einbauen, konkret, damit es jeder versteht, sollten künftige Listen von Wahlvorschlägen, wie zum Beispiel für Gemeinderatswahlen so gereiht werden, dass immer abwechselnd eine Frau, eine Lesbe, eine Vegetarierin, ein Mann, ein Schwuler, ein Vegetarier und so weiter an die Reihe kommen. Aber weil wir gerade beim Thema sind, möchte ich sowieso, dass bei uns nur mehr Vegetarierinnen und Vegetarier das passive Wahlrecht bekommen, wie kommen eigentlich unsere armen Tiere dazu, dass sie ununterbrochen…“

„Aus“ schrie jetzt Alexandra dazwischen, „aus! Du bist nicht am Wort, ja was glaubt ihr denn, wo wir hier sind? Basisdemokratie hin oder her, etwas Disziplin wird man ja doch wohl verlangen dürfen. Ich werde morgen meinen Antrag auf Abänderung der Statuten zur Abstimmung bringen, so geht das nicht mehr. Wir müssen die Redezeit begrenzen, und über die Quoten müssen wir auch einmal qualifiziert debattieren. Aber dazu morgen mehr, und jetzt ist immer noch Manfred am Wort!“
„Danke Alex. Jetzt hab ich den Faden verloren. Wo war ich?“
„Bei der verdammten Quote!“
„Ja, genau. Somit habe ich alles gesagt und fordere eine Abstimmung über meinen Antrag, der auch schriftlich vorliegt.“
„Abstimmen tun wir morgen“ beschied Alex „Hans, jetzt bist du am Wort und bitte nicht zu lang, wir wissen eh schon alle, was du vorbringen wirst, eine Vegetarierquote oder?“

Hans spaziert gemütlich zum Rednerpult, legt ein paar Zettel bereit, schaut in die Runde der mit dem Schlaf kämpfenden Delegierten, nestelt in seiner Hosentasche, fischt ein Feuerzeug heraus und zündet seine Unterlagen an. Natürlich schlägt sofort der Rauchmelder an, Sirenen heulen auf, strickende oder stillende Delegiertenmütter beginnen sich zu bewegen, Alex schreit nach dem Hotelmanager, er möge doch endlich diese verfluchten Sirenen ausschalten und Hans grinst wie ein verliebter Schneehase über das Rednerpult in die Runde.

„So, Leute, jetzt mal alle aufgewacht“ schreit er ins Mikro. „Jetzt reicht es aber wirklich. Euch ist es ja völlig egal, welch bescheuerten Antrag man hier einbringt, Hauptsache, er ist basisdemokratisch!“

„Jeder von uns weiß, dass Manfred heute mit einem Bus aus dem Unterland angereist ist, einem Bus voller Unterstützer. Leute, die er letzte Woche als Mitglieder angemeldet hat, denen er die zehn Euro Mitgliedsbeitrag einbezahlt hat und denen er je 50 Euro Taschengeld in die Hand gedrückt hat, damit sie heute für ihn stimmen, damit er an zweiter Stelle auf die Landesliste kommt. Alles legal, entspricht haargenau unseren Statuten. Nur: Der Manfred ist leider ein Depp. Ich will diesen Menschen nicht im Landtag haben und die meisten von euch auch nicht, aber er wird dennoch gewählt werden, denn wir haben ja diese gottverdammte basisdemokratische Wahlordnung.“

Am Tisch von Manfred regt sich etwas. „Meint Mann uns, Chef?“ lallt ein Neomitglied, ein kosovarischer Asylant, während seine Sitznachbarin, eine farbige Schönheit, Empörung mimt, worauf ihr Manfred „Halt´s Maul, ich bezahl dich ja, oder?“ zuflüstert. „Ja, schon, Chef, aber Beleidigung kostet extra, is gut, Chef?“

„Spinnt ihr denn völlig?“ fährt Hans fort. „Radwege? Tunnel? Schwule und Lesben in die Landesregierung? Sind das unsere vorrangigen Probleme? Die Leute sind am Ende! Wenn wir so weiter machen, dann sind wir auch am Ende. Dann bleiben uns 6 oder 7 Prozent, wo doch 25 oder 30 Prozent ganz locker drinnen wären. Die Menschen wissen nicht, wie sie ihr Heizöl bezahlen sollen, während die Banken noch höhere Boni vergeben als je zuvor, und wir über Schwulenquoten nachdenken.“

„Ich möchte zum x-ten Mal unsere Wahlordnung in Frage stellen und verlange von euch eine Änderung. Ja, ich verlange! So, wie wir jetzt vorgehen, können wir bereits beim nächsten Wahlgang feindlich übernommen werden, wie es Industriekapitäne formulieren würden. Unsere Abgeordneten sind käuflich, bitte seht das doch endlich ein. Mein Beispiel von Manfred ist nur der Anfang. Jeder Delegierte zum Nationalrat oder Bundesrat ist mit einem Tausender zu kaufen. Wenn ich mich auf die Wahlliste für den Nationalrat eintrage, dann 50 oder 60 Leute aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis oder auch sonst woher ein Monat vorher als Parteimitglieder anmelde, denen die jeweils 10 Euro Jahresbeitrag zahle, dann sind diese wahlberechtigt und dann kann ich bei meinem öffentlichen Hearing völlig besoffenen Unsinn von mir geben, spielt keine Rolle, wenn mich meine Leute wählen, dann bin ich gewählt, aus, basta. Basisdemokratisch gewählter Abgeordneter mit acht oder neun Tausendern pro Monat. Kein schlechtes Geschäft, oder? Also noch mal. Ich ersuche euch, morgen bei den Abstimmungen, diesem meinem Antrag eure Zustimmung zu geben, sonst können wir uns gleich selbst auflösen. Danke!“

Ich erwachte schweißgebadet, ging duschen, zog frische Kleidung an und marschierte ins Büro der Grünen Partei. Dort fragte ich eine nette Frau, ob ich wohl bitte ihre Statuten bekommen könne.
Ja, natürlich, sagte sie. Aber die hat noch nie jemand angefordert, darf ich fragen, warum sie unsere Statuen lesen möchten?
Oh, nichts besonderes. Ich überleg mir nur umzusatteln!


Hannes Hofinger

Hannes Hofinger (* 21. Dezember 1947 in St. Johann in Tirol) ist ein österreichischer Schriftsteller, Bibliothekar und Verleger. Hannes Hofinger ist Chronist und Heimatforscher und verlegt vor allem Kleinodien aus der Umgebung von St. Johann in Tirol.

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