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Corvus Kowenzl
Über die Faulheit
Über die Mutlosigkeit
Über das Bedenken
Über die Angst
Gedanken zum Jahreswechsel

Jahreswechsel 2022/23. Der Bundespräsident hält im Fernsehen eine Rede, nach der man vermuten könnte, Österreich befindet sich direkt im Krieg. Mit wem auch immer.

Dabei sind lediglich Zustände und Nöte in die Mitte unserer Gesellschaft wiedergekehrt, die man vordem noch von den Gruselerzählungen der Eltern oder eben aus besagtem Fernsehen kannte: Inflation, kalte Wohnungen, dunkle Nächte (weil zu wenig oder eingesparter Strom), starke Verteuerung von Lebensmitteln, unleistbare Arzt-Behandlungen – und überhaupt wird alles in Frage gestellt, das man bisher mit völliger Selbstverständlichkeit als gegeben annahm, weil wir ja so modern und technisiert und vor allem immer mehr digitalisiert leben.

Wie konnte das nun wieder einmal passieren? – grübelt man, während man schichtweise angetan mit zwei Thermo-Unterhemden und dickem Faserpelz dasitzt, die Füße in zwei Paar Socken gesteckt und die Beine mit langer Unterhose und einer Thermohose bedeckt, die noch aus den goldenen Tagen stammt, als man sich solche Teile noch leisten konnte.

Zu 90% von russischem Gas abhängig. . . ts ts, dabei predigt man ständig jedem Anleger, vom kleinsten bis zum größten Kaliber, dass man streuen soll. Also seinen monetären und damit seinen gesamthaften Lebenskomfort nicht nur von einer Finanzquelle abhängig machen! Wirecard-Aktionäre lassen schön grüßen.

Aber offensichtlich wurde nicht einmal diese letzte Binsenweisheit von den Verantwortlichen – zur Erinnerung: unseren zum Lenken gewählten Lenkern sowie den Managern in den entsprechenden Branchen – in angemessener Weise berücksichtigt. Man glaubte in den oberen Stockwerken offenbar, oder wollte glauben, man hoffte, oder wollte hoffen, dass alles so weitergeht wie bisher. Und jetzt ist einem nur kalt.

Weil man durch keine unbedachte Bewegung die kalte Luft unter die Kleidung lassen möchte, grübelt man einfach weiter. Wie konnte es so weit kommen? Und schnell seziert man schon mit dem ersten Schnitt die Faulheit, ja: die schlichte Faulheit der Lenker (seien sie gewählt oder in Unternehmen aufgestiegen) als eine Ursache zutage. War ja auch so bequem, all das günstige Gas von einem einzigen Anbieter zu beziehen! Das vereinfachte nicht nur die Verhandlungen, sondern auch die Logistik der Lieferung. Und überhaupt alles!

Man grübelt weiter. Aber wurde nicht schon seit – man erinnert sich nicht mehr seit wie vielen – Jahren von der Anpassung an den Klimawandel und von Erneuerbaren Energien geschwafelt? Wieso finden sich nicht längst auf allen Dächern, auch der Einfamilienhäuser, Solarpaneele? Die Technik dazu gibt es nunmehr seit Jahrzehnten, das ist längst nicht mehr der letzte Schrei.

Ja, schon klar, das muss man politisch durchsetzen, und dazu hätte es Mut gebraucht. Mut von Lenkern, die lieber vom Wandel reden als ihn herbeiführen, auch wenn das anstrengend werden könnte. Und erst bei den Wahlen! –nicht auszudenken! Die Leute wählen doch immer nur die, die den geringstmöglichen Wandel und vor allem, mit wohlbemessenem Gestus (jetzt kommt das Zauberwort dieser Zeiten) Stabilität versprechen.

Und man grübelt weiter über die Erscheinung der Mutlosigkeit. Wann verhält sich jemand mutlos, und wann ist jemand lediglich vorsichtig? Bald enthüllt sich: Vorsicht wäre gewesen, sich nicht zu 90% von einem einzigen Gas-Anbieter abhängig zu machen; Mutlosigkeit dagegen ist, jahrzehntelang wegen möglicher Verstimmungen beim Wahlvolk keine Solarpaneele verpflichtend eingeführt zu haben. Dafür friert man jetzt.

Denn natürlich gab es Bedenken gegen Solarpaneele, und zwar ganz einfach, weil Bedenken zum alles durchdringenden Hintergrundrauschen des Universums gehören und sich deshalb immer und überall und unter allen Umständen äußern oder zumindest vorspiegeln lassen, als verlässlicher Schutzschild für all die Faulheit und Mutlosigkeit.

Ab diesem Punkt wird es wieder einfach. Denn jedem und jeder, auch wenn er oder sie oder beide gemeinsam frieren, ist es – nach der zehnten billigen Fertigpizza in Serie dem Kotzen nahe – intuitiv gewärtig, dass hinter der Mutlosigkeit die Angst Pate steht. Man könnte hier vielerlei Formen von Angst in einer Art von Kaskade aufzählen, was aus Platzgründen unterbleibt. Am Ende aber, ganz zuletzt, geht es um die gute alte Angst, etwas zu tun, zuzulassen oder zu unterlassen, das einem die gesellschaftliche Anerkennung und Geltung entzieht, und sei es auch nur ein ganz klein wenig davon.

Diese Angst hat sich längst nicht nur in den politischen und wirtschaftlichen Führungs-Etagen breitgemacht. Frieden verblödet, ein langer Frieden noch mehr. Also werden auch in anderen Sektoren wie etwa Forschung und Kultur ständig Entscheidungen und Nicht-Entscheidungen getroffen, die von Mutlosigkeit, Bedenkenträgerei und der oben angesprochenen Angst vor gesellschaftlichem Anerkennungsverlust getragen sind. Man wählt, und zwar politisch wie ästhetisch, lieber das Bewährte, da wähnt man sich in Sicherheit.

Man kann es nicht oft genug wiederholen: das Neue ist nicht vertraut und wirkt befremdend, weil es eben neu ist. Das Neue ist deshalb ungewohnt, weil es neu ist. Doch wie oft wird es zur Normalität von morgen!

Zuletzt ein Beispiel dafür. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde dem Maler Albin Egger-Lienz 1919 eine ordentliche Professur an der Wiener Akademie angeboten. Er lehnte ab. Vermutlich war ihm seine Freiheit lieber. Die brauchte er auch, um das Bild Christi Auferstehung (1925) in der von Clemens Holzmeister entworfenen Kriegergedächtniskapelle in Lienz zu schaffen, in einer Auflösung des Themas, die radikal neu war. Selbstverständlich missfiel diese Deutung der Auferstehung einigen Leuten mit besonders gesundem Menschenverstand und in Folge auch dem Vatikan, und so verordnete das Heilige Offizium ein Gottesdienstverbot für die Kapelle, das bis 1950 aufrecht blieb. . .

. . . dem Autor ist bis heute aus der gesamten abendländischen Malerei kein Bild bekannt, welches das Thema der Auferstehung so eigenständig, tiefsinnig und hingebungsvoll wiedergibt wie dieses Bild.


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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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