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Ronald Weinberger
Reise-Impressionen: China, Taiwan, Singapur
5. Ein widerständiges Eiland und ein blühender Stadtstaat

Ach, Taiwan! Du hast mich geschockt, als ich dich 1976 zum ersten Mal besuchte! Wenn ich bloß daran denke, wie meine Augen beim Anflug, kurz vor der Landung, nach den sicherlich zahlreichen mit bekanntlich flott geschwungenen Hausdächern geschmückten chinatypischen Gebäuden Ausschau hielten – und keine fanden. Hingegen grauslige graue Betonbauten sonder Zahl.

Wie schmerzhaft obszön fand ich den Müll in deiner Hauptstadt Taipei! Dort, unweit des Stadtrands, angeschmiegt an eine üppig grüne Berglandschaft, im Stadtteil Beitou, bogen sich die Straßen und Gassen geradezu unter mindestens knöchel-, meist aber kniehohem Abfall jeglicher Art an den Straßen- und Gassenrändern. Müllentsorgung war dir wohl unbekannt, nicht wahr? Dementsprechende Disziplin bei der unmäßig rasch wachsenden Bevölkerung ebenso, stimmt’s? Wäre mein Anliegen, dich zu besuchen, touristischer Natur gewesen – ich hätte dich fortan verschmäht. So aber …

Wertes Taiwan! Nicht nur private Gründe, nein, ebenso dein rascher Fortschritt, ließen mich dich in Folge immer häufiger besuchen. Heute bist du, seit vielen Jahren, ein Vorbild, nicht nur an Sauberkeit. Solltest längst ein Modell sein für unsere Städte, die mit dir an Reinlichkeit ohnehin, eventuell auch an optimierter Durchorganisation in vielen Bereichen, kaum konkurrieren können. Deine Bevölkerung nimmt kaum noch zu, ist auffallend diszipliniert und gebildet – und du wurdest vor ganz wenigen Jahren, als es eine globale Umfrage unter Expatriates gab, in welchem Land man der Freundlichkeit und Zugänglichkeit der Einheimischen wegen am besten leben könne, an die erste Stelle gereiht.

Liebes Taiwan! Leider bist du halt gar dicht bevölkert. Auf deiner Fläche, die magere 43 % der Fläche Österreichs umfasst, drängen sich 23 ½ Millionen Einwohner. Dennoch gibt es genug Landschaften, die arm an Bewohnern, dafür reich an Schönheit sind. Etwa die Gegend um den berühmten Sonne-Mond-See, der mit knapp 8 Quadratkilometern Größe das stattlichste deiner Binnengewässer darstellt. Oder die 19 km lange, in Marmorgestein verlaufende grandiose Taroko-Schlucht, in die in extrem mühsamer Handarbeit eine Straße, die vor allem von Soldaten, die nach dem verlorenen Bürgerkrieg aus Festlandchina stammten und einer Beschäftigung bedurften, in das harte Gestein hineingemeißelt wurde.

Reiches Taiwan! Du hast dich durch den Fleiß deiner Bewohner, aber nicht zuletzt auch mit Hilfe der Amerikaner, in ein auch wirtschaftlich prosperierendes Land verwandelt. Und erst deine Kunstschätze! Chiang-Kai-shek hatte, bevor er 1949 endgültig Taiwan zum Refugium der Anti-Mao-Truppen erkor, zahllose der wertvollsten kulturellen Zeugnisse der Jahrtausende alten chinesischen Kultur nach Taiwan bringen lassen. Jeweils einen kleinen Teil dieser großartigen Kunstschätze – angeblich mehr als eine halbe Million Einzelstücke! – kann man im National Palace Museum in Taipei besichtigen. Alleine deswegen zahlt sich eine Reise zu dir aus!

Armes Taiwan! Du willst selbständig bleiben, aber deine Chancen dafür schwinden. China will, so liest und hört man, dich endlich „heim ins Reich“ führen. Wohl hast du ein starkes Militär, aus- und aufgerüstet durch die USA, wirst kurz Widerstand leisten können, aber niemand wird dir, wenn es soweit ist, helfen. Ja, es werden starke Worte fallen, aber wie heißt es so unschön: „It’s the economy, stupid!“ („Auf die Wirtschaft kommt es an, Dummkopf!“). Zu eng sind die Verflechtungen westlicher Länder mit der chinesischen Ökonomie, als dass es zu mehr als Sonntagsreden reichen wird. Bloß: Noch ist es nicht soweit. Vielleicht gilt auch für die chinesischen Kommunisten: Bellende Hunde beißen nicht. Ich will das hoffen – und freue mich bereits jetzt auf meinen nächsten Besuch, einer „ganz besonderen“ Insel.

