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Egyd Gstättner
Wie meine Mama Max und
Max meine Mama gequält hat.
Über Ingeborg Bs Eskapaden
aus Sicht ihres ungeborenen Kindes... 
Die Satire zum Nationalfeiertag

Mama reist nach Paris, um das Opfer zu bringen, mit Paul ein Ende zu machen, um dessen Ehe, dessen Familie nicht zu zerstören, und am Tag nach dem Ende sitzt sie in einem Pariser Straßencafé mit…

Mama, ja wer ist denn das?
Darf ich dir vorstellen, das ist Max!
Mama! Hast du sie noch alle? Das ist ein Schweizer! Das kannst du nicht ernst meinen! Das nicht! Das kannst du mir nicht antun!
Ein Weltschweizer, Bub, ein Weltschweizer!
Mama, die Schweizer, das sind die mit den staubgesaugten Wiesen, das weiß man nicht erst seit heute! Du fährst nach Paris, um die Ehe deines Geliebten zu retten und gabelst dir einen auf, der Frau und Kinder verlassen und Ehe und Familie zerstört hat, ein Arschloch, Mama, ein grundsolides, ordentliches Schweizer Arschloch mit Ungeheuerpfeife, in die er sich verbeißt im Fall von Ausgesetztheitspotential. Biographie ist nur ein Spiel, sagt er, und dann fragt er dich: Haben Sie Kinder, Teuerste? Na, wer werde ich wohl sein, Herr Max!! Augen auf, Pfeifenheini! Lass die Finger von meiner Mama!

Ich habe gut zugehört im Pariser Straßencafé und wörtlich hat Herr Max gefragt: Leben Sie mit einem Kind? Und die traurige Antwort auf diese Frage lautet: Nein! Sie hat mich liegen lassen! Sie hat mich vergessen!

Leben Sie mit einem Kind? Mama schaut Max verwirrt an. Sie spürt meine Gegenwart. Sie kramt in ihrer Tasche herum, scheint etwas zu suchen, aber in der Handtasche wird sie mich nicht finden.
Mama, die ewig zerstreute Dichterin, die permanent Dinge verlegt, verliert, sucht, kramt. Fragil, ziemlich unsicher, schüchtern und doch auch ganz schön kokett…
Mama ist eine Art Gerüchtefigur.

Die Dichterin übte eine Faszination aus, die nicht allein mit dem Zauber ihrer Gedichte zu erklären war. 

Einer sagt: Mama sei halb Zirkusartistin, halb Mannweib. Ein anderer sagt: Mama ströme Unglück aus wie andere Frauen Parfüm. Wieder ein anderer sagt: Auf welche Weise strömt eine Frau Parfüm aus? Mama flüstert Max ins Ohr: La Donna Giovanna, c`est moi. Das Paar bricht aus der Welt aus, absolut, wie es ist, und geht nach Zürich, und es geht nach Rom.

Siamo scrittori.
Siamo uomini communi.
Siamo al mare! Gente di mare!

Junge Schweizer tanzen anders als die andern. Mama leidet an Menüplänen, Staubsaugern, Scarpemania, Schuhfetischismus. Mama ist die innere Unruhe selbst, der Aufruhr der Moleküle der Seele, sie hält es nie lange aus an einem Ort und in einer Situation, sie lässt Max in Rom allein, kehrt für vier Wochen nach Zürich zurück, um zu arbeiten und sich wieder einmal ein letztes Mal mit dem traurigen Paul zu treffen…

Max inszeniert sich längst nicht so perfekt wie Mama. Er ist authentisch und autochton und chronisch eifersüchtig. Mama hingegen gibt sich gern kurzzeitigen Affären hin, man lebt nur einmal, man muss auch an sich selber denken, der Krieg ist vorbei, der eine zumindest.

Kleine Trennungen gibt es immer wieder, meistens gehen sie von Mama aus. Wenn sie auf Lesereisen ist, erwartet sie, dass Max selbstverständlich in Rom ihrer Rückkunft harrt. Wann genau sie zurückkommen wird, gibt sie niemals an, wie es bei wichtigen Persönlichkeiten eben der Fall ist.

Im überfüllten Frankfurter Hörsaal macht sie die Hörer zu Komplizen ihres eigenen Sprachzweifels und setzt sie der von ihr erlebten Schreibverzweiflung aus, was viele Hörer nicht aushalten und den Verzweiflungshörsaal mitten in der Verzweiflungsvorlesung verzweifelt verlassen.

Das verzweifelte Unterwegssein zum Utopia der Sprache, an dem Mama sich mit leiser Stimme abarbeitet, offenbart das ganze Desaster zwischen Dozentin und Studenten, das in Mamas Erkenntnis gipfelt, sie möchte nie wieder Professor sein. Ach Mama, um wie viel günstiger man all diese Nie-wieder-Einsichten erlangen könnte!

An der Ponte Vittorio Emanuele II wieder die Treppe zur Oberwelt hinauf: Die Engelsburg, die Via della Concilliazione, der Petersdom. Die Via Giulia – am anderen Ufer des Tiber – ist nur einen Katzensprung vom Vatikan entfernt, eine enge, schummrige Gasse, mitten im Zentrum und doch abgelegen.

