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Alois Schöpf
Späte Gerechtigkeit
Über den Niedergang des Buchhandels
kann ein Buchautor nur schadenfroh lachen.
Notizen

Endlich hat nach Jahren, während derer ungeniert gelogen wurde, das Geschäft laufe vortrefflich, die Stunde der Wahrheit geschlagen. Der österreichische Buchhandel steht mit dem Rücken zur Wand und bettelt bei der Bundesregierung um eine Reduktion der Mehrwertsteuer. Als ob ihn das noch retten könnte! Ganz bestimmt nicht.

Das Buch ist nämlich ein bürgerliches Auslaufmodell und kostet schon lange viel zu vielen Bäumen das Leben. Und es hat, was den politischen Hilferuf verständlich macht, all jenen, die nur mittelbar mit ihm zu tun haben, den Druckern, den Buchhändlern, den Vertreibern, Verlegern und Lektoren, wenn nicht ein erträgliches Einkommen, so doch einträgliche Subventionen verschafft, während die Autoren, wenn sie nicht gerade zu den Saisonschlagern eines korrupten Kulturmarktes zählten, fast nichts daran verdienten, ja oft sogar still und heimlich, damit die Schande nicht ruchbar wurde, dreinzahlen mussten.

Das Mitleid wird also von ihrer Seite mager ausfallen und bei jedem einzelnen Autor eine je eigene Leidensgeschichte in Erinnerung rufen. 

Ich zum Beispiel feierte letztes Jahr nach insgesamt 26 Büchern mein fünfzigjähriges Berufsjubiläum. In meiner Jugend war ich mit meinem ersten Roman den Buchhändlern zu wenig katholisch, mit meinem nächsten Roman war ich ihnen zu schweinisch, dann ließ ich das Bücherschreiben 25 Jahre lang bleiben, weil ich nicht in Armut enden wollte, und wurde Journalist. 

Mit meinen neuen Büchern – ich hab den defizitären Job aus Lust und Tollerei wieder aufgenommen – bin ich wieder zu unchristlich, zu wenig links, inzwischen auch noch zu wenig woke, zu antifeministisch und ein Gegner von Doppelpunkt und Binnen-I.

Und ich habe natürlich den Fehler gemacht, einem prominenten Herrn der heimischen Branche, der einem meiner Freunde eine Veranstaltungsreihe klauen wollte, bis das Gericht ihn daran hinderte, die Frage zu stellen, was er eigentlich bisher in seinem Leben geleistet habe außer öffentliche Gelder zu verbraten, womit ich mir nicht unbedingt seine Sympathie eingehandelt habe. Das wäre ja nicht weiter schlimm gewesen, wenn der unfähige Mensch nicht als Quotenmann in allen nur denkbaren inzwischen rein weiblich besetzten Gremien und Jurys säße, um dort seine Machtspielchen zu betreiben.

Ein Ergebnis solcher Spielchen besteht darin, dass ich von meinem letzten Buch bei einem mir wohlgesonnenen Buchhändler 100 Stück verkaufte, bei obgenanntem Herrn, der in der Buchhandlung seines Bruders mitarbeiten darf, kein einziges! Kein einziges! 

Dieser Schaden wird nur ein wenig von einem anderen, meinem eigentlichen Stammbuchhändler relativiert, bei dem ich noch so viel kaufen kann, was ihn trotz aller Freundlichkeit nicht daran hindert, von meinen am Markt erhältlichen Werken, sofern sie nicht ganz frisch erschienen sind, kein einziges im Sortiment zu führen.

Bitte, wer kann es mir da verdenken, dass ich Amazon lobpreise, wo jeder und jede mit einem Klick von all den Büchern, die ich in meinem Leben geschrieben habe, immer noch 15 käuflich erwerben kann? Rein kommerziell gesehen ist es mir also vollkommen gleichgültig, wenn der Buchhandel aus dem Weichbild der Städte verschwindet und ins Internet abwandert. Dort geht es mir entschieden besser und ich muss nicht um die Huld irgendwelcher Platzhirsche kämpfen.

