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Elias Schneitter
Ein gutes Pferd zieht noch einmal.
Fortsetzungsroman
Folge 20
Alles von vorne!

Zwei Menschen auf der Suche nach etwas Glück. Eine Geschichte, getragen von Elias Schneitters – bei aller kritischen Distanz – warmherziger Empathie für die sogenannten einfachen Leute, denen auch noch unter den schwierigsten Umständen die Möglichkeit eines zuletzt guten Lebens erhalten bleibt.

Hintergrund der Erzählung ist die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Krieg. Die Ehe der beiden Hauptpersonen steht unter keinem guten Stern. Trotzdem stellen sie sich den Fährnissen des Schicksals, getrieben von der Sehnsucht nach einem halbwegs menschenwürdigen Dasein, nach etwas Wohlstand, vor allem aber nach ein wenig Freundschaft und Liebe.


20. Kapitel

An einem Sonntag kam Hansjörg Egger ins Café, weil er meinen Vater suchte. Es war ein bitterkalter, aber herrlicher Wintertag. Hansjörg, der winterfeste Bergbekleidung trug, war ein guter Bekannter und er setzte sich an den Tisch und sagte zu meinem Vater: Hugo, ich glaube, jetzt trinken wir erst einmal einen großen Cognac. 

Mein Vater hatte nichts dagegen einzuwenden und Hansjörg bestellte für beide einen doppelten Cognac. Sie stießen an und Hansjörg hatte einen sorgenvollen Blick aufgesetzt, ehe sie den großen Cognac ohne mit der Wimper zu zucken hinunterspülten. Mein Vater hatte die Angewohnheit, dass er seine Augen fast schon theatralisch zusammenpresste, wenn er scharfe Sachen trank. Diese Angewohnheit stand im Zusammenhang mit Mutter, weil er ihr zeigen wollte, wie sehr er solche scharfen Sachen verabscheute. Diese Grimasse setzte er auch jetzt auf, obwohl Mutter nicht da war.

Hugo, ich glaube, wir brauchen noch einen Doppelten, meinte Hansjörg und bestellte. Mein Vater überlegte kurz, was der Grund für die Cognacs sein könnte. Er hatte keine Idee, als sie das Zeremoniell ein weiteres Mal wiederholten.

Du, Hugo, setzte Hansjörg mit großer Vorsicht an, ich komme grade vom Berg, habe eine Runde gedreht, bin auch bei Thomasegg vorbeigekommen.
Heute ist ein prachtvoller Tag, sagte mein Vater, etwas kalt.
Ich bin bei dir oben vorbeigekommen und es schaut aus, als ob dort eine Bombe eingeschlagen hätte. Der Schnee hat die Hütte eingedrückt.
Das gibt es nicht.
Ich komme gerade von Thomasegg.
Der Wirt, der beiläufig das Gespräch mitgehört hatte, brachte ganz unaufgefordert noch einen doppelten Cognac.
Das ist unmöglich. Das gibt es nicht. Da muss jemand dahinterstecken.

Daraufhin machten sich Hansjörg und mein Vater auf den Weg nach Thomasegg. So weit es möglich war, legten sie den Weg mit dem Auto zurück, und nach einer guten Stunde Fußweg waren sie an Ort und Stelle. Die Hütte hatte es förmlich zerrissen, gerade so, als ob sie explodiert wäre. Ein Fensterrahmen hing an einem Ast, überall im Schnee lagen zersplitterte Bretter herum. Mein Vater stand wortlos da und die Tränen standen ihm in den Augen. 

Zwangsläufig dachte er an seinen Absturz als Jugendlicher nicht weit von hier. Thomasegg schien ihm kein Glück zu bringen. Dann ging es zurück ins Tal. Unten angekommen, kehrten sie wieder im Café Elisabeth ein. Hansjörg versuchte meinen Vater zu trösten, aber mein Vater schüttelte nur den Kopf. Im Frühjahr, wenn der Schnee weg ist, sagte Hansjörg, kannst du mit meiner Hilfe rechnen. Ich helfe dir bei den Aufräumarbeiten. Der Vater bedankte sich völlig abwesend, und Hansjörg sollte sein Versprechen halten und ihm tatkräftig beim Wiederaufbau helfen.

Solche Katastrophen verbinden. Kaum war die erste Verzweiflung beim Vater verebbt, fasste er, ganz seinem Charakter entsprechend – ein gutes Pferd zieht noch einmal – den Plan, im Frühjahr neuerlich mit dem Bau der Almhütte zu beginnen. Diesmal sollte die Hütte aber mit Ziegelsteinen errichtet werden, denn so etwas durfte nicht noch einmal passieren.

Das Frühjahr rückte heran. Die Warnungen der Mutter, den Wahnsinn Thomasegg doch aufzugeben, hörte er nicht mehr. Er war im Sternzeichen des Steinbocks geboren! Zudem steckte die Kränkung, dass er die Warnungen wegen der Stützpfeiler in den Wind geschlagen hatte, tief in ihm. Diese Fehleinschätzung konnte er nicht auf sich sitzen lassen.

Im Frühjahr wurde die Unfallstelle aufgeräumt und dann ging die Arbeit neuerlich los. Hansjörg Egger war von Beruf Maurer, der inzwischen aber als Hilfspfleger im Krankenhaus tätig war. Aber für seinen Freund packte er die Wasserwaage, die Mörtelkelle und den Ziegelhammer wieder aus. 

