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Diethard Sanders
Aschermittwoch
Predigt

Eines Tages wird es soweit sein. Noch während man lebt – denn heutzutage gehen ja alle Dinge immer schneller – bekommt man von den Nachfolgenden jene Fragen gestellt, an die man vorher in der Ratlosigkeit seines gekränkten Egoismus gar nicht denken wollte, bockig, wie ein kleines Kind, das schmollt. Oder aber man wusste durchaus um die Fragen, hatte aber dummerweise angenommen, sie würden erst dann aufgeworfen werden, wenn einem der Tod jegliche Verantwortung abgenommen hat.

Unbeantwortete oder nicht überzeugend ehrlich beantwortete Fragen haben die lästige Eigenschaft, dass sie sich immer wieder aufs Neue aus dem Äther formen und dann wie ein Schwarm von Raben laut krächzend unablässig über einem ihre Kreise ziehen. Es hilft nicht, mit dem Gewehr auf sie zu schießen, obwohl man das vielleicht sehr gerne täte, aber alle Geschosse gehen durch sie hindurch, solange man keine ehrliche Antwort gegeben hat.

Und sie halten nicht ein in ihrem Kreisen und Krächzen, auch wenn man versucht, sich ganz ruhig und unauffällig zu bewegen und dabei so tut, als hörte man es gar nicht. Aber klar hört man es. 

Das Einzige, das helfen würde, der Antwort zu entkommen, wäre, gleich einem Ninja, jegliche Spur der eigenen Existenz zu vernichten, bis kein Mensch mehr weiß und es kein einziges Dokument mehr gibt, das belegen könnte, dass man überhaupt gelebt hat. 

Selbstgerechte Helden der Pflichterfüllung und ihr von heimlicher Schuld Erdrückte: Hier könntet ihr beginnen, soferne ihr das durchhaltet!


Hier nun die Fragen

Wie oft habe ich den Optimisten so gerne geglaubt? Was in mir ist es gewesen, dass ich mir alle die netten Sätzchen willig in die Hirnschale schütten ließ und dann beruhigt erneut wieder wegschaute und nichts wissen wollte? 

Fühlte ich mich etwa zurückgesetzt gegenüber jenen, die gewarnt und weniger nette Botschaften verbreitet hben? – diesen prophetenhaften Gestalten, Männer wie Frauen, die vor Bildschirmen saßen und von Dingen redeten, die ich nicht verstanden habe oder einfach nicht verstehen wollte. 

Lag die Wurzel des Glaubens an das, was ich eifrig und eilfertig allzu gerne geglaubt habe, etwa in Kränkung und Neid? Und wenn dem so war, wieso wollte ich mir dies nicht eingestehen? Wovor und vor wem bin ich damals weggelaufen?

Oder hatte ich im Grunde ganz einfach Angst, nackte Angst? Aber wovor genau? Hatte ich vielleicht schon so viel Angst, dass ich gar nicht mehr wusste, wovor? Hatte ich mich in der Hilflosigkeit meiner Angst einfach in irgendeinen Gegenstand verbissen, an dem ich sie, in Form von Hass, vermeintlich wohlgetarnt, endlich laut hinausschreien konnte?

Habe ich die einfachen Antworten gesucht und gewollt? Welche einfachen Antworten habe ich gerne zu glauben vorgegeben, während ich im Grunde genau wusste oder wenigstens ahnte, dass sie eigentlich die falschen waren? Was hat mich dazu getrieben, was hat mich so weit gebracht im stillen Wissen darum, dass jene Antworten die falschen waren, sie dennoch zu glauben vorzugeben? 

Oder bin ich wirklich ganz einfach dermaßen dumm gewesen? Möchte ich das von mir annehmen? Würde ich dieses Eingeständnis ertragen? Und wie oft wollte ich die Wahrheit gar nicht wissen, habe aber lautstark Ehrlichkeit eingefordert?

Wisse, auch du wirst ein winzig kleiner Akteur und durchaus Mitgemeinter in den Geschichtsbüchern der Zukunft sein, und auch der Egoismus und all der vergrabene Hass, die nur auf ihre Gelegenheiten gelauert haben, werden an den Tag gebracht.

Dieses Mal wäre es aber nicht mehr das erste Mal gewesen, mit dessen Unbekanntheit man sich entschuldigen hätte können. Die Schuld bliebe bestehen, egal, mit wie vielen Worten und Windungen man sie hinterher wieder kleinreden wollte.

Dieses Mal sind auch alle Folgen hinreichend bekannt, wohl untersucht und im Voraus verkündet, und niemand wird sagen können, das alles hätte ja kein Mensch ahnen können. Fernerhin wird man also sagen: Alles ist bekannt gewesen und alles stand geschrieben, und dennoch wollten jene aus Mutwillen nicht verstehen, was sie hörten, und nicht erkennen, was sie sahen.

Mag eine Diktatur die Masse vom Denken entlasten. In einer Demokratie gibt es dafür keine Ausrede!


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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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