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Diethard Sanders
Commune videosorvegliata
Aus der Satirenreihe:
Abgründe alpenländischen Alltags

Schon des Älplers wackre Altvorderen, an denen sich die Ritterheere der Habsburger aufrieben (Westälpler), und die Napoleons Truppen zum Teufel jagten (Ostälpler) wussten, dass ihr bester Verbündeter das alpine Gelände ist – jenes  steile, unübersichtliche Spielfeld für Partisanen, das keinem gestandenem Feldherrn jemals geheuer war. 

So bot denn der alpine Raum seit alters her ein reichhaltig zerklüftetes und dicht bewaldetes Substrat, auf dem sich Dramen aller Art und meist (wegen dem vielen Wald!) in aller Heimlichkeit abspielen konnten – Raub, Hinterhalt, Verbotene Beziehungen, Wilderei, Mord & Totschlag, Walpurgisnächte und . . . fast hätt‘ ichs übersehen – und Besitzstörung.

Die Kompliziertheit des alpinen Substrats gereicht dem Älpler manchmal zur Freude – er klettert, canyont, kraxelt, krebst, wandert, jodelt, liebt und säuft meistens gerne darauf herum – manchmal aber auch zum Leid: zuviel geschieht in den Rinsen und Schluchten, Gebüschen und Wäldern, hinter Felsschuppen und in dunklen Kaminen, und nicht zuletzt auf strauchigen Pfaden und Wegen im Wald, von dem er nicht weiß, ob es eine Besitzstörung darstellt oder nicht. 

Früher, da gab es nur vage Berichte von angeheiterten Förstern, befreundeten Wilderern und kalte, durchwachte Nächte im Wald, um Übergehungen festzustellen, bei anhaltend hoher Dunkelziffer. Jahrelang lauerte man oft nächtens frierend im Hinterhalt, um nur vielleicht endlich jene Kanaillen dingfest zu machen, die zwischen zwei und vier Uhr früh den Parkplatz benützen, ohne einen Parkschein für sieben Euro zu lösen. 

Der Schlafentzug der vielen durchwachten Nächte forderte das seine, dazu kam meist exzessiver Schnapsgenuss, tagsüber Gereiztheit und Abgespanntheit, abgefrorene Zehen, Ärger, zerbrochene Ehen, Prostata-Entzündung und ein vergrämter Ischiasnerv. Ja, es war ein hartes, leidiges Leben voller Unbillen. . .

. . . und dann kamen die Videokameras und alles wurde anders. Jetzt kann der aufrechte Landbesitzer, der im Grunde ja nur das Beste für seinen von schluchttiefen Pfützen durchsetzten Schotter-Schlamm-Parkplatz will, gerecht an der Seite seines kirchlich angetrauten Weibes schlummern, während nimmermüde Augen gleich Eulen auch bei völliger Dunkelheit alles sehen und für den nächsten Morgen getreulich digitalisieren. Amen. . . und Besitzstörung.

Soweit die Theorie. In der Praxis haben die Videoaugen heute noch den Nachteil, dass sie nicht zu Fuss sind. Man kann sie nur irgendwo fest installieren. Am Stamm einer Lärche annageln zum Beispiel. Gut, sie können ein wenig hin- und herfahren und die besseren Modelle können auch zoomen, doch auf den notorisch schlechten Bildern sehen alle Täter zwischen 20 und 80 immer so aus als wie des Nachbars Seppl. Doch der hat ein perfektes Alibi. 

So tummeln sich denn schwarzweisse verschwommene Männlein weiterhin munter vor der nur scheinbar unerbittlichen Videolinse: die Polizei bittet um Hinweise von Augenzeugen. Doch eine unausgereifte Technik, die einmal eingeführt ist, lässt sich stets erst dann wieder aus der Kultur entfernen, wenn sie endlich das leistet, was sie ursprünglich versprach, weil dann nämlich schon die nächste unausgereifte Technik auf den Markt kommt. 

So quälen sich denn Kriminalbeamte, Polizisten, Gemeindebedienstete, Gebäudeverwalter und Parkplatzbesitzer folgsam mit den miesen, verzerrten Bildchen ab, die man noch nicht mal in der Frühzeit der Daguerreotypie für gelungen gehalten hätte. Doch das ist im Grunde auch egal. 

Denn die blosse Drohung der Videoüberwachung scheint zu wirken. Sie ersetzt in zunehmend egomanischen Zeiten das, was früher das Gewissen oder – je nach der Art der jugendlichen Sozialisation – das Bewusstsein der Allgegenwart Gottes war. Soviel zu den moraltheologischen Grundlagen der Videoüberwachung. 

