Diethard Sanders
Ostalpenländisches Fahrverbotsmanagement
2. Teil:
Als Geologe im Feld
Wer als Geologe seine Arbeit planvoll angeht, erstellt sich als erstes eine Art Logistik-Schema, wie weit er auf welchen Wegen fahren darf, bis ein Fahrverbotsschild ein weiteres motorisiertes Vordringen abblockt. Ab da heißt es zu Fuß gehen. Und das kann fallweise verdammt weit und verdammt viele Höhenmeter bedeuten, denn, man staune, die Fahrverbote sind fast immer recht tief auf den Flanken der heimischen Berge angesiedelt – das belegt immerhin den guten Willen derer, die sie vor vielen Jahren anfänglich aufgestellt haben.
Nun wäre die bewilligte Befahrung eines Weges mit Fahrverbot an sich kein Problem, sogar in den Ostalpen nicht. Zuerst muss man allerdings herausfinden, wer für den Weg zuständig ist – das Land, die Bundesforste, die Landesforste, die Gemeinde, die römisch-katholische Kirche oder ein Privateigentümer oder gleich mehrere Privateigentümer.
Nachdem die Ermittlungen einschließlich Einsichtnahme in Grundbücher in dieser Richtung das gewünschte Resultat gebracht haben, steht als Nächstes die Kontaktaufnahme mit dem Wegeigentümer oder, schlimmer, den Wegeigentümern am Programm, was sich vor allem bei privaten Eigentümern bisweilen als schwierig und sehr zeitaufwändig gestalten kann. Es empfiehlt sich daher, mindestens ein Jahr vor der geplanten Begehung mit der Kontaktaufnahme zu beginnen, um die entsprechenden Verhandlungen und rechtlichen Abklärungen zeitig hinter sich zu bringen.
Dann steht natürlich als nächstes die Frage im Raum, an welchem Tag oder an welchen Tagen man den Fahrweg nützen will. Man wählt sich also irgendwo weit draußen im noch terminleeren Raum der mittleren Zukunft ein Datum oder einen Zeitbereich aus, und dann ist alles erledigt.
Zum Praxistest
Als Geologe, der etwas mehr beforscht als nur die Sandgrube am Stadtrand, muss man fünf, acht, zwölf oder wieviel auch immer derartiger Verhandlungsstränge parallel führen, was selbst einen gut termin-gemanagten Spitzenpolitiker an die logistische Auslastungsgrenze bringen könnte. Außerdem zeigt die Erfahrung, dass aufgrund der unweigerlichen Gravitation der Termine (sie ziehen einander an, bis sie kollidieren) das vorher festgelegte Datum nicht zu halten ist. Und falls sich wider Erwarten kein Kollisionstermin einstellt, dann regnet es am erwählten Tag in Strömen. Jetzt sollte klar sein, weshalb man sich als Geologe, der nur seine Arbeit tun will, manchmal einfach nicht auf das ganze Brimborium rund um Fahr-Bewilligungen einlassen kann.
Doch selbst wenn man sich vermeintlicher Weise absolut korrekt eine Fahrbewilligung besorgt, ist man vor Unbill nicht gefeit. So erging es mir, als ich vor einigen Jahren bei einer Gemeinde eine Bewilligung für eine Sommersaison kaufte, um die einzige Straße, die in das recht große und eher abgelegene Gebiet führt, das ich dort bearbeitete, befahren zu dürfen.
Es handelt sich um ein Naturschutzgebiet, was die Sache zu Beginn scheinbar einfacher machte, denn dafür war diese Gemeinde hoheitlich zuständig, also konnte man sich zu einem recht stolzen Preis eine Fahrbewilligung sehr unbürokratisch erstehen, einschließlich eines Gesprächs mit dem Bürgermeister, der sich freute, dass in seinem Naturschutzgebiet Forschung betrieben wird.
So machte ich mich also – der Sympathie der einheimischen Bevölkerung sowie der Legitimität meiner hinter der Windschutzscheibe prangenden Fahrbewilligung gewiss – zuversichtlich auf den Weg.
