H.W. Valerian
Das Nasobēm
Zu Christian Morgenstern
Essay
Mit größtem Vergnügen hab’ ich Ronald Weinbergers Beitrag zum Dadaismus samt seiner eigenen Verse gelesen. Ich hoffe, er ist mir nicht gram, wenn ich sage, sie erinnern mich an Christian Morgenstern.
Das soll nämlich keine hochnäsige Abkanzelung sein, wie wir sie in unserer schriftstellerischen Jugend allzu oft zu hören bekamen: Na ja, das hat schon Karl Kraus gesagt, aber natürlich viel besser. Immer hatte irgendwer schon gesagt, womit wir uns herumschlugen, und natürlich viel besser. Selbst wenn Marx oder Trotzki herhalten mussten.
So mein’ ich das nicht. Ganz im Gegenteil – ich freu’ mich! Ich winke Herrn Weinberger aus der Ferne zu, lachend, übers ganze Gesicht strahlend. Wie schön, dass es so was noch gibt!
Ich weiß nicht, wie’s um Morgensterns Reputation derzeit bestellt ist. Als ich auf der Uni war, da hat ihn unser hochverehrter Herr Professor Doppler bloß ein einziges Mal erwähnt, im Zusammenhang mit Dada, versteht sich, und zwar das Gedicht Fisches Nachtgesang. Das besteht, wie sich manche vielleicht erinnern, lediglich aus Längen- und Kürzen-Symbolen, in Fischform arrangiert. Ich getrau mich nicht, es hier nachzuzeichnen, weil man nie weiß, wie so was auf fremden Bildschirmen rüberkommt. Ebenso gut könnte man in diesem Zusammenhang aber das ästhetische Wiesel zitieren.
Ein Wiesel
saß auf einem Kiesel
inmitten Bachgeriesel.
Wißt ihr,
weshalb?
Das Mondkalb
verriet es mir
im stillen:
Das raffinierte Tier
tat’s um des Reimes willen.
Das führt uns zum eigentlichen Grund, warum mir Morgenstern eingefallen ist: nämlich sein Bestiarium. Am ausgeprägtesten vielleicht dargelegt in seiner Geschichte von der glücklichen Ehe.
Der Nachtschelm und das Siebenschwein,
die gingen eine Ehe ein,
oh wehe!
Sie hatten dreizehn Kinder, und
davon war eins der Schluchtenhund,
zwei andre waren Rehe […]
Und so weiter, inklusive Rabenmaus und – oh Wunder! – ein Siebenschwein, das lebte in Burgunder (ein Reim, der meinem Vater ganz besonders gefiel).
Von zehn bis dreizehn ist nicht klar; –
doch wie dem auch gewesen war,
es war eine glückliche Ehe.
Ein weiteres Getier Morgenstern’scher Provenienz darf ich dem Leser ebenfalls nicht vorenthalten, immerhin kann ich das Gedicht heute noch auswendig:
Auf seinen Nasen schreitet
einher das Nasobēm,
von seinem Kind begleitet.
Es steht noch nicht im Brehm.
Es steht noch nicht im Meyer.
Und auch im Brockhaus nicht.
Es trat aus meiner Leyer
zum ersten Mal ans Licht.
Auf seinen Nasen schreitet
(wie schon gesagt) seitdem,
von seinem Kind begleitet,
einher das Nasobēm.
Dieses seltsame Wesen gehörte zu den oft zitierten Lieblingen meiner Mutter.
Wie man sieht, spielten Morgensterns Verse in unserer Familie eine bedeutende Rolle – sie gehörten quasi zu unserer Familienkultur. Eigentlich ging das von unserer Mutter aus. Bei passender Gelegenheit gemurmelt, hatten die Verse ihr und einem Bürokollegen durch die Kriegsjahre geholfen. Bei uns genügten hingeworfene Zeilen oder Wendungen, um das zu untermalen, wovon wir sprachen.
Ich will die Leserschaft nicht allzu ausgiebig plagen mit Zitaten, obwohl mir so viele einfielen. Aber das ist alles leicht nachzulesen. Ich verwende hier – oft bloß zur Kontrolle – die Reclam-Ausgabe der wichtigsten Werke Morgensterns. Zu Ehren meines Vaters muss ich jedoch noch ein Gedicht zitieren. Es trägt den Titel Himmel und Erde.
Der Nachtwindhund weint wie ein Kind,
derweil sein Fell von Regen rinnt.
Jetzt jagt er wild das Neumondweib,
das hinflieht mit gebognem Leib.
Tief unten geht, ein dunkler Punkt,
querüberfeld ein Forstadjunkt.
Dieser Forstadjunkt hatte es meinem Vater besonders angetan.
Und jetzt haben wir noch gar nicht über die tiefsinnigeren Gedichte Morgensterns gesprochen, und Platz (oder Zeit) sie alle zu zitieren, ist auch nicht mehr. Die Schildkrökröte zum Beispiel.
Ich bin nun tausend Jahre alt
und werde täglich älter…
Oder Die beiden Esel:
Ich bin so dumm, du bist do dumm,
wir wollen sterben gehen, kumm!
Bekannt mag vielleicht der Lattenzaun sein, dem der Zwischenraum um hindurchzuschaun abhanden kam. Der Urheber dieses Skandals jedoch entfloh nach Afri – od – Ameriko. Und so weiter, und so fort. Die Möwen sehen alle aus, als ob sie Emma hießen…
Ein Gedicht muss ich aber doch noch anführen, da es mich durch mein Leben begleitet hat, während sich seine Treffsicherheit immer und immer wieder bestätigte. Deswegen kann ich’s ebenfalls auswendig:
Ein Hecht, vom heiligen Antōn
bekehrt, beschloss, samt Frau und Sohn,
am vegetarischen Gedanken
moralisch sich emporzuranken.
Er aß seit jenem nur noch dies:
Seegras, Seerose und Seegries.
Doch Gries, Gras, Rose floß, o Graus,
entsetzlich wieder hinten aus.
Der ganze Teich ward angesteckt.
Fünfhundert Fische sind verreckt.
Doch Sankt Antōn, gerufen eilig,
sprach nichts als: Heilig! heilig! heilig!
Genug! Ich hoffe, Kollege Weinberger fasst meinen Enthusiasmus als Tribut an seine literarischen Vorlieben auf. Ist es unbescheiden, auf mehr zu hoffen? Um ihn ein bisschen anzuspornen, nehme ich mir die Freiheit, mit einem Produkt aus eigener Fechsung zu schließen. Ich kann zwar reimen, aber leider immer nur in Einzelfällen; ein richtiger Dichter bin ich folglich nicht.
Die Beulenmaus, die Beulenmaus,
die trippelt durch das ganze Haus.
Sie schaut nicht links, sie schaut nicht rechts,
sie stutzt nur, wenn die Stiege ächzt.
Im Keller sucht sie Körnerfraß,
am Boden frisst sie Grissigras.
Die Beulenmaus, die Beulenmaus,
die folgt dir durch das ganze Haus.
Du hörst sie nicht, du siehst sie nicht,
du riechst sie nur – ganz widerlich.
Christian Morgenstern, Galgenlieder. Palmström. Palma Kunkel. Der Gingganz (Universal-Bibliothek Nr.9879, Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1978)
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