Abseits, düster und finster auch der Palazzo Sacchetti auf Nr. 60 – eine Trutzburg – nur: wogegen? Bloß ein paar Häuser weiter, schräg gegenüber auf Nummer 102 hat Mama mit Max gewohnt. Nach der bahnbrechend erfolglosen Frankfurter Poetikvorlesung wollte Mama, während Max in Rom das Geschirr abwusch und die Aschenbecher ausleerte, einerseits Kontakt mit den herausragenden Denkern ihrer Zeit bekommen, andererseits jeden akademischen Duktus vermeiden und auch philosophische Foren nicht mehr betreten: Dazu eignete sich niemand besser als Theodor Wiesengrund Adorno, der noch keinen Menschen auf diesem Planeten glücklich sein hatte lassen.

Dieses durchaus komplex komplizierte Wollen des Hätschelkindwunders führte nun zu einem derart rasant anwachsenden, ja geradezu metastasierenden weiblichen Selbstwertgefühl, dass der Starautor Max mit dem Geschirrtuch in der Hand sich in die Defensive gedrängt sehen musste und ihm von Mama der Zutritt zu ihrem Beratungs- und Begeisterungszimmer verboten wurde!

Der arme rasende Starautor Mad Max musste sich vorkommen wie Fred Feuerstein im Vorspann der Vorabendzeichentrickserie, und innen drinnen bei der angebeteten Mama fatale: Reini Schweini. Mitten in der Arbeit, die beiden. Arbeit ist, was man Arbeit nennt. Die Nacht gehört uns bis zum Morgen. Wir spielen jedes Spiel. Lass diese Reise niemals enden. Das Tun kommt aus dem Sein allein. Allein aus Dimensionen, die Illusionen und Sensationen lohnen.
Mama, du bist grauenhaft!

Der Steinbruch Sprache, das Alcatraz Erzählen! Über ihre Arbeiten haben beide nur wenig miteinander gesprochen, die Qual der Entstehungsprozesse voreinander verborgen. Niemandem auf der Welt, von den engsten Vertrauten abgesehen, gestand das Art Paar ein, dass sich jeder durch die Schreibmaschine aus dem Arbeitszimmer des anderen massiv gestört fühlte. Oje! Oje! Vor allem bei Mama führten Max`ens Schreibmaschinengeräusche bald zu Schreibblockaden.

Der engste Vertraute war freilich der Reini Schweini, dem Mama im hermetisch abgeriegelten Begeisterungszimmer ins Öhrlein flüsterte, was sie wahnsinnig mache, er, Max, gehe nach dem Frühstück rauf und schon nach kurzer Zeit höre sie seine Schreibmaschine klappern, das laufe und laufe, und sie sitze da und brüte und es komme und komme nichts! Eine Ungeheuerlichkeit! Gerade, dass der Max nicht geräuschvoll sein Jausenbrot aus dem Staniolpapier wickle und schmatze! Wie ein Schweizer Beamter klopfe er in die Tasten, während sie als österreichische Geniein darbe und darbe. Aber Mutter weinet sehr, hat ja nun kein Ungeheuer Hans mehr.

Vor der Unerträglichkeit seiner Schreibmaschinenklopfgeräusche floh die ergebnislose Verzweiflungsbrüterin im geschenkten Volkswagen von Rom nach Zürich.

***

Kamera läuft: Aus dem Hotelzimmerfenster die Akropolis von hinten, englischer Tee in Athen, im Apotzos griechische Jungschauspieler ohne Rollen, griechische Jungschriftsteller ohne Schrift, die sich als Models durchbringen und bis zu ihrem Durchbruch jeden Job annehmen, der sich ihnen bietet, es ist zum Aus-der-Haut-Fahren, Mama, nie wäre ein Kind so sinnvoll wie heute! Eine Aufgabe! Eine Herausforderung!

Nur eben natürlich nicht mit dem devoten Party-Pagen! Statt eines Reiseführers hat sie Egon Friedell mitgebracht, Kulturgeschichte des Altertums, brava Mama, das erste Vernünftige in deinem Leben! – nur dass Friedell in Ägypten alles schäbig und schmutzig und sinnlos gefunden hat; aus Ägypten hat Friedell als einzige die Botschaft destilliert, dass es das Beste ist, zu Hause zu bleiben!

Und vor der Abreise nach Ägypten schnell noch zum Friseur! Der Friseur genau genommen ein Coiffeur, ein Intercoiffeur, er praktiziert im Hotel Grand Bretagne, natürlich immer nur das Teuerste in dieser finanziell desaströsen Situation! Mama! Hallo wach auf, Sphinx aus der Durchlassstraße! Friedell ist vor Ägypten auch nicht zum Friseur gegangen!