Doch bald musste ich anderes erfahren. Nachdem ich der Straße eine kurze Strecke gefolgt war, sah ich einen gigantischen Jeep auf mich zukommen. Vorbeugend fuhr ich in eine Ausweiche hinein. Der Jeep hielt jedoch auf meiner Höhe an. Auf seiner Flanke stand: Landesforste. Drinnen saßen zwei sehr einheimisch aussehende Kerle, jeder mit einem grünen Hut am Kopf. Sie musterten mich misstrauisch. So belauerten wir uns eine kurze Weile wie zwei Kriegsschiffe, bis ich beschloss, dass die Situation doch irgendwie nach Auflösung verlangte. Ich stieg also aus und ging zum Jeep.
Wer bist du?, rief einer der beiden aus dem geöffneten Fenster.
Ich bin ein Geologe von der Universität, ich mache in diesem Gebiet eine geologische Karte. . . Fahrbewilligung hab ich. Und ich zeigte meinen Persilschein. Die beiden starrten gemeinsam eine Zeitlang schweigend drauf. Endlich beschloss der Fahrer, dass das so durchgehen kann, und sagte, mit einer Gebärde á la gerne sage ich es nicht, aber es scheint nun mal so zu sein:
Ja, ist recht.
Und damit drückte er aufs Gas und weg waren sie. Ich blieb im Staub zurück und wunderte mich über diese Begegnung. Dass die hier gar so heikel sind, hätte ich nicht gedacht. Dabei stehen weiter drinnen im Tal doch auch einige Ferienhäuser, darunter Neubauten. Komisch. Ich schien da etwas noch nicht ganz durchschaut zu haben.
Doch ich beschloss vorerst, die investigative Seite meiner Persönlichkeit lieber in der Geologie zu sublimieren, stieg ein und fuhr weiter. Am Ziel angelangt, stellte ich mein Auto ab, legte die Fahrbewilligung gut sichtbar vors Lenkrad und ging los. . . als ich am späten Nachmittag zurückkehrte war alles so, wie ich es verlassen hatte. Redlich müde vom Tagewerk stieg ich ein und machte mich auf den Rückweg.
Bald kam mir ein Auto entgegen, ein PKW der gehobenen Klasse mit einem Kennzeichen, das eindeutig aus unserem nördlichen Bruderland stammte. Ich verlangsamte die Fahrt und fuhr am rechten Fahrbahnrand entlang, dann wäre Platz für beide zum Durchkommen. Doch der andere machte erstmal keine Anstalten, rechts zu fahren, verlangsamte ebenfalls, und fuhr erst auf den letzten Metern genügend weit rechts, um kollisionsfrei knapp aneinander vorbeizukommen.
Während sie langsam an mir vorbeirollten, schauten mich ein graumelierter Mann (am Steuer) und seine Frau schweigend, aber vorwurfsvoll an. Stimmt. Ist ja auch eine Frechheit von mir, dass irgendein Herr Doktor oder gar Freiherr von Soundso wegen mir seine Fahrt zum Feriendomizil verlangsamen muss. Man könnte sich nun fragen, wer hier eigentlich der Herr im Lande ist, aber nach nicht wenigen Begegnungen dieser Art perlen solche Erlebnisse inzwischen rückstandslos von mir ab. Ich habe einfach keinen Bock mehr, mich jedes Mal darüber aufzuregen. Und weiter ging’s und ab nach Hause. Ich hatte meine Feuerprobe bestanden. . .
Als ich das nächste Mal also im vollen Bewusstsein der Wirksamkeit meiner Fahrbewilligung wieder in dieses Gebiet fuhr, hatte ich jedoch erneut eine sonderbare Begegnung. Es begann wieder so, dass mir ein Fahrzeug entgegenkam – aber was sage ich, entgegendonnerte: eine Art Kleinlaster raste unter Hintanlassung eines gewaltigen Staubschweifs auf mich zu, gleich dem Kometen, der das Ende der Dinosaurier einläutete.
Jetzt ist es also aus!, dachte ich kurz und schmiegte mein Auto an den rechten Fahrbahnrand, in Erwartung des Aufpralls. Doch irgendwie musste es der Fahrer des Lasters geschafft haben, sein Fahrzeug ohne zu schleudern auf irdische Geschwindigkeit zu bremsen und, ja, schließlich sogar neben dem meinen stehenzubleiben. Auf den Türen des Lasters stand Bundesforste.
