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Elias Schneitter
Armut und Wohlstand in Österreich
Notizen

Wenn man sich über Armut und Wohlstand in Österreich einige Gedanken macht, dann muss man vorweg gleich einmal daran erinnern, dass es noch nie so viel Wohlstand in unserem Land gegeben hat wie heutzutage.

Trotzdem wird in den Medien regelmäßig darüber berichtet, dass in Österreich laut Statistik 17 % der Bevölkerung arm sind. Das wären hochgerechnet ca 1,5 Mio. Menschen.

Statistisch wird Armut so berechnet, dass Menschen, die über weniger als 60 % des durchschnittlichen Einkommens verfügen, als arm bzw. armutsgefährdet gelten.

Wenn mich solche Nachrichten erreichen, dann frage ich mich stets, warum das mehr oder weniger laufend gesendet wird? Will man dem Hörer ein schlechtes Gewissen einreden? Oder was steckt dahinter?

Ein besonderes Merkmal der Armut ist es, dass sie im Verborgenen stattfindet, denn niemand will zu den Armen gezählt werden. Wenn man in unserem Land die Einkaufstempel, die Kaufhäuser, die Restaurants, die Handys, die Kleidung, das Urlaubsverhalten oder die Auto-Fuhrparks betrachtet, wundert man sich, wie das alles möglich ist. Von Armut keine Spur!

Und wenn man einmal von der materiellen Armut absieht und einen Blick auf den geistigen Zustand wirft, kann man feststellen, dass wir Österreicher, was jammern, klagen und sudern betrifft, zu den Weltmeistern gehören.

Vor Jahren hat es eine Fernsehserie gegeben, in der hat der Schauspieler Towje Kleiner einen Schriftsteller gespielt, der an einem Buch mit dem Titel: Warum geht es uns allen so schlecht, obwohl es uns so gut geht. geschrieben hat.

Eben wie ich diesen Beitrag niederschreibe, ruft mich mein Sohn an, der gerade von einer längeren Fernreise (Thailand, Manila, Bali) zurückgekommen ist. Er erzählt mir begeistert von diesem Aufenthalt und er meint:

Wenn ich mir die mürrischen, griesgrämigen, unzufriedenen Gesichter bei uns anschaue, dann würde ich am liebsten gleich wieder in den fernen Osten fliegen, denn trotz großer materieller Armut ist dort alles voll bunter Farben mit freundlichen, schönen Menschen in einem chaotischen Alltag.

Allem Anschein nach macht Wohlstand nicht wirklich glücklich. Alle streben ihn an, und kaum ist er da, herrscht große Unzufriedenheit.

Meine Mutter ist in den1930-er-Jahren in einem Zinshaus aufgewachsen, in ärmlichsten Verhältnissen. Immer wieder erzählte sie uns, dass einige Kinder im Haus nicht in die Schule geschickt werden konnten, weil sie vor Hunger zu schwach dazu waren.

Aufgewachsen bin ich in einer sogenannten Arbeitersiedlung, in der junge Familien nach dem Krieg ihre Häuser errichtet hatten. Die ersten Jahre führte da noch eine Schotterstraße in die Siedlung. Vielleicht gab es in den zwanzig Häusern zwei/drei Autobesitzer, drei/vier Telefone und ebenso viele Fernseher, keiner wäre auf die Idee gekommen in den Süden auf Urlaub zu fahren oder gar in den Fernen Osten.

Und wie uns die Statistik wieder sagt, wurden damals für Lebensmittel 50 % des Einkommens aufgewendet, heute liegt dieser Anteil bei 12 %.

Damals wäre aber von all diesen Leuten niemand auf die Idee gekommen, arm zu sein, auch wenn das materiell zutreffend gewesen wäre. Aber man war damals voll Zuversicht, dass es besser würde, dass es aufwärts geht. Heute fehlt diese Zuversicht und alle, die etwas besitzen, wollen nur noch, dass ihnen nichts abhanden kommt.

Das ist der große Unterschied zu früher: diese positive Einstellung bezüglich der Zukunft. Die ist heute nicht mehr vorhanden.

Sicher lässt sich ein Phänomen wie Armut mit Zahlen und Daten feststellen. Aber das ist sicher nur ein Teil der Wahrheit.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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