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Franz Mathis
Bahnträume und Autowirklichkeit
Notizen

Wer mit offenen Augen durch die Welt geht und wer aufmerksam die Berichterstattung in Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen verfolgt, muss sich eingestehen, dass die Hoffnung auf eine Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene ein grüner Traum bleiben wird, der sich immer mehr von der Realität entfernt. 

Dazu einige Daten und Fakten:


1. Wenn zu Ende des Jahres 2023 rund 270.000 Menschen ein Klimaticket für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel besaßen, waren dies zwar deutlich mehr als ein Jahr zuvor (207.000), aber noch immer nur etwa 3 Prozent der österreichischen Bevölkerung. 

Ihnen stehen rund 5 Millionen oder fast 20 Mal (!) so viele PKW-Besitzer gegenüber. Und wenn man bedenkt, dass viele der Klimaticket-Besitzer schon vor der Einführung des Tickets mit Öffis gefahren sind, fällt der gewünschte Verlagerungseffekt noch bescheidener aus.

2. Der PKW-Verkehr ist aber nicht nur nicht weniger geworden, sondern hat sogar zugenommen, und zwar allein auf der Brennerautobahn sowohl gegenüber 2022 als auch im längeren Zeitraum seit 2010. 

Dass sich angesichts einer solchen Entwicklung und als Folge der offenbar unschlagbaren Vorteile einer direkten Haus-zu-Haus-Verbindung mit dem eigenen PKW der Anteil der mit der Bahn nach Tirol reisenden Touristen von derzeit weniger als 10 Prozent in den nächsten Jahren wesentlich erhöhen wird, ist schwer vorstellbar.

3. Kaum anders verhält es sich mit dem LKW-Verkehr, wo die Zahl der über den Brenner fahrenden LKW im vergangenen Jahr zwar leicht rückläufig war, aber immer noch weit über dem Wert des Jahres 2010 lag.

4. Parallel zum Anstieg des LKW-Transits hat sich laut ORF Tirol vom 1. Februar die Zahl der in Tirol auf die Bahn (Rollende Landstraße) verladenen LKW zwischen 2010 und 2022 von jährlich 245.000 auf nur noch 126.000 halbiert!

5. Vor dem Hintergrund solch ernüchternder Zahlen wäre ernsthaft zu überlegen, ob der im Bau befindliche Brenner Basistunnel nicht besser von einem Bahntunnel auf einen Straßentunnel umgeplant werden sollte (vgl. Blog-Beitrag vom 16.11.2021). 

Damit könnten an Werktagen die LKW und an den Wochenenden die PKW in den Tunnel verlagert und auf diese Weise das gesamte Wipptal mit einem Schlag vom Durchzugsverkehr befreit werden.

6. Über eine solche Entlastung können sich dank der Errichtung mehrerer Straßentunnel schon seit längerem die Gemeinden im Oberinntal und im Stanzertal freuen.

7. Aus diesem Beispiel könnte man schon längst auch für die Strecke über den Fernpass lernen, wo zwar die Gemeinden Nassereith, Lermoos, Biberwier und Ehrwald bereits umfahren werden, aber erst ein Straßentunnel durch den Tschirgant und den Fernpass auch die Gemeinden Obsteig und Tarrenz vom belastenden Durchzugsverkehr befreien würde.

8. Wenn es im Oberinntal und Stanzertal möglich war, die vielen Tunnel ohne eigene Mautgebühr zu bauen und zu benützen, gibt es keinen Grund, warum dies nicht auch beim Fernpass möglich sein sollte.

9. Wenn jedoch die neue Verbindung ins Außerfern ohne Maut befahren werden könnte, bräuchte es auch keine Befürchtung bezüglich einer Verlagerung des Verkehrs auf andere Routen wie die Straße über das Hahntennjoch, den Zirler Berg oder entlang des Achensees geben.

10. Im Gegenteil, mit einer leichteren Verbindung zwischen Inntal und Außerfern würde vielleicht sogar ein Teil des Verkehrs von diesen Straßen abgezogen und damit weitere Gemeinden entlastet werden.

Abschließend eine kleine Anekdote aus einem Gespräch mit einem Verantwortlichen der Rollenden Landstraße. Obwohl auch er nicht so recht an eine Verlagerung auf die Schiene glauben wollte, freue er sich doch über jeden einzelnen LKW, der die RoLa benütze. 

Mag sein, dass er sich auf diese Weise die Freude an seinem Beruf bewahrt, für die geplagten Anrainer der Autobahn hingegen ist dies alles eher als ein Trost.

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Franz Mathis

Geboren in Hohenems (Vorarlberg) 1946, Studium der Geschichte und Anglistik an der Universität Innsbruck, Mag. phil. 1971, Dr. phil. 1973, Habilitation aus Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1979, ordentlicher Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte seit 1993. Forschungsaufenthalte in England und den USA, Gastprofessor an den Universitäten Salzburg, New Orleans (USA), Trient und Bozen. Studiendekan der Geisteswissenschaftlichen Fakultät, Rektorsbeauftragter der Universität Innsbruck für die Partnerschaft mit der University of New Orleans, Vorstandsmitglied der Internationalen Gesellschaft für historische Alpenforschung, Schriftleiter der Tiroler Wirtschaftsstudien. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: vergleichende Stadtgeschichte, vergleichende Unternehmensgeschichte, Dritte Welt, allgemeine Wirtschaftsgeschichte Zusammenhänge und Grundlagen sozio-ökonomischer Entwicklung.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Rainer Haselberger

    Ich finde interessant, dass man in Tirol das Verkehrswachstum durch umfangreiche Straßenneubauten bekämpfen will.
    Das ist so wie „Abnehmen durch mehr essen“!

  2. Andreas Niedermann

    Man muss endlich mal zur Kenntnis nehmen, dass der Begriff, der in unserer Gesellschaft über allem thront ein einsilbiges, kurzes Wort ist: Mehr.
    Mehr Fahhrräder und gleichzeitig mehr Autos. Mehr Scooter triggern mehr Autos und Fahrräder. Mehr und billigerer Zug, mehr Leute, die herumfahren wollen. (Warum? Keine Ahnung.)
    Selbst mehr weniger wäre mehr.
    Warum? Keine Ahnung.
    Und weil es keine Lösungen gibt, gibt es auch keine Probleme …

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