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Elias Schneitter
My car is my castle!
Notizen

Am Samstag vor Pfingsten habe ich mich in meine Jugend zurückversetzt gefühlt. Mein Heimatdorf Zirl ist nämlich seit ewigen Zeiten ein Verkehrsknotenpunkt gewesen. Als der große Wohlstand nach dem Krieg ausbrach und die Teutonen in den Sommermonaten in den Süden pilgerten, gab es stundenlange Staus durch unser Dorf.

Bei uns kursierte damals der Witz: Wenn Du von der Nordhälfte der Gemeinde hinunter in die Südhälfte wechseln willst, muss Du über eine lange Lebenserwartung verfügen!

Erst als die Autobahn südlich unseres Ortes und eine Schnellstraße nördlich gebaut wurden, entspannte sich die Situation, auch wenn wir inzwischen von heulendem Verkehrslärm umzingelt sind.

Letzten Pfingstsamstag erlebten wir einen Relaunch aus den Zeiten vor der Autobahn. Alle strebten in den Süden und verstopften nicht nur kilometerweit die Nordumfahrung über den Zirler Berg, sondern auch in unserer Dorfstraße war alles zugestaut. Es lebe das Navi!

Inzwischen haben wir uns ja daran gewöhnt, dass große Staus während der Urlaubszeiten ganz normal sind. Alle wissen das und fahren trotzdem mit Volldampf weiter, weil das anscheinend zum Urlaubsfeeling gehört. So kann man zuhause dann berichten: „Am Brenner haben wir doch tatsächlich sechs Stunden gestaut. Herrlich!“

Lange habe ich mich schwergetan, all die Staus zu verstehen. Inzwischen bin ich klüger. Früher dachte ich manchmal, dass dies vielleicht mit einer geistigen Schwäche der Autofahrer in Zusammenhang steht. Weit gefehlt.

Inzwischen scheinen das selbst die deutschen Grünen begriffen zu haben und unterstützen mit einer Senkung des Benzinpreises ihr Wahlvolk, damit es sich  auch weiterhin leisten kann, regelmäßig in den Staus ihre Urlaubsgefühle auszuleben.

Außerdem darf man nicht vergessen, dass das Auto zur Identität vor allem eines jeden Deutschen gehört. Auto ist Freiheit! Ein Deutschland ohne Autos wäre wie ein Deutschland ohne Fußballnationalmannschaft. Undenkbar.

Manchmal wundere ich mich trotzdem ernsthaft über unsere Nachbarn und frage mich, warum wollen die andauernd und unentwegt aus ihrer Heimat weg. Ist Deutschland so ein hässliches Land? Oder stecken in den Nachkommen der Teutonen doch noch die Gene aus der Zeit der Völkerwanderung? Ich weiß es nicht!

Helmuth Schönauer ist übrigens der Ansicht, dass die heutigen Fahrzeuge die neuen Wohnzimmer der Menschen sind. Hier fühlt man sich sicher, hier fühlt man sich wohl und darum gehören Staus auch zum neuen Urlaubs-Wohnwohlgefühl.

My car is my castle!

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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