Ronald Weinberger
Entwurzelung eines Flachwurzlers
Notizen

Sie haben es sicher, und das nicht nur einmal, gelesen: Die Fichte Picea abies stirbt! Ein Schock, denn in der Forstwirtschaft und Holzindustrie wurden aus wirtschaftlichen Gründen seit jeher Lobgesänge auf sie ausgebracht; in der Kunst hingegen erfuhr sie stets sträfliche Vernachlässigung! 

Bloß Tannen- und Lindenbaum gelangten zu Ruhm (insbesondere in Form eines jeweils berühmten Liedes) – oder kennen Sie ein ohrgängiges Lied über die Fichte?
Und in der Literatur? Spielt hier der Fichtenbaum etwa eine tragende Rolle? 

Nehmen wir doch, als belesene Österreicher, als Paradebeispiel den vor genau 40 Jahren erschienenen Roman Holzfällen von Thomas Bernhard her, der ob seines Titels einen Konnex zu Picea abies geradezu impliziert. Wird da auch nur eine einzige Fichte gefällt? Mitnichten – also wieder nichts mit Fichten!

Wie gesagt: Der Fichte geht es an den Wipfel, die Äste und Zweige, den Stamm, die Rinde, die Wurzeln. Ihr droht der Abgesang. Ihr, einer hierzulande tief verwurzelten Baumart, droht, in anderen Worten, die Entwurzelung. Weil sie eben nicht tief genug wurzelt, sondern Flachwurzler ist. Und Käfern mundet. Dass diese gefräßigen Schädlinge noch dazu Buchdrucker heißen, ist nachgerade ein literarischer Affront.

Sie sollten besser nicht meinen: all das ficht mich nicht an. Ein wesentlicher Bestandteil des von beinahe allen von uns so geliebten, in uns verwurzelten Grüns – des Fichtengrüns – verschwindet! 

Da dieses zunehmende Entschwinden der Fichte mich sehr wohl anficht, habe ich mir erlaubt, meine Besorgnis, aber auch meinen höchstpersönlichen Dank in folgenden Reim zu gießen:

 


Des Dichters Heim von außen, Blockbauweise

 

In all dieser Erkenntnis Lichte
ist zu beklagen, dass die Fichte,
die unser Grün nachhaltig prägt,
vom Schicksal wird hinweggefegt,
wobei der Käfer, selbst der Wind,
der Fichte sehr, und dies geschwind,
den endgültigen Garaus machen …

Ja, all das leider sind die Sachen,
die uns‘re Existenz erschweren;
die Frage ist, ob sie uns lehren,
hinkünftig pfleglicher Natur,
sprich Umwelt, zu behandeln, nur
sind Menschen leider egoistisch
und ich deswegen – pessimistisch.

Du, Fichte, scheinst nun sterbenskrank.
Bist du dies denn? Das kann ich nicht bewerten.
Ich bin freilich geneigt, zu glauben den Experten
und sage besser rasch dir meinen Dank.

 


Des Dichters Heim von innen, Blockbauweise

 

Weshalb, fragst du? Du birgst uns ja allhier,
wärmst uns seit gut und gerne dreißig Jahren,
lässt reichlichst Wohlbehagen uns erfahren
im Haus aus DEINEM Holz. Wir danken dir!

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Ronald Weinberger

Ronald Weinberger, Astronom und Schriftsteller, 1948 im oberösterreichischen Bad Schallerbach geboren, war von 1973 bis 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Von 1977 bis zum Pensionsantritt im Dezember 2011 war Weinberger an der Universität Innsbruck am Institut für Astronomie (heute Institut für Astro- und Teilchenphysik) als Fachastronom tätig. Als Schriftsteller verfasst Weinberger humorvolle Kurzgedichte und Aphorismen, aber auch mehrere Sachbücher hat er in seinem literarischen Gepäck: Seine beiden letzten Bücher erschienen 2022 im Verlag Hannes Hofinger, im Februar das mit schrägem Humor punktende Werk "Irrlichternde Gedichte" und im September das Sachbuch „Die Astronomie und der liebe Gott“ mit dem ironischen, aber womöglich zutreffenden, Untertitel „Sündige Gedanken eines vormaligen Naturwissenschaftlers“.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. walter plasil

    Fichte soll den Autor warnen
    Ein Professor war er
    Ein Verbreiter von Ideen
    Atheist und Gottlos
    Da war ein Verweis gefällig

    Will sich da ein Dichter tarnen
    Auch Professor so wie er
    Auch Verbreiter von Gedanken
    Atheist und Gottlos
    Da ist Warnung überfällig

    Johann Gottlieb Fichte 1762 / 1814 Professor der Philosophie.
    Fichte wurde wegen Verbreitung atheistischer Ideen und Gottlosigkeit verklagt, erhielt einen Verweis und trat daraufhin zurück.

  2. c. h. huber

    es wäre wirklich schade, gäbe es bald keine heimischen fichten mehr. daher hoffe ich, dass, wie so häufig, totgesagte länger leben. auch in anbetracht der schönen möglichkeiten zur verwendung an und in häusern und wohnungen, wie sie die gezeigten fotobeispiele anschaulich machen. sehr ansprechend und gemütlich noch dazu! da könnte man auch wohnen, denken sich geneigte leser und leserinnen ganz bestimmt zu hauf.

Schreibe einen Kommentar