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Diethard Sanders
Die Fibrafuration
Eine intramontane Neurose
Aus der Satirenreihe:
Abgründe alpenländischen Alltags

Es begann schleichend. Obwohl ich von Berufs wegen (ich bin Geologe, sagte ich das schon?) ziemlich oft in Wald und Flur und in sturmgepeitschten Höhen unterwegs bin sah man mir das im normalen Leben nicht an.

Wenn ich mich also im Büro meines Instituts befand, stach ich nicht in auffälliger Weise von den übrigen Angehörigen der Universität ab. Ich kleidete mich dezent urban, also viel Dunkles bis Schwarzes aus Baumwolle, Wolle und manchmal sogar Seide (Die Hemden! Nicht die Unterwäsche!).

Ich gebe zu, dass dies auch einer bewussten Abgrenzung gegenüber jenen meiner Geologen-Kollegen entsprang, die anscheinend nichts anderes als Funktionskleidung besitzen, sprich, die immer und überall und selbst zu feierlichsten Anlässen in ihrem unvermeidlichen Faserpelz und ihrer Foretex-Hose auftauchen. Ich nenne oder besser gesagt, nannte diese Leute immer nur liebevoll ironisch Die Faserpelze oder Ein Faserpelz.

Das sollte nicht heißen, dass ich sie verachte, im Gegenteil sind wenigstens die meisten von ihnen angenehme und interessante Zeitgenossen, die halt einfach nicht mehr aus ihrem geliebten Pelz herauskommen. Oder können Sie, liebe Leserin und lieber Leser, so einfach aus ihrer Haut heraus?

Ich hatte früher einmal auf einer anderen Uni einen Kollegen, der trug Jahr und Tag, seit ich ihn kennengelernt hatte, immer denselben grauen Faserpelz, bis dieser allmählich mit einer Art von Speckschicht oder Patina überzogen war, die er (trotz meines mehrmaligen unverbindlichen Vorschlags) keinesfalls durch Waschen wieder zerstören wollte, weil dadurch die wasserabweisenden Eigenschaften dieses durch geduldige Reifung einmalig veredelten Materials Schaden genommen hätte.

Genau so wollte ich nie enden. . . und nun sitze ich vor meinem Computer, angetan mit einem Elastan T-Shirt und: einem Faserpelz. Nicht zu vergessen die leichte, vollsynthetische und wunderbar leichte ThermoRex Hose. Wenigstens die Unterhose besteht noch aus Baumwolle. Wie aber konnte es dazu kommen?

Weil alles eine Vorgeschichte hat blenden wir erstmal zurück.

Wir schreiben das Jahr 1976 n. Chr. Das weströmische Reich ist längst untergegangen, aber die allgemein erhältliche Bergbekleidung bestand im Wesentlichen immer noch aus den Materialien Leder, Baumwolle, Wolle und Leinen.

Vor diesem Hintergrund war das Erscheinen des sogenannten Faserpelzes aus synthetischen – sie sagen es: Fasern ein technischer Durchbruch, der höheren Tragekomfort mit Multifunktionalität verband.

Von da an brauchte man beim Aufstieg nicht mehr bei jedem Windstoß, der in das nassgeschwitzte Baumwoll-Hemd fuhr, zu frösteln bis hin zur leichten Lungenentzündung, denn der Faserpelz dämpfte sowohl den Wind als auch dessen Kühlungs-Effekt so ab, dass man sich darunter immer noch im physiologisch verträglichen Bereich der Körperoberflächen-Temperatur befand.

Von da an brauchte man auch nicht mehr zu warten, bis selbiges, beim Aufstieg nassgeschwitzte Baumwoll-Hemd sogar an einem heißen Sommertag, etwa drei Stunden benötigte, bis es wieder trocken war, weil der verschwitzte Faserpelz, den man am Boden zur Besonnung ausbreitete, binnen weniger Minuten auftrocknete.

Und überhaupt sahen sogar schon die frühen Faserpelze irgendwie fetziger und weniger altväterisch aus als die herkömmliche Bergbekleidung im Luis-Trenker Stil. . . vom Tragekomfort mal ganz zu schweigen.

Von da an begann der Siegeszug des Faserpelzes und der Funktionskleidung im allgemeinen. Zuerst trug man Faserpelz nur bei sehr casual events bestimmter sozialer Randgruppen wie etwa Berufskletterer, Glaziologen, Höhlenforscher, Geologen und dergleichen Leute.

Doch irgendwie konnte man doch von Anfang an nicht verhehlen, dass man in dieser Faserpelz-Fashion gleichzeitig immer auch gut aussah und das kleine Quäntchen besser rüberkam, denn: Faserpelz signalisiert action, Freiheit, Abenteuer. . . und ist verdammt nochmal einfach viel angenehmer zu tragen als ein Sakko mit Krawatte.

