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Diethard Sanders
Die Zeiten sind noch nicht vorbei!
Aufmunternde Worte
zum Jahreswechsel

Und wieder ist ein Jahr vergangen. Die Zeit vergeht ja so schnell. Und das in Zeiten wie diesen, in denen jedes Jahr eigentlich dringend gebraucht wird! Aber das weiß man schon lange und das braucht auch niemanden zu stören. 

Und weil man eine Menge Erfahrung gesammelt hat in der Drift durch das Leben, hat man des Weiteren längst gelernt, dass man für gute Vorsätze sowieso keine Zeit und – wenn man mal so richtig ehrlich ist – auch keine Lust hat, und zwar vor allem, weil man keine Zeit dafür hat.

Also ist es das Beste, sich überhaupt nichts vorzunehmen und die Zeit einfach verstreichen zu lassen. Das geht ganz von selbst, da braucht man überhaupt nichts dazu zu tun. 

Lässt man die Zeit das große Geschäft verrichten, das sie ganz von selbst tut, dann würde man nicht einmal mehr den Jahreswechsel bemerken – hätte man nicht Kalender, um die ewig gleiche Wurst, die sich da an einem vorbeischiebt, in halbwegs verdauliche Stücke zu schneiden.

Doch nicht, dass wir nichts täten. Nein, Untätigkeit lassen wir uns keinesfalls vorwerfen, das weisen wir auf das Entschiedenste zurück. Wir arbeiten, und zwar viel.

Das Tolle an der vielen Arbeit ist, dass man am Ende des Tages, der Woche, des Monats ganz überrascht ist von dem, was man alles gemacht hat, weil man sich ja eigentlich nichts vorgenommen hat. Man ist immer voll beschäftigt.

Sich nichts mehr vorzunehmen befreit einen auch von der Frustration, die einen Menschen mit Vorsätzen unweigerlich befällt, weil man dann erkennt, dass der größte Teil der Zeit in Unwesentlichem verlorengeht, das aber trotzdem abgearbeitet werden muss. 

Wenn man sich überhaupt etwas für das neue Jahr vornehmen sollte, dann ist es dies: sich nichts vorzunehmen – und schwupp! Schon ist die Arbeit zu ihrer eigenen Freude geworden.

Das alles enthebt einen nicht des Rechts, ja der Pflicht, von anderen zu fordern, sie sollten sich etwas vornehmen, solange noch Zeit dazu ist. Ist doch die beständige Forderung der innerste Wesenszug unserer Zivilisation, und diese darf folgerichtig mitsamt ihrem Bruder, dem guten Vorsatz, nicht verschämt verschwiegen, sondern muss lautstark angemahnt werden: Tu etwas, hast du gehört? 

Tut was, ihr Säcke! Nehmt euch mal so richtig etwas vor! Allerdings will ich selber nichts damit zu tun haben, um das gleich klarzustellen! Lasst mich gottverdammt nochmal in Ruhe!

Jenen Sektierern, die trotzdem starrsinnig die Botschaft verbreiten, die Zeit würde uns ausgehen, sodass sie irgendwann vorbei sein würde, sei gesagt: Direkt gegenüber der vergangenen Zeit gibt es immer noch jede Menge andere Zeiten und die werden Zukunft genannt.

Also: 2024 ist nur eine Zahl. Wursteln Sie einfach so weiter wie bisher und Sie werden sehen, es geht alles ganz glatt und Sie flutschen genauso wie bisher mühelos von der hauchdünnen Gegenwart in den gigantischen weichen Wattebausch einer grenzenlosen Zukunft. Und das ist auch das Beste so. Denn bezahlt wird man nur fürs Weitermachen – ob mit Hirn oder nicht, ist im Grunde genommen egal.

Überhaupt ist die ganze Aufregung um Zeiten, die irgendwann vorbei sein könnten, an den Haaren herbeigezogen und durchaus schädlich. Was soll das? Das erzeugt nur Stress und schlechte Laune. 

Übrigens: In jenen Zeiten, in denen es besonders zum Jahreswechsel niemandem in den Sinn gekommen wäre, dass die Zeit irgendwann einmal vorbei sein könnte, hat sich kein Marzipanschwein darum gekümmert. Diese Art der zirkulären Geisteshaltung nennt man dann Optimismus oder Zuversicht, und davon kann man heutzutage nie genug bekommen. 

Es ist schon klar, dass die Grenze zwischen Optimismus und Verblendung fließend ist, aber wer vermöchte das in jedem Einzelfall genau zu trennen? Solche schwierigen Unterscheidungen sollte man doch lieber Fachpsychiatern überlassen und sich bis dahin voller Zuversicht an die Arbeit halten.

Außerdem – dies ein Tipp unter Freunden – kommen optimistische Personen bei ihren Mitmenschen immer besser an als skeptische oder pessimistische. Arbeiten Sie daher zumindest so intensiv wie bisher weiter und strahlen Sie dazu so viel Optimismus aus wie Sie nur können. Die Leute werden Ihnen zu Füssen liegen und sogar im beruflichen Sektor wird sich so manche gläserne Decke vielleicht doch noch als durchlässig erweisen.

Reißen wir also das Kalenderblatt mit dem 31. Dezember 2023 frohgestimmt herunter und blicken voller Freude auf die neuen Herausforderungen ins kommende Jahr! 

Wir werden wieder sehr viel erledigen, nur wenig arbeiten und noch weniger denken. Und nicht vergessen: 2024 ist nur eine Zahl. Sorgen wir im neuen Jahr in gemeinsamer Anstrengung dafür, dass jene Zeiten bald vorbei sein werden, in denen die Zeiten angeblich vorbei zu sein drohen, indem wir der Zeit ihren freien Lauf lassen.

Ein gutes neues Jahr!

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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