Zahllose Geisterbahnfahrten, Materiallieferung und Ziegelbau, sodass noch in diesem Jahr der Dachstuhl aufgesetzt werden konnte, ehe der Winter wieder heranrückte und diesmal war es ein Winter mit ganz wenig Schnee, aber das spielte keine Rolle, denn diesmal hatte Vater sicherheitstechnisch entsprechend vorgesorgt.

Im nächsten Jahr gingen die Bauarbeiten weiter. Der Verputz innen und außen, die Böden und auch Teile der Einrichtung, und wieder ein Jahr später ging es schon ans Komplettieren. Dann war die Hütte so weit fertiggestellt. Vorderhand. Denn im kommenden Jahr stellte sich heraus, dass das Ziegeldach für diese Höhe mit dem vielen Schnee nicht geeignet war, und der Vater ging daran, das alte Dach durch ein Blechdach zu ersetzen, und zu guter Letzt kam dann auch noch eine Wasserleitung hinzu. 

Weil immer mehr Hütten gebaut wurden, wurde die Wasserversorgung zum Problem. Da kam man auf die Idee, eine Genossenschaft zu gründen und eine Quelle zu fassen, und mit einer zwei Kilometer langen Wasserleitung, die händisch in unwegsamstem Gelände gegraben werden musste, wurde auch dieses Problem gelöst. So hatten alle schließlich nach zweijähriger Tätigkeit auch noch einen Brunnen vor der Tür.

Nach sechs Jahren hatte es mein Vater jedenfalls geschafft, sein Wochenendhaus zu erbauen, und als alles fertig war, verlor er das Interesse an Thomasegg. Er meinte: Was soll ich da oben? Daumendrehen kann ich zu Hause auch. 

Außerdem hatte er das Wochenendhaus nicht für sich, sondern für uns Kinder gebaut. Wir sollten es schön und gemütlich in den Bergen haben. Er besuchte Thomasegg nur noch, wenn Reparaturen anfielen.

Einmal fragte eine Schwester meines Vaters bei ihm an, ob sie unseren Aufzug benützen könnten. Sie hatten die alte Almhütte der Großmutter nach deren Tod vererbt bekommen. Sie wollten sie niederreißen und durch eine neue, komfortablere ersetzen. Mit einem Neubau war das inzwischen aber nicht mehr so einfach, weil man dafür nur noch ganz schwer eine Bewilligung bekam. Es gab aber noch die Möglichkeit, dass man die bestehende Hütte Schritt für Schritt ersetzte und so eine Bewilligung für ein neues Wochenendhaus umgehen konnte.

Für den Umbau benötigten die Verwandten unseren Aufzug. Der Vater willigte natürlich gleich ein und so benützten sie unsere Geisterbahn, um das notwendige Material auf Thomasegg zu bringen. Sie bauten eine Zwischenstation nahe ihrer Hütte und es konnte losgehen. 

Sie waren sehr fleißig und fuhren beinahe Tag und Nacht. Einmal, sie lieferten gerade Schotter, riss das Tragseil und verletzte den Schwager des Vaters schwer am Kopf. Er hatte das Glück, dass die baufällige Holzhütte die Wucht des gerissenen Drahtseiles etwas abfing, weil es ihm sonst wahrscheinlich den Kopf wegrasiert hätte. Er musste mit dem Hubschrauber in die Universitätsklinik gebracht werden. 

Dieser schwere Unfall hatte zum Glück keine juristischen Folgen, aber es bedeutete für meinen Vater, dass er seine Materialseilbahn sofort weghaben wollte. Seine Schwester zeigte sich interessiert. Bald aber stellte sich ein nächstes Problem ein. Es sollte sich nämlich rächen, dass mein Vater keine Baubewilligung von der Gemeinde eingeholt hatte, was ursprünglich ja überhaupt kein Problem dargestellt hätte. 

Inzwischen hatten sich die Zeiten aber grundlegend geändert, es wurde darüber diskutiert, das Karwendelgebiet, zu dem auch Thomasegg gehört, unter Naturschutz zu stellen, was dann auch passierte. Von Behördenseite wurde daher genauer geprüft, wie es mit den Baubewilligungen für die sogenannten Kochhütten ausschaute. Die Medien griffen dieses Thema ebenfalls auf und es tauchte in einschlägigen Artikeln immer wieder das Wort Abbruchbescheid auf. 

Meinen Vater konnte das nicht weiter aufregen. Er sagte bloß, so weit kommt es noch, dass wir die Hütte abreißen. Davor jage ich sie in die Luft. Er war in gewisser Hinsicht ein Pragmatiker. Dennoch rückte das Thema immer mehr in das öffentliche Interesse. Das Landhaus in Innsbruck musste sich mit der Sache befassen. 

Dabei trat zutage, dass in den Tiroler Bergen nicht weniger als dreitausend Schwarzbauten standen, die bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zum Großteil hätten abgetragen werden müssen. Das bereitete den Beamten und vor allem den verantwortlichen Landespolitikern bis hinauf zum Landeshauptmann einiges an Kopfzerbrechen. 

Schließlich wurde das Problem dahingehend gelöst, dass man eine landesweite Amnestie erließ, unter der Voraussetzung, dass nachträglich alle Kochhütten mit den entsprechenden Baubewilligungen ausgestattet werden mussten. 

Den Verantwortlichen im Landhaus in Innsbruck schien bewusst zu sein, dass bei Exekutierung des Gesetzes auch für sie selbst eine neue Baubewilligung notwendig gewesen wäre, weil man sicher sein konnte, dass das Regierungsgebäude im Zentrum der Stadt in die Luft gejagt worden wäre. So kamen auch wir schlussendlich zu einer rechtmäßigen Bewilligung für unsere Hütte.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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