Elias Schneitter
Schöne alte Welt
Erinnerungen
Je älter ich werde, desto öfter denke ich an meine Kindheit. Ich bin bei meiner Großmutter am Innweg in Zirl aufgewachsen. Der Innweg war eine kleine Arbeitersiedlung entlang des Ehnbaches, ein Landstrich, der für die Landwirtschaft unbrauchbar war und den die Gemeinde nach dem Krieg als billigen Siedlergrund jungen Familien zur Verfügung stellte.
Meine Großmutter bezog eine kleine Mindestrente, die zumindest für das Notwendigste reichte. Mein Großvater verstarb relativ jung und war in der schlechten Zeit meist arbeitslos und ausgesteuert. Als Krippen- und Kruzifixschnitzer konnte er seine Familie einigermaßen über Wasser halten.
Bei Großmutter hatte ich eine feine Zeit. Den Sommer über war ich mit Lederhose und barfuß oder mit Semper Turnschuhen unterwegs. Die Milch wurde andauernd sauer, weil wir natürlich keinen Kühlschrank hatten. Es gab auch nur kaltes Wasser im Haus, das vor allem im Winter immer wieder abfror, besonders in der Toilette.
Natürlich hatten wir auch keine Dusche oder Badewanne. Aber an jedem Samstag gab es im Keller der Volksschule eine Waschmöglichkeit, die 50 Groschen kostete. Das war nicht so wenig Geld.
Im Winter wurde nur die Stube mit einem gemauerten Ofen geheizt. Dieser hatte einige Risse und immer wieder entwich daraus Rauch. Im Keller hatte Oma das Holz aufbewahrt. In den Keller hinunter führte eine behelfsmäßige Treppe. Zumindest einmal im Winter fiel die Oma diese Treppe hinunter. Was nicht ohne Verletzungen wie etwa eine gebrochene Hand abging.
Im Winter brieten wir Äpfel am Ofen und legten Innsteine darauf, die wir mit ins Bett nahmen, damit uns warm war.
Natürlich hatten wir kein Auto, wie alle anderen Familien am Innweg auch nicht. In der Früh gingen die Männer zur Bushaltestelle und fuhren mit dem Postauto in die Arbeit. Am Abend kehrten die Männer zurück, einige legten einen Umweg ein. Zum Schwarzen Adler. Dann kamen sie häufig betrunken nach Hause.
Untertags waren die Frauen mit Kinderwagen und großen Taschen unterwegs, mit denen sie die Einkäufe erledigten. Für Oma musste ich das tun. Milch, ein kleines Schwarzbrot und Butter. Dafür brauchte ich keinen Zettel.
Manchmal musste ich die Frau Frankford, die Ladenbesitzerin, bitten, dass wir anschreiben konnten. Meine Oma sagte zu mir einmal, ich soll Frau Frankford sagen, sie hätte nur einen Hunderter daheim und den wolle sie mir nicht mitgeben.
Ich war ein aufgewecktes Bürschchen und sagte das auch ohne Skrupel zu Frau Frankford und fügte aber hinzu, dass die Oma in Wirklichkeit gar keinen Hunderter hatte.
Die gute Frau Frankford wurde von einem Lachkrampf geschüttelt und sie schenkte mir ein Schaumhaferl, das damals von der EZEB geliefert wurde. Oma, der ich alles erzählte, war es peinlich, aber sie machte mir keine Vorwürfe, wie sie überhaupt nie streng zu mir war.
Zwei Monate im Jahr waren etwas Besonderes: Der Mai und der November.
In diesen Monaten gab es immer die doppelte Rente, die noch der Briefträger ins Haus brachte. Als Kind hatte ich mir öfter einen Fußball oder Fußballschuhe oder eine Eisenbahn gewünscht. Wenn ich diese Wünsche meiner Oma sagte, dann meinte sie stets, wenn es den nächsten Doppelten gibt, dann schauen wir weiter.
Es gab zwar keinen Fußball oder Fußballschuhe oder gar eine Eisenbahn, aber dafür durfte ich mir beim Studl Toni weißblaue Semperit Turnschuhe kaufen. Auch schickte mich meine Oma in diesen Monaten zum Konditor Witting, um einen Nussstrudel zu holen.
Ein Nussstrudel mit Butter und ein Muckefuck war etwas ganz Besonderes.
Etwas ganz Besonderes war dann später auch das Kino-Cafe. Dort konnte man sich zum Mitnehmen ein Appetitbrot mit Wurst und Käse holen. Auch das leisteten sich Oma und ich immer wieder, wenn es die Doppelten gab.
Damals war der Innweg noch nicht asphaltiert. In den Sommermonaten kam immer wieder der alte Frank mit seinen zwei Ochsen und einer Ladung Heu vorbei. Wenn es ein Gewitter gab und es heftig schüttete, dann schoss das Wasser in kleinen Bächen die Straße herunter. Dann bauten wir Staudämme, um es umzuleiten.
Wenn die Männer Urlaub hatten, dann wurde diese Zeit stets dazu genützt, um zu arbeiten, beim eigenen Haus oder bei Bekannten. Urlaub am Meer machte damals niemand in unserer Straße. Außer ich. Ich wurde einmal von der Kinderfürsorge der Bezirkshauptmannschaft ans Meer geschickt. Nach Riccione. Mein Vater war an Tuberkulose erkrankt und darum wurde ich in das Gesundheitsprogramm für Kinder aufgenommen. Da ich aber so Heimweh hatte, wurde ich bereits nach zwei Wochen wieder nach Hause geschickt.
Als etwas Wohlstand im Dorf und auch in unserer Straße Einzug hielt, musste die Gemeinde für die Mullentsorgung Vorkehrungen treffen. Jeder Haushalt bekam einen Müllkübel aus Blech. Am Ende unserer Straße wurde der Mullplatz angelegt, direkt neben dem Inn. Mit der Mull, wie wir das Endlager nannten, hatten wir neben dem Fußballplatz nun eine wunderbare neue Spielstätte. Unter dem Abfall fanden wir immer etwas für uns. Man musste sich wundern, was die Menschen alles wegwarfen. Wir wussten schon etwas damit anzufangen.
Meine Kindheit und frühe Jugend fand dann ein jähes Ende. Eines Tages kamen Vermesser und schlugen auf dem Fußballplatz Pflöcke ein. Hier sollte eine neue Siedlung entstehen. Wir konnten nicht mehr spielen.
Für mich fing zeitgleich auch ein neues Leben an. Ich erhielt die Möglichkeit in eine Klosterschule zu gehen, um einmal etwas Besseres zu werden. Im Internat lernte ich ein neues geregeltes Leben kennen. Eine diese Änderungen war, dass ich mir ab diesem Zeitpunkt täglich die Zähne putzen musste. Das war für mich etwas völlig Neues.
Wie gesagt, je älter ich werde, desto öfter muss ich an meine Kindheit am Innweg denken, an diese schöne alte Welt! Und wenn ich daran denke, dann kommen mir immer der Fußballplatz und die Zahnbürste in den Sinn.
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Ja so war es wirklich, schön und gleichzeitig beklemmend, das alles wieder zu hören.