Sehr geehrtes Singapur! Bedauerlicherweise kann ich nicht mehr eruieren, wann exakt ich dich zum ersten Mal zu besuchen vermochte. Soweit ich mich entsinnen kann, war dies ein ein- oder zweitägiger Zwischenaufenthalt auf dem Weg zu einer wissenschaftlichen Konferenz in Australien, vor maximal einem Vierteljahrhundert. Einen „sterilen“ Eindruck hinterließest du bei mir. Modern, ja. Ultrasauber, zugegeben. Nichts, was mich dazu animiert hätte,  in absehbarer Zeit, gar im Rahmen eines mehrtägigen Aufenthalts, erneut zurückzukommen. Dazu kam eine Art Donnerschlag, als ich aus dem Flughafengebäude trat und mich einem Taxi anzuvertrauen wünschte: welch unvermittelt grausame schwüle Hitze!

Sehr verehrtes Singapur! Waren es in summa vier oder gar fünf Aufenthalte, die ich absolvierte? Vier davon reminisziere ich mit Gewissheit. Ich gehe mithin von vieren aus. Der zweite Besuch dürfte annähernd ein Dezennium zurückliegen. Meine Gattin samt meiner Wenigkeit hatten hierfür von vornherein den Plan entworfen (und realisiert), nach mehreren Tagen genießerischen Aufenthalts einen Komfortzug zu besteigen, um nach Kuala Lumpur zu gelangen. Genießerisch, da wir uns an der kulinarischen Vielfalt, die Singapur bietet, erfreuten, den wundervollen botanischen Garten mit seiner überbordenden Orchideen-Pracht beäugten, uns an der märchenhaften abendlichen Stimmung entlang der Orchard Road delektierten, kurz, eine höchst angenehme Zeit verbrachten. In unmittelbarer Nähe des Bahnhofs, am Rande einer Grünfläche bescheidener Größe, erblickte ich dann etwas, das ich seltsamerweise beinahe wie einen Akt der Erlösung empfand: ein bisschen achtlos hingeworfener Müll! Auch sonst schien die seinerzeit von mir als unangenehm empfundene Sterilität wie weggezaubert!

Exzellenz! Singapur! Im Jänner vor vier Jahren und ein volles Jahr später war es uns vergönnt, erneut unsere Aufwartung zu machen. „Uns“ hieß beide Male vier Personen, da wir meine Cousine und ihren Lebenspartner bei uns hatten. Mon Dieu, wie herausragend schön die Stadt geworden war! Superb! Grüner als je zuvor mit der staatlich verordneten Begrünung der Außenfassaden der neu errichteten Gebäude. Wahrhaft eine Gartenstadt par excellence. Noch dazu die neu angelegten hinreißende Gardens by the Bay, die, da mit viel Kunst und vielfältigstem Grün und Bunt ausgestattet, Singapur zunehmend zu einer „Stadt im Garten“ mutieren lassen. Dazu noch das dortselbst errichtete Superhotel namens Marina Bay Sands mit seinem von Anfang an weltberühmten Infinity Pool. Wir wohnten dort ein paar unvergessliche Tage lang.

Ich bin so vermessen, geschätzte Leser, Ihnen zu verraten, dass ich wohl nicht exorbitant oft, aber dennoch nennenswert auf der Welt herumgekommen bin und beispielsweise eine Anzahl von Städten kennenlernen durfte, die als weithin anerkannte Repräsentanten für exzeptionell hohe städtische Attraktivität figurieren. Singapur ist, glauben Sie mir, die schönste, die eleganteste von allen. Chapeau!

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Ronald Weinberger

Ronald Weinberger, Astronom und Schriftsteller, 1948 im oberösterreichischen Bad Schallerbach geboren, war von 1973 bis 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Von 1977 bis zum Pensionsantritt im Dezember 2011 war Weinberger an der Universität Innsbruck am Institut für Astronomie (heute Institut für Astro- und Teilchenphysik) als Fachastronom tätig. Als Schriftsteller verfasst Weinberger humorvolle Kurzgedichte und Aphorismen, aber auch mehrere Sachbücher hat er in seinem literarischen Gepäck: Seine beiden letzten Bücher erschienen 2022 im Verlag Hannes Hofinger, im Februar das mit schrägem Humor punktende Werk "Irrlichternde Gedichte" und im September das Sachbuch „Die Astronomie und der liebe Gott“ mit dem ironischen, aber womöglich zutreffenden, Untertitel „Sündige Gedanken eines vormaligen Naturwissenschaftlers“.

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