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Elias Schneitter
Ein gutes Pferd zieht noch einmal.
Fortsetzungsroman
Folge 11
Es geht wieder aufwärts.

Zwei Menschen auf der Suche nach etwas Glück. Eine Geschichte, getragen von Elias Schneitters – bei aller kritischen Distanz – warmherziger Empathie für die sogenannten einfachen Leute, denen auch noch unter den schwierigsten Umständen die Möglichkeit eines zuletzt guten Lebens erhalten bleibt.

Hintergrund der Erzählung ist die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Krieg. Die Ehe der beiden Hauptpersonen steht unter keinem guten Stern. Trotzdem stellen sie sich den Fährnissen des Schicksals, getrieben von der Sehnsucht nach einem halbwegs menschenwürdigen Dasein, nach etwas Wohlstand, vor allem aber nach ein wenig Freundschaft und Liebe.


11. Kapitel

Manchmal ging die Hilfsbereitschaft des Vaters meiner Mutter zu weit. Für sie war es völlig in Ordnung, anderen zu helfen, aber im Vordergrund sollte die eigene Familie stehen.

Später, als wir sogar schon ein Telefon mit einem Viertelanschluss im Haus hatten, beklagte sich Mutter öfters, dass wir so hohe Telefonrechnungen hätten, weil Vater dauernd Telefonate mit Sozialstellen in der Stadt führte, wofür es natürlich keine Abgeltung gab.

Aber hier schob Mutter sehr rasch einen Riegel vor, indem sie ein kleines Schloss an der Wahlscheibe anbrachte, wodurch die Null gesperrt wurde. Damit waren nur Dorfgespräche möglich, sofern die Nummer über keine Null verfügte. Bei Auswärtstelefonaten war eine solche immer notwendig.

Auch wenn wir damals alles andere als auf Rosen gebettet waren, so verbesserte sich unsere wirtschaftliche Lage doch schrittweise. Es ging aufwärts. So war es möglich, dass sich Vater selber eine kombinierte Maschine anschaffen konnte.

Noch heute erinnere ich mich sehr gut an den Tag, als die Felder-Kombimaschine ins Haus kam. Im Keller hatte sich mein Vater eine kleine Werkstätte eingerichtet, mit Hobelbank, einem Werkzeugkasten und einer Holzpresse, und jetzt kamen auch noch die nagelneue Hobelmaschine und die Kreissäge dazu.

Es war an einem Freitag und einige Freunde besuchten uns, als die Maschine geliefert wurde. Es wurde heftig getrunken und gegessen und sogar zwei Musiker mit Ziehharmonika und Bassgeige waren im Haus. Jedenfalls begab sich irgendwann die gesamte Mannschaft in den Keller, um die neue Maschine einzuweihen. Mein Vater hatte ein Glas Weinbrand dabei und dieses ließ er mit feuchten Augen auf der Hobelmaschine zerschellen und alle prosteten sich zu und umarmten sich. Jedenfalls brauchte mein Vater nicht mehr zum Donnerbauer gehen und fragen, ob er dort die Maschinen benützen durfte.

Wenige Monate später kam dann noch eine gebrauchte Holzfräsmaschine dazu, wobei es da keine Feier mehr gab, und das war auch gut so, denn diese Maschine sollte noch großes Unheil anrichten. Aber vorderhand war mein Vater maschinell bestens ausgerüstet.

Als es den Anschein hatte, dass meine Eltern wieder Boden unter die Füße bekommen würden, setzten im rechten Oberschenkel meines Vaters immer stärker werdende Schmerzen ein. Er begann zu hinken und darum überwies ihn unser Hausarzt Dr. Kurt Gerscha an die Universitätsklinik in Innsbruck, wo bei den Untersuchungen ein lebensbedrohlicher Tumor diagnostiziert wurde.

Sofort wurde eine Operation anberaumt, in deren Folge festgestellt wurde, dass es sich nicht um Knochenkrebs handelte, jedoch um eine schwere Erkrankung im Oberschenkel, die eine mehrmonatige Behandlung in der Spezialklinik auf der Stolzalpe in der Steiermark notwendig machen würde.

Meine Eltern waren wieder einmal am Boden zerstört, aber um nichts in der Welt wollte mein Vater neuerlich für mehrere Monate, diesmal in diese fern gelegene Rehabilitationsklinik, von zu Hause weg, auch auf die Gefahr hin, dass er die Krankheit nicht überleben würde.

Meine Mutter wusste sich keinen Rat. Weinend und in Tränen aufgelöst meldete sie sich bei unserem Hausarzt Dr. Kurt Gerscha.

Der Arzt hatte alle Befunde von der Klinik erhalten, die er sehr genau studierte, und nach einiger Zeit des Nachdenkens und Grübelns meinte er zu meiner verzweifelten Mutter: Ja, ich bin zu jeder Schandtat bereit.

Das bedeutete, dass er in den nächsten Wochen oft zweimal täglich zu meinem Vater nach Hause kam, um den Verband zu wechseln und meinem Vater die notwendigen Injektionen und Infusionen zu verabreichen. Mit der Zeit waren immer weniger Visiten notwendig, nicht mehr täglich, sondern ein- bis zweimal die Woche. Die ganze Behandlung nahm fast ein Jahr in Anspruch, bis mein Vater wieder einigermaßen hergestellt war.

Natürlich hatte Dr. Gerscha aufgrund dieser einmaligen Hilfestellung den Status eines Heiligen in unserer Familie.

Während der Monate der Behandlung hatte es sich so eingebürgert, dass Dr. Gerscha seine letzte tägliche Visite bei meinem Vater absolvierte. Da konnte es passieren, dass er erst spät am Abend zu Vater kam und er dann auch das eine oder andere Glas Wein zu sich nahm und die eine oder andere Zigarette rauchte.

Dr. Kurt Gerscha war auch ein Genießer und meine Mutter sorgte immer dafür, dass etwas zu trinken im Hause war und auch immer Tabak für seine Zigarettenmaschine, mit der er seine tägliche Ration herstellte.

Was das Rauchen betraf, war Dr. Gerscha ebenfalls ein akribischer Mensch, oder genauer gesagt: ganz Arzt. So trug er jede Zigarette in eine Liste ein und den genauen Zeitpunkt, wann er sie rauchte. Tragischerweise sollte Dr. Gerscha, noch nicht einmal siebzigjährig, an Lungenkrebs sterben.

Seine Eigenheiten waren bei allen Patienten bekannt. Wenn er in ein Krankenzimmer kam, dann warf er zuerst einen prüfenden Blick in die Runde und bevor er sich dem Patienten zuwandte, rückte er immer ein Bild zurecht oder stellte eine Vase woandershin, weil diese seiner Meinung nach nicht den richtigen Platz hatte. Das war so eine Eigenart von ihm.

Mein Vater und Dr. Gerscha verstanden sich prächtig und so konnte es schon passieren, dass sich die beiden bis gegen Mitternacht über alles Mögliche unterhielten und dabei einige Gläser Wein zu sich nahmen, sodass es nicht nur einmal vorkam, dass Frau Dr. Gerscha vor der Tür stand und fragte, ob bei uns die Sperrstunde um Mitternacht nicht gelte?


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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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