Corvus Kowenzl
Laborumbau
Ostalpenländische Universitätssatiren
Folge 12

Folgende bescheidene Zeilen präsentieren einige der markantesten Erinnerungen meines Berufslebens als Lehrer und Forscher an einer Universität mitten in den Ostalpen, im Lande des Grüß Gott. Die meisten dieser Erinnerungen stammen aus meiner Zeit als Leiter eines Instituts, jedoch war diese Position nicht in jedem Fall ausschlaggebend, sondern ganz einfach die Tatsache, dass ich ein Angehöriger der Universität bin.


Vor einiger Zeit war auf meinem Institut (mir wurde im Institutsleiter-Seminar gesagt, man sollte sich mit dem Institut identifizieren, dann wäre man motivierter, den ganzen Wahnwitz auszuhalten) der Umbau eines Labors fällig, von der Nutzung als Labor für X auf ein Labor für Y. Auf einem naturwissenschaftlichen Institut ist das so normal wie Sex, also wie Essen und Trinken.

Wenn sich eine Untersuchungsmethode nach anfänglichen himmelhohen Versprechungen als genügend unsicher und fehlerbehaftet herausgestellt hat, dass man sich auf sie alleine ganz sicher nicht verlassen kann, arbeitet man mit einer neuen, bis auch deren Fehlerhaftigkeiten und falsche Versprechungen zur Genüge dokumentiert sind: man nennt das in der Fachsprache multi-proxy approach.

Für Aussenstehende: proxy heißt soviel wie ungefähr, nur näherungsweise. Eine möglichst neue Methode mit möglichst kompliziertem Namen einzusetzen hat den Vorteil, dass sich die entsprechenden Publikationen immer gut verkaufen lassen, selbst wenn manchmal eigentlich gar nichts wirklich Gscheites drinsteht. So weit, so bekannt.

Also begann ich. Nach mehreren ausführlichen Gesprächen mit der zukünftigen Leiterin des Labors schreibe ich ein Email an die entsprechende Stelle beim Referat für Infrastruktur. Antwort: Termin zur Vor-Ort Begehung erst in drei Wochen möglich, davor zu viel andere Aufträge. Ich glaub’s gerne, OK, dann eben dann.

Es klopft. Ja bitte. Herein in mein Büro tritt ein Fachkollege der zukünftigen Laborleiterin. Was soll das? Hier wird ein neues Labor geplant, und ich weiß nichts davon?, so seine Eröffnung. Soviel ich weiß, ist die neue Leiterin des Labors auch die Leiterin des entsprechenden Forschungsprojektes, und du bist nicht in dieses Projekt eingebunden, also sehe ich nicht, inwieweit du davon betroffen sein solltest, so meine vielleicht etwas direkte aber sachlich korrekte Antwort.

Oh nein, davon bin ich durchaus betroffen, ich meine fachlich, so also, durchaus fachlich, so die gereizte Erwiderung. Ich erkenne die Situation: Es geht hier nicht um Fachliches oder Sachliches, hier muss ganz einfach Zuwendung gespendet werden. Ich stehe auf und lüge routiniert: Sorry, ich wusste nicht, dass ihr das Labor beide nutzen wollt. . . komm‘, wir machen eine Vor-Ort Begehung. Nach einer etwa einstündigen Vor-Ort Begehung mit viel Diskussion war alles einigermaßen wieder im Lot – er fühlte sich nun: abgeholt und eingebunden.

Zwei Wochen später die Vor-Ort Begehung mit dem dafür zuständigen Koordinator vom Referat für Infrastruktur und der neuen Laborleiterin (die übrigens kein Deutsch spricht); ich möchte auch den Eingebundenen mitnehmen, um des lieben Friedens willen, aber der ist nicht da, trotz Ankündigung des Termins, vielleicht genügt es ihm, nur so ganz allgemein eingebunden zu sein.

Viel Diskussion in mehrsprachlichem Kauderwelsch, denn der Koordinator vom Referat für Infrastruktur kann nur wenig Englisch – hier könnten wir mit der Wand ein wenig zurück (hear we blace se wall a bit back), dort mit der Tür ein wenig vor, dorthin die