Ich nehme an, die Unterwanderung der Gesellschaft durch den Faserpelz begann zuhause, also noch bevor Faserpelz bei offiziellen Anlässen hoffähig oder wenigstens tolerierbar wurde.

Von den notorisch windigen Graten via das traute Heim sickerte der Faserpelz also immer weiter in den Alltag hinein, soweit meine Theorie. Schon sonderbar, wenn man etwa in Wien morgens in der U-Bahn Leute in Funktionskleidung antrifft, die komischerweise keinen Rucksack, keine Ski, kein Kletterseil oder sonstige einigermaßen überzeugenden Belege für tatsächlich geplante outdoor-Aktivitäten vorweisen können.

Ich weiß, in Wien heult fast immer ein schneidend kalter Wind durch die Gassen, aber muss man sich deshalb gleich von Kopf bis Fuss mit Foretex und ThermoRex bedecken?

Wenn heute etwa ein hochverdienter Forscher, Entdecker oder Extremsportler geehrt wird und dazu im Faserpelz auftaucht, dann kann man sich als pflichtbewusster Sakko-Träger (zumeist der ehrenden Seite entspringend) im Stillen wenigstens dieser kleinen Überlegenheit gewiss sein, dass diese Extrem-Leute eben einfach nicht mehr anders können. . . das muss man ihnen nachsehen.

. . und außerdem sind sie bei solchen Events längst zu wandelnden Litfaß-Säulen ihrer Sponsoren geworden und sie müssen all die Funktionskleidung tragen, damit man die Firmennamen möglichst sieht, weil das so im Vertrag steht. Noch ein Grund für den Sakko-Träger, sich zu freuen: Er kann sich wenigstens das Muster und die Farbe seiner Krawatte selbst aussuchen.

Dennoch ändern solche kleinen, strategisch irrelevanten Rückzugs-Siege der Krawattenträger nichts an der schleichenden Verfaserpelzung der inneralpinen Gesellschaft, in der Fachsprache auch progressive Fibrafuration genannt, von lateinisch fibra, die Faser und fur, der Pelz. So auch bei mir.

Ohne dass meine Partnerin und ich es anfangs bemerkten, trat vor allem ich zuhause immer öfter und dauerhafter im Faserpelz auf, etwa, wenn wir nach einer Bergwanderung nach dem Duschen wieder einen unserer Faserpelze anzogen, weil er halt angenehme thermische Eigenschaften hat und praktisch ist, und weil das so ist, mutiert das ausnahmsweise Faserpelz-Tragen in den eigenen vier Wänden immer mehr zu einem Dauertragen, bis man schließlich abends zum Schlafengehen nur noch widerwillig den Faserpelz mit dem guten alten Baumwoll-Pyjama vertauscht.

Die Erkenntnis teilt mit dem Gewissen die Eigenschaft, dass sie spät zu erwachen pflegt – aber immerhin, sie kann sich im Prinzip einstellen. Also geschah es, dass mir eines Morgens, gerade nachdem ich schon wieder in meinen geliebten blauen Haus-Faserpelz geschlüpft war, schlagartig klar geworden war, wie sehr ich mich verändert hatte.

Wie vom Donner gerührt stand ich da vor dem Spiegel, erst stumm vor Schreck, dann das Geständnis stammelnd: Du, Schatzi . . . ich glaub‘, aus mir ist ein Faserpelz geworden.

Doch anstatt mir in meiner Niederlage Trost zuzusprechen legte sie noch eins drauf: Das merkst du erst jetzt ?. . . das bist ja schon lange.

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Ronald Weinberger

    Fasrige Laudatio

    Der Faserpelz, so deucht es mir,
    gerät manch‘ Forschern zum Pläsier
    (in Wirklichkeit und nun auch schriftlich,
    wie aus dem Beitrag ist ersichtlich).

    Hingegen ist, so DIETHARD SANDERS,
    he himself doch ein wenig anders,
    da er der Fibrafuration
    sich spöttisch annimmt: Dies obschon
    er einräumt, dass selbst er bisweilen
    dem Faserpelz nicht konnt‘ enteilen,
    bis Blicke in des Spiegels Tiefen
    ihn, DIETHARD, zur Besinnung riefen,
    doch, schrieb er, dennoch nicht bewahrten
    vor’m Ausseh’n wie die angejahrten
    Kollegen, die im Faserkleid
    verbreiten visuelles Leid.

    Kapp ich vom Vornamen das DIE
    und dreh‘ den Rest um … Jäh allhie
    erschuf ich eine Lobeszeile,
    präsentiert hier in gebot’ner Eile
    (eine Ehre sei’s ihm, in der Tat!):

    Der SANDERS DIE….., der ist auf DRAHT!

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