Gizeh, Hotel Mena House, die Pyramiden und die Sphinx. Luxor, Königin der Winterkurorte, der Obelisk von Hatschepsut, Königin von Ober- und Unterkärnten, das Erschrecken vor den ungeheuerlichen Säulen ihres Tempels, mit diesen Säulen wird sie Rache nehmen an den verwuzelten Gantenbeinchen! Auch wenn die von der Rache vielleicht gar nichts bemerken werden!

Die geschändeten Gräber der Totenstadt! Das Grab des Tutanch-Amun: Für mich war das nicht Stein und nicht Geschichte, Bub, sondern als wär kein Tag vergangen, etwas, das mich beschäftigte. – Ja Mama, das kann aber jeder sagen, jede, dazu muss man keine Besondere sein, dazu braucht man keine Qualifikation. Jetzt werde nicht gleich wieder traumatisierungskokett, Mama, da ein Schwächeanfall, dort ein Zusammenbruch, immer ganz flach hinlegen im Dampfer oder am Aussichtsturm, eine gute Nudelsuppe wäre jetzt nicht schlecht.

Ich bin zu keinem Gebrauch bestimmt, Bub! Ja, Mama, aber darauf brauchst du dir nichts einzubilden, das sind die Wracks am Schrottplatz auch nicht!

Hurghada. Theben. Assuan. Der Nil. Die Insel Elefantine. Mit dem Nildampfer nach Abu Simbel, dazu bestimmt, demnächst für immer in den Fluten des Nils zu versinken, Atlantis to go.

An den Ufern liegen zwischen Stechmückenschwärmen und Moskitonetzen überall herrenlose und damenlose Metaphern für alles und nichts herum, man braucht sie bloß aufzuklauben. Und da: Wadi Halfa, bevor es geflutet wird. Wadi Halfa, der Höhepunkt, der Endpunkt, Finale Furioso im tiefsten Sudan! Ende der Welt, Grab der Menschheit. Naht ihr euch wieder, schwankende Gestalten, die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt! Achmed! Muhamed! Abdu!

Mama gut Frau! Weiß Fleisch! Nix Ungeheuer Achmed! Nix Ungeheuer Muhamed! Nix Ungeheuer Abdu! Achmed stecken in Tasche Felician und Hänschen klein und Trauerpaul und Pfeifenmax, Achmed ficken Biedermänner in Arsch von Geist, grimmig Mamas Rache an den Intellektuellenzipfeln, Achmed rammeln Ich von Weib, aber Mama stöhnet sehr, Achmed gibt sein Bestes her, Achmed stößt Mama zu Befreiungserlebnis, Achmed gibt weiblichem Ich Gefühl für sich selbst zurück, Achmed Grenzsituationstherapeut von Mama, Mama, Mama, warum hast du mich verlassen?

Mama, geiles Luder lichterloh! Egon Friedell würde sich im Buch umdrehen, das du daneben hingelegt hast! Ach Bub, in diesem Augenblick hab ich mich für immer von der höheren Rasse entfernt! Ich bin`s, die Emma, Bub, geh du zu deinem Papa Bovary! Es masturbiert: Der Landarzt! Was gibt es Peinlicheres auf der Welt als Lebensläufe, ich habe zu schreiben, und über den Rest hat man zu schweigen: Hier spricht der Generalmajor (er verrät sich satzgrammatikalisch). Ab sofort nur noch tiefe Typen! Das ist die Lösung, das wahre Leben, das einzigartige!

Jetzt hast du`s dem Westen aber gezeigt, Mama!

Schweig, Bub, das verstehst du nicht! Dafür bist du noch zu jung! Außerdem: Achmed, Muhamed und Abdu hat es in Wirklichkeit nie gegeben, das waren bloße literarische Fiktionen!


Ingeborg Bachmann: https://de.wikipedia.org/wiki/Ingeborg_Bachmann
Paul Celan: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Celan
Max Frisch: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Frisch

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Egyd Gstättner

Egyd Gstättner (* 25. Mai 1962 in Klagenfurt) ist ein österreichischer Publizist und Schriftsteller. Egyd Gstättner studierte an der Universität Klagenfurt Philosophie, Psychologie, Pädagogik und Germanistik. Schon während des Studiums begann er mit Veröffentlichungen in Zeitschriften wie manuskripte, protokolle, Literatur und Kritik oder Wiener Journal. Seit seiner Sponsion 1989 lebt er als freier Schriftsteller in Klagenfurt, wo er zahlreiche Essays u. a. für die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Die Presse, Falter, Kurier und Die Furche verfasste. Besonders bekannt wurde er im Süden Österreichs mit seinen Satiren in der Kleinen Zeitung. Darüber hinaus schrieb und gestaltete er Features für die Österreichischen Radioprogramme Ö1 und Radio Kärnten sowie für den Bayerischen Rundfunk.1993 wurde er zum Dr. phil. promoviert. 1990 erschien die erste eigenständige Buchpublikation („Herder, Frauendienst“ in der „Salzburger AV Edition“). Bis 2018 wurden insgesamt 34 Bücher Gstättners bei Zsolnay, Amalthea, in der Edition Atelier und seit 2008 im Picus Verlag Wien publiziert. Seit 2016 hat er einen zweiten Wohnsitz in Wien. Gstättner ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

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