Da die Verkündigung der Überwachung und weniger ihre tatsächliche Ausführung das eigentlich Wirksame ist, reicht pro Parkplatz und pro Gemeinde ein einziges altes Modell, und das ist oft nur eine leere Attrappe. Wichtig ist das Hinweisschild, nicht die Kamera. Doch das war einmal! 

Inzwischen beobachtet man eine stark zunehmende Anzahl von Videokameras, die tatsächlich ihren Dienst zu tun scheinen, aber so genau weiß man das dummerweise ja nie. Vor allem in den etwas südlicheren Anteilen der Alpen gibt es heute bald keine noch so kleine Ansiedlung in keinem noch so entlegenen und steilen Bergtal, die nicht mit einer neben der Strasse deutlich angekündigten videosorveglianza versehen wäre. Nicht mehr commune per la pace sondern commune videosorvegliata ist das neue Zauberwort. 

Wahrscheinlich vermehren sich freilebende Videokameras durch windgetragene Sporen, so ähnlich wie Pilze. Denn nur so lässt sich ihre rapide Ausbreitung von einigen wenigen, unbekannten Ursprungszentren aus erklären. Ein interessanter Fall für Evolutionsforscher. Vor meinem geistigen Auge erscheinen neonbeleuchtete unterirdische Zentralen, in deren Hallen weissbekittelte Menschen vor Bildschirmen und riesigen Schaltpulten sitzen und alles Geschehen in Wald und Flur video-sorvegliieren. Leise hört man die Funkmeldungen der automatischen Überwacher, mit klarem, sachlichem, roboterhaften Tonfall gesprochen:

16.31 Uhr: Sehr ungeschicktes Übersteigen eines Holzzaunes durch eine dickliche Person, Sektor 3C/7F, Zielkoordinaten UTM 4.0797N/78.899R. Prüfen auf Besitzstörung und Übergewicht.
2.30 Uhr: Rechtswidrige Benützung des als Parkplatz ausgewiesenen Lawinenstriches durch einen Audi mit der Nummer ILK 2546 F. Es wurde kein Parkschein gelöst. Strafverfahren wegen Besitzstörung einleiten.
11.28 Uhr: Kartierender Geologe findet die fünfte illegale Mülldeponie unserer schönen Gemeinde. Schlägertrupp ausschicken?
14.45 Uhr: Sexueller Missbrauch eines hohlen Fichtenstammes als Pissoir durch eine Person augenscheinlich männlichen Geschlechts. Vermutlich Rückfalltäter. Weiters prüfen auf Flurschädigung und Besitzstörung. Erbitte weitere Anweisungen.

Neulich überkam mich alleine mitten im tiefen steilen Wald weitab von allen Wegen ein menschliches Rühren. Na so was aber auch! Wie peinlich, dachte ich mir, jetzt können wieder alle aus der Gemeinde zuschauen. Doch es half nichts, zu stark war die Natur, rasch zeichnete sich ab, dass ich nachgeben musste. Ich blieb stehen: misstrauisch, vorsichtig und mit zusammengekniffenen Augen, wie ein Irokese auf Kriegspfad, musterte ich das Terrain um mich herum. 

Ich atmete langsam durch den weit geöffneten Mund, um mich nicht durch Schnaufen zu verraten. Nichts zeigte sich. Es war still, nur die Vöglein in den Zweigen zwitscherten. Doch ich beherrschte mich. So billig kann man einen alten Kämpen wie mich nicht hinters Licht führen. Da! – da! – da war doch was! . . . oder doch nicht, nein, nein, es war nur ein kleiner Windstoss, der einen Farnwedel ein wenig zum Fächeln gebracht hatte.

Ich fixierte den Wedel mit einem scharfen Blick – mach das ja nicht nochmal! Angestrengt musterte ich weiterhin meine Umgebung, während mir allmählich die Schweissperlen auf die Stirn traten. Es musste sein. Ich entschied mich für die Überrumpelungstaktik. Gürtel auf und Hose runter war eines und die Natur nahm ihren Lauf. 

Just als ich völlig wehrlos war, da hörte ich ein leises Schnurren. Ich blickte sofort in die Richtung des Geräusches und da sah ich es: kreisrund, schwarz, präzis auf mich gerichtet. Da dachte ich mir nur noch: Ach, leckt mich doch am Arsch!

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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