Elias Schneitter
Ein gutes Pferd zieht noch einmal.
Fortsetzungsroman
Folge 9
Hausbau im Weingarten

Zwei Menschen auf der Suche nach etwas Glück. Eine Geschichte, getragen von Elias Schneitters – bei aller kritischen Distanz – warmherziger Empathie für die sogenannten einfachen Leute, denen auch noch unter den schwierigsten Umständen die Möglichkeit eines zuletzt guten Lebens erhalten bleibt.

Hintergrund der Erzählung ist die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Krieg. Die Ehe der beiden Hauptpersonen steht unter keinem guten Stern. Trotzdem stellen sie sich den Fährnissen des Schicksals, getrieben von der Sehnsucht nach einem halbwegs menschenwürdigen Dasein, nach etwas Wohlstand, vor allem aber nach ein wenig Freundschaft und Liebe.


9. Kapitel

Mein Heimatdorf Zirl war wegen seiner klimatischen Bedingungen lange Zeit der einzige Ort in Nordtirol, wo Weinanbau möglich war. In den Fünfzigerjahren wurden noch drei Weingärten betrieben, einer im Windschatten der monumentalen Martinswand, die wie ein großer Wärmespeicher wirkte und Reben gedeihen ließ, ein zweiter, sogar mit Buschenschank, unterhalb des Kalvarienberges und ein dritter, kleinerer, am westlichen Dorfende.

Diesen betrieb ein Mann, der aus Südtirol zugezogen war und den alle den Seaper nannten. Er war inzwischen ein älterer Herr und die anfallenden Arbeiten konnte er kaum noch bewältigen. Auch hatte er eine kränkelnde Frau zu versorgen, die vermehrt seine Hilfe benötigte. Ihre Ehe war kinderlos geblieben und so fasste er den schweren Entschluss, seinen Weingarten in andere Hände zu geben.

Durch die Hanglage und weil der Weinberg außerhalb des Ortes lag, war der Platz eigentlich nicht für einen Hausbau geeignet. In der näheren Umgebung stand nur ein Haus. Nördlich erhob sich eine hohe Felswand und sonst war der Weinberg nur von Wiesen und Äckern umgeben, wo Mais und Kartoffeln angebaut wurden und wo noch mit Pferden umgepflügt wurde.

Zum Weingarten führte nur ein schmaler Feldweg, mit einem Grünstreifen in der Mitte, ein Privatweg, der uns in späteren Jahren noch einiges an Kopfzerbrechen bereiten sollte. Trotzdem war es damals kein Problem, eine Baubewilligung für diesen unerschlossenen Platz zu bekommen.

Um diesen Weingarten erwerben zu können, schenkte die Großmutter meinen Eltern ihre gesamten Ersparnisse, einen Geldbetrag von dreitausend Schilling, die sie durch den Verkauf einer Wiese bekommen hatte. Die einzige Gegenleistung bestand darin, dass mein Vater ihr einen Kleiderkasten aus Vollholz anfertigen musste.

Mit diesem Geld konnten meine Eltern den gesamten Weingarten vom alten Seaper erwerben. Ihm lag zwar noch das Angebot eines Innsbrucker Kaufmannes vor, der bereit gewesen wäre, für den idyllischen Weingarten einen höheren Betrag als jenen, den meine Eltern aufbrachten, zu bezahlen. Trotzdem erhielten meine Eltern den Zuschlag, weil dem alten Seaper der Innsbrucker Kaufmann nicht vertrauenswürdig erschien.

So unternahmen meine Eltern einen neuen Versuch, ein Haus zu bauen. Das war 1960, und damals wurde noch anders Haus gebaut als heute, wo inzwischen Einfamilienhäuser durch den technischen Fortschritt fast schon über Nacht aus dem Boden gestampft werden.

Der Aushub für das Kellergeschoß wurde mit Pickel und Schaufel und Scheibtruhe in Angriff genommen. Bei unserem Haus brachte die Hanglage den Vorteil, dass nur der hintere Teil in der vollen Tiefe ausgehoben werden musste, denn vorne sollte bis auf einen Meter der Keller im Freien stehen.

Durch die Schieflage des Grundstückes waren aber mehrere Mauerwerke notwendig, um ebene Flächen zu erhalten. Der Beton dafür wurde händisch gemischt, weil meinen Eltern keine Mischmaschine zur Verfügung stand. Der Schotter kam vom Schlossbach, den der Scheiring Friedl lieferte und der im Ruf stand, dass er bis zur Rechnungslegung immer längere Zeiträume verstreichen ließ und sehr günstig arbeitete. Er betrieb ein kleines Schotterwerk am Schlossbach und seine Eltern besaßen ein traditionsreiches Landgasthaus in der Bahnhofstraße, sodass er materiell nicht so unter Druck stand.

Damals war es beim Bauen üblich, dass der Großteil der Arbeiten selbst und unter Mithilfe von Freunden und Bekannten erledigt wurde. Das funktionierte durch die gegenseitige Nachbarschaftshilfe. Beim Grundaushub und beim Betonieren kamen Freunde und Bekannte, um Hand anzulegen, und zum Ausgleich half dann mein Vater wiederum bei diesen mit, wenn es darum ging, eine Betondecke oder eine Stiege oder eine Gartenmauer zu schalen oder wenn Tischlerarbeiten anfielen oder ein Dachstuhl abgebunden werden musste.

