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Elias Schneitter
Hochzeit im Altersheim
Shortstory

Anton war achtzig Jahre alt, und er hatte, wie es so schön heißt, ein arbeitsreiches Leben hinter sich. 

Nach dem Tod seiner Frau lebte er eine Zeitlang bei seiner Tochter, aber schließlich entschied er sich ins Altersheim zu gehen. Anton wollte keinem seiner Kinder zur Last fallen. Er sagte, dass Alt und Jung nicht unter ein Dach gehörten.

Im Altersheim fühlte er sich nicht abgeschoben, zumindest äußerte er sich nie in dieser Hinsicht. Nur manchmal beklagte er sich darüber, dass das Abendessen bereits um halb fünf aufgetischt wird. Aber das schien aus Personalgründen nicht anders möglich zu sein.

Am frühen Nachmittag kam er fast jeden Tag ins Café Waldegger, anfangs allein, aber schon nach wenigen Wochen erschien er immer mit derselben Begleitung, mit einer Frau, die etwas jünger war als er und die an der Parkinson’schen Krankheit litt, sodass ihr die Kellnerin das Teeglas – sie trank immer Hagebutte – um nichts zu verschütten, nur halbvoll machte.

Zeit seines Lebens war Anton Mitglied bei der Dorfmusikkapelle, und er ging auch jetzt noch auf deren Ballveranstaltungen. Das letztemal erschienen er und seine Begleiterin als Indianer verkleidet.

Wegen seiner Durchblutungsstörungen in den Beinen musste Anton für einige Tage ins Krankenhaus. Bald nach seiner Rückkehr entschieden sich die beiden zu heiraten, um im Altersheim ein Doppelzimmer bekommen zu können.

Die Trauung in der kleinen Altersheimkapelle wurde von dem inzwischen pensionierten Dorfpfarrer vorgenommen. 

Für diesen Anlass hatte Anton beim hiesigen Gärtner ein Rokokosträußchen für seine Braut bestellt.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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