Franz Mathis
Wie nahe steht uns Südtirol?
Notizen
Es ist kaum zu glauben – um nicht zu sagen, erschreckend –, wie sehr nationale Grenzen unser Bewusstsein bestimmen! Über Jahrhunderte infolge von Kriegen und Verträgen entstanden, können sie in positiver Hinsicht ein Identität stiftendes Gefühl der Zusammengehörigkeit schaffen, in negativer Hinsicht allerdings zu Ausgrenzung, Ablehnung und – wie in den beiden Weltkriegen des vorigen Jahrhunderts – zu Gewalt und Millionen von Toten führen.
Ein harmloses, wenn auch nicht weniger denkwürdiges Beispiel für die Macht von Grenzen bot sich vor kurzem im Sport.
Beim Tennisturnier in der Wiener Stadthalle gelang es dem US-Amerikaner Frances Tiafoe, sich in die Herzen des Publikums zu spielen. So auch am Samstag im Halbfinale gegen den Südtiroler Yannik Sinner, der nach dem gewonnenen ersten und einer klaren Führung im zweiten Satz schon wie der sichere Sieger aussah.
Getragen von der lautstarken Unterstützung durch das Publikum gelang es jedoch dem Amerikaner, das Spiel noch umzudrehen und nach drei Sätzen als Sieger vom Platz zu gehen. So weit, so gut – oder eben nicht so gut.
Denn einer der Kommentatoren auf Servus TV wies darauf hin, dass eine derartige Stimmung die Stadthalle bisher nur dann zum Beben brachte, wenn ein Österreicher wie etwa Thomas Muster oder Dominic Thiem am Platz stand.
So gesehen war es das Pech von Yannik Sinner, statt im Osttiroler Sillian im benachbarten und nur wenige Kilometer entfernten, aber jenseits der Grenze gelegenen, italienischen Innichen geboren worden zu sein.
Aus einem Land, nämlich Südtirol, das seit dem Mittelalter zum habsburgischen Österreich gehört hatte, war 1919 durch den Friedensvertrag von St. Germain eine ausländische Provinz geworden. Statt in der Stadthalle zum umjubelten, frenetisch angefeuerten Landsmann wurde Sinner zum wenig unterstützten Ausländer – für den international bereits mehrfach erfolgreichen, obwohl erst 20-jährigen Südtiroler eine besonders bittere Erfahrung, da er sie nicht irgendwo in der Welt, sondern ausgerechnet in der ehemaligen Hauptstadt seiner Heimat machen musste.
Bleibt nur zu hoffen, dass sich ein derartiger Sinneswandel auf den Sport beschränken und niemals in die Sphären der Politik Eingang finden möge.
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Es ist traurig, aber wahr: In unserer Welt – besonders in jener des Spitzensportes – herrscht der
Nationalismus bzw. der Showismus. Jener der der sich besser (medial) „verkauft“, bekommt den
Applaus bzw. die (mentale / mediale) Unterstützung.