Womit wir beim romantischen Kern der Beziehung des Lesers zu seinem Buchhändler angelangt wären. Dem Gespräch und der Beratung. Mein Gott! Beim besten Willen kann ich mich nicht daran erinnern, jemals einen brauchbaren Tipp erhalten zu haben, wobei ich gern eingestehen möchte, dass ich ein schräger Vogel bin, für den die meisten Buchhändlerinnen schlicht und einfach zu jung und zu spießig sind.

Ich mag eben die Krimis über die perversen Lustmörder und die korrupten Cops des James Ellroy genauso wie die versoffene und verfickte Welt eines Charles Bukowski, halte zugleich aber den biederen schweizerischen Pfarrer Jeremias Gotthelf mit seiner Novelle “Die schwarze Spinne” und seinem Roman “Uli der Knecht” für einen der größten Erzähler, Andreas Reckwitz für den derzeit wichtigsten deutschen Soziologen und Friedrich August Hayek, obgleich Ökonom, für einen der besten Stilisten deutscher Sprache.

Was will eine Buchhändlerin mit einem solchen Geistes-Chaoten anfangen? Auch da hilft Amazon mit seinen Leserreaktionen, auch wenn sie gefakt sein sollten, was man gleich einmal merkt, effizienter weiter.

Mehr als das zukünftige Ende der Buchhandlungen schmerzt übrigens schon länger das Verschwinden von CD- und Plattenläden, vor allem im fremdsprachigen Ausland, wo der Kauf eines sogenannten Tonträgers mit Werken eines heimischen Klassikers oder mit Volksmusik oder Jazz von Lokalgrößen wunderbare Erinnerungen aufkommen lässt. Wie ja überhaupt die ganze Plattensammlung inklusive grässlicher Kratzer auf den alten Vinylscheiben eine intime Dokumentation von Reisen, lebenslänglichen Freundschaften, Liebschaften, großen Momenten, großen Festen, großzügigen Geschenken, intensiven Stunden der Zweisamkeit, aber auch der schönsten Einsamkeit darstellt.

Für solche Erinnerungen sind Bücher zu abstrakt und zu fordernd und werden im Gegensatz zur Musik, die man immer wieder hören kann, meist nur einmal gelesen. Oder stehen vorwurfsvoll am Bücherbord, bis sie irgendwann aufgrund ihrer Belästigung durch reine Anwesenheit weggeräumt oder im Bauhof entsorgt werden. Weil man keine Zeit für sie hat.

Trotzdem: Die nur marginal gelesenen, schön gebundenen Balladen Schillers als Erinnerung an eine Konzertreise nach Graz, die nur durchgeblätterte Reclam-Anthologie zur Dichtung des Wiener Jugendstils als Erinnerung an einen Besuch der graphischen Sammlung Albertina: Das originellste Sortiment, das noch zur Erinnerung taugt, weil es unverwechselbar ist, findet man inzwischen in Museum-Shops oder im Rahmen von Jubiläen, anlässlich derer Vergessenes neu aufgelegt wird.

Wie es ja auch bei den Lebensmitteln immer schwieriger wird, etwas zu finden, das man den Daheimgebliebenen von einer Reise mitbringen kann. Was gut schmeckt, gibt es inzwischen in jedem Supermarkt. Wie auch das Sortiment in den Buchhandlungen, weil es ein Geschäft sein muss, bald überall gleich ausschaut. Das ist der Preis der Globalisierung.

Damit jedoch ist späte Gerechtigkeit eingekehrt. Der Buchhandel wird wie die Platten-Läden vor ihm ins Internet abwandern, die Buchhandlungen vor Ort werden sukzessive verschwinden oder auf das Niveau von Bahnhofshops herabsinken. Das große Geschäft ist vorbei und auf wenige Bestseller beschränkt. Der romantische Weg ins Regionale, Kleine, Feine und Edle ist zwar möglich, davon können jedoch nur, wenn überhaupt, wenige leben, wie auch nur wenige Autoren von ihren Büchern leben können.

Der Staat wird durch Subventionen oder Steuersenkungen diesen notwendigen Umstrukturierungsprozess nicht künstlich aufhalten können. Und er sollte es auch nicht.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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