Elias Schneitter
Das Goldene Zeitalter
Notizen

Wieder stand das Pickerl an und ich hatte einen Termin beim ÖAMTC. Ich stellte dort das Auto für die Begutachtung ab und es hieß, in knapp einer Stunde könne ich den Wagen wieder abholen.

In der Zwischenzeit machte ich einen kleinen Spaziergang und setzte mich auf eine Parkbank. Kaum hatte ich Platz genommen, gesellte sich ein älterer Herr zu mir und begann sofort ein Gespräch. Er wollte wissen, ob ich eine kurze Rast eingelegt hätte. Ich sagte ihm, dass ich auf mein Auto wegen des Pickerls warten würde. Als er das Wort ÖAMTC hörte, legte er sofort los: diese Gaunerinnen, er wäre auch einmal Mitglied gewesen, jetzt nicht mehr!

Ich lächelte über seine Bemerkung, ehe er unaufgefordert zu einer Schimpfkanonade auf Gott und die Welt ansetzte. „Im Parlament sitzen nur Verbrecher und ich warte auf den Tag, an dem ein Terrorist die ganze Bude in die Luft jagt. Darauf freue ich mich. Hoffe, dass das bald passiert.“

Aha, dachte ich, daher weht der Wind! Ich überlegte, ob ich aufstehen und verschwinden sollte. Wieder so ein Wirrkopf von der Sorte, die mir in letzter Zeit immer häufiger über den Weg zu laufen scheinen. Ich begutachtete sein Äußeres. Er war sauber gekleidet, machte keinen verlotterten Eindruck, blitzblanke Zähne, keine Spuren von Alkoholismus im Gesicht.

Ich fragte ihn, was er beruflich so gemacht habe und ob er auch in der Politik tätig gewesen sei. Er gab mir bereitwillig Auskunft. Er sagte, er sei 18 Jahre lang Gemeinderat gewesen und als er ausschied, hätten sie noch 6 Millionen Überschuss in der Kasse gehabt. Inzwischen, unter dem neuen Bürgermeister, stünden 24 Millionen Schulden zu Buche. Schulden, die durch den unmäßigen Bau von Sozialwohnungen entstanden seien! Wie komme er als Steuerzahler dazu, für all diese Schmarotzerinnen zu zahlen?

Beruflich war er als OP-Helfer in der Uni-Klinik in Innsbruck tätig gewesen. 28 Jahre lang. Er nannte Namen von Professorinnen und Mitarbeiterinnen, die ich auch kannte und er hatte auch eine fundierte Ahnung vom Betrieb selbst. Auch meinte er, dass die Chirurgie zu seiner Zeit noch etwas ganz anderes gewesen sei wie heute, da herrsche nur noch ein Sauhaufen. „Aber inzwischen ist ja ganz Österreich ein Sauhaufen, die Politik und alle Politikerinnen sind nur noch korrupt und arbeiteten  in die eigene Tasche!“

Langsam wurde mir der Kerl zu viel und ich verabschiedete mich. Zum Abschluss meinte er, dass er keinen Adolf mehr wolle, aber Straf- und Arbeitslager so wie früher in den Schwefelgruben in Italien etc. etc.

Noch einen schönen Tag, sagte ich zum Schluss. Immer wieder und immer häufiger stoße ich auf solche Menschen und jedes Mal frage ich mich, woher dieser Hass und diese Wut bei Menschen zum Vorschein kommen, die ein einigermaßen normales, durchschnittliches Leben führen? Ich weiß es nicht. Ich verstehe es auch nicht, denn man muss nun wirklich keine Verherrlicherin Österreichs sein, aber im Vergleich zu anderswo haben wir die letzten Jahre doch ein relativ friedliches Leben mit Wohlstand führen können.

Das Pickerl habe ich natürlich nicht bekommen, sondern ein Gutachten um € 41,90 des Inhalts, dass mir kein Pickerl ausgestellt werden könne. Aber wie wir ja wissen, leben wir in einem Land der Verbrecherinnen und Defraudantinnen! Und wie es scheint, geht das Goldene Zeitalter auch in Österreich langsam zu Ende.

In der femininen Form ist auch die männliche inbegriffen.

Notiz: Habe grad das Buch von Martin Pollak „Der Tote im Bunker“ gelesen. Eine hervorragende Lektüre, wenn man Österreich etwas verstehen will.

Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

Schreibe einen Kommentar