Auch ich als kleiner Stöpsel wurde damals für kleinere Hilfstätigkeiten herangezogen, was manchmal auch Spaß machte, denn wenn auch hart gearbeitet wurde, so kam die Unterhaltung nicht zu kurz. Späße wurden getrieben, Geschichten, Lügen und Anekdoten wurden aufgetischt, die die Arbeit leichter von der Hand gehen ließen.

Beim Betonieren wurde der Schotter zu einem länglichen Hügel aufgeschüttet. Dann kam der Zement oder der Mauerbinder darüber – meistens sehr sparsam. Am Scheitelpunkt des Schotterhaufens wurde mit der Schaufel eine Rinne gezogen, in die Wasser geschüttet wurde, worauf die beiden Schaufler, einer links, einer rechts, das Material durchzumischen begannen. Mit der Gießkanne wurde weiter Wasser darüber geschüttet, um dann alles ein weiteres Mal durchzuschaufeln.

Mit Scheibtruhen, oft noch mit Eisenrädern, wurde der Beton in die Schalung geschüttet und nachgestampft. Damals gab es auch noch keine Schaltafeln, sondern die Betondecken wurden mit Dreißigerbrettern eingeschalt und mit Kanthölzern abgestützt, die Eisenmatten aufgelegt und alles verdrahtet.

Ein besonderes Fest gab es immer, wenn eine Betondecke fertig war. Die Betondecken in unserem Dorf – und das ging noch viele Jahre so bis herauf in die Siebzigerjahre, ehe der Fertigbeton zum Einsatz kam – wurden in der Regel an Wochenenden gemacht, weil da Freunde und Bekannte Zeit hatten. Die Arbeiten gingen zumeist bis in den späten Nachmittag hinein und anschließend gab es ausgiebige Besäufnisse.

Auch ich sorgte einmal für große Unterhaltung. Wir betonierten gerade die Kellerdecke und es war Samstag und es regnete heftig und ohne Unterlass und es war sehr trist und alle waren bis auf die Haut nass und es war ungemütlich, bis ich meinem Vater die Frage stellte: Papa, warum beginnt man beim Hausbau nicht mit dem Dach? Dieser Geistesblitz sorgte für große Erheiterung, machte ganz rasch die Runde und brachte mir sogar eine Extralimonade ein und Jonny meinte dazu: Das wird noch ein pfiffiges Kerlchen.

Zum Weingarten gehörte auch eine kleine Holzhütte. Beim Eingang war ein romantisches Traubenspalier aufgezogen. In der kleinen, gemütlichen Hütte hatte der alte Seaper sein Werkzeug abgestellt, etwas Mobiliar und auch eine Couch, auf der er sich manchmal ein kurzes Nickerchen genehmigte.

Dieses Winzerhäuschen wurde vorübergehend auch zu unserem Zuhause. Vor allem für meine Eltern, die hier häufig nächtigten. Auch wir Kinder, die ja die meiste Zeit bei unseren Großmüttern untergebracht waren, schliefen hin und wieder hier.

Als junges Mädchen hatte meine Mutter manchmal die romantische Vorstellung gehabt, dass sie eines Tages einen begüterten Bauern heiraten würde, weil ihr die Landwirtschaft so sehr gefiel. Daraus wurde zwar nichts, aber jetzt konnte sie ihre landwirtschaftlichen Leidenschaften ein wenig ausleben, was ihr große Freude bereitete.

Neben der Arbeit in der Firma und der Arbeit am Bau beackerte sie den Hang neben der Holzhütte und legte Beete an und pflanzte Gemüse, Kraut, Salat, Bohnen, Tomaten, Karotten und Kartoffeln an und so gab es im Sommer Frisches und Gesundes aus dem Garten und im Herbst kamen noch jede Menge der besten und süßesten Weintrauben dazu.

Mit dem Hausbau ging es nur sehr schleppend voran. Aufgrund der besonders abgelegenen Lage des Grundstückes musste händisch eine Wasserleitung von gut dreihundert Metern Länge gegraben werden, um einen Anschluss an die örtliche Wasserversorgung zu haben.

Auch durch die notwendige Errichtung von Stützmauern verzögerte sich der Baufortschritt merklich, ganz abgesehen von den äußerst dürftigen finanziellen Mitteln, die die Sache auch nicht unbedingt beschleunigten.

Direktor Gstättner vom Ziegelstadel war bereits in Pension, sodass man dorthin keine Beziehungen mehr hatte. In Inzing, einem Nachbardorf, gab es ein Ziegelwerk, aber den Eltern fehlte das Geld zur Anschaffung der Ziegel. So wurden Schablonen fabriziert, um teilweise selbst Ziegelsteine aus Beton herzustellen. Stein für Stein.

Das nahm viel Zeit in Anspruch. Einmal erfuhr mein Vater von einem Mitbesitzer des Ziegelwerkes in Inzing, dass er kostenlos Bruchziegel haben könnte. Wieder wurde der Hirsch’n Friedl als Frächter herangezogen und er brachte eine Ladung Bruchziegel zu uns, die dann ein Maurer, mit Gottes Hilfe und etwas fluchen, wie mein Vater später immer sagte, verarbeitete.

Jedenfalls gelang es meinen Eltern unter schwierigsten Bedingungen, den Rohbau samt Dachstuhl aufzustellen, als es plötzlich zu einer völlig neuen Situation kam, die alles wieder durcheinanderbringen sollte.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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