Wer bist du?, rief mir der Beifahrer durch die von Staub getrübte Luft zu. Aha, eine klassische Eröffnung dachte ich. Ich nahm die Fahrbewilligung, stieg aus und sagte hustend:
Ich bin ein Geologe, ich mache in diesem Gebiet eine geologische Karte. . . Fahrbewilligung hab ich.
Wieder musterten sie die Bewilligung. Dann sagte der Fahrer:
Du kannst hier aber nicht herumfahren, wie es dir passt. Das geht nicht.
Na ja, immerhin waren die beiden von den Bundes- und nicht nur von den Landesforsten. Das verlieh natürlich gesteigerte Macht. Nun fühlte ich das erste Mal Wut aufsteigen, wusste aber, dass es vorerst besser wäre, diese nicht allzu offen zu zeigen.
Ich hab hier eine Fahrbewilligung, gekauft von der Gemeinde und mit der Unterschrift des Bürgermeisters. Wenn die das verkaufen, dann sollte das wohl auch was gelten.
Und klugerweise setzte ich hinzu:
Außerdem kurven hier auch genügend andere Fahrzeuge herum, die nicht von den Bundes- oder Landesforsten sind. Ich denke, die haben auch eine Fahrbewilligung. . . oder sollten sie zumindest.
Das wirkte. Es schien, dass der Fahrer angesichts des letzten Arguments ahnte, dass schlafende Hunde geweckt werden könnten. Es entstand eine Pause. Dann sagte er nur, ein wenig kryptisch (und zum Verwechseln ähnlich der finalen Reaktion der Landesforste):
Ist recht, drückte aufs Gas und weg waren sie.
Ich blieb nun in ziemlich gereizter Stimmung zurück, weil ich es langsam satt hatte, mich jedem Hinz und Kunz gegenüber ein jedes Mal dafür zu verantworten, dass ich ausgestattet mit einer bezahlten, unterschriebenen und gestempelten Fahrbewilligung auch fahren wollte.
Nicht mehr so sicher, ob ich mit den oben beschriebenen Begegnungen auch alle Stürme überstanden hätte, fuhr ich eine Zeit später erneut ins Untersuchungsgebiet. Außer einigen PKWs mit zumeist ausländischen Kennzeichen kam mir niemand entgegen, und auch niemand, der erneut Auskunft verlangte. Ich stellte mein Auto ab und verbrachte einen Tag im Feld. Erst als ich bereits die Rückfahrt angetreten hatte, bemerkte ich einen Zettel, der hinter den Scheibenwischer geklemmt war.
Ich blieb stehen und holte den Zettel heraus. Darauf stand eine knappe Botschaft:
Während der Jagdsaison ist die Befahrung der Straßen und Wege grundsätzlich untersagt. Oberrevierjäger Soundso.
Ein Telefonat mit dem Bürgermeister am nächsten Tag enthüllte, dass die Situation schwierig sei, denn außer der Gemeinde hätten noch die Jägerschaft, die Landesforste, die Bundesforste sowie einige private Wegeigentümer ein gewisses Mitspracherecht. Die Frage, weshalb die Gemeinde die Fahrbewilligungen dann überhaupt verkaufe, wurde mit der Auskunft beantwortet, dass die Gemeinde grundsätzlich schon das letzte Wort in dieser Frage hätte.
Wenn ich als Ostälpler grundsätzlich schon oder eigentlich ganz klar oder ähnliche umschreibende Diktionen höre merke ich sofort auf. Denn die heißen fast immer: gar nicht.
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In dieser Beziehung ist Österreich wie ein Krake, dem es in seinem Leben noch nicht gelungen ist, die Kontrolle über seine Arme zu übernehmen. Aber auch ein Vermächtnis der ÖVP, deren Bünde und Standesvertretungen für immer und ewig nicht unter einen Hut zu bekommen sind . Am Land ist es immer am besten man wartet auf die Meldung “ die Bauern san a dafirch“, dann ist man auf der sicheren Seite. Trotzdem Achtung! Es könnte sein, dass auch die Bleiberger Bergwerksunion mitreden darf, weil es vor 150 Jahren dort ein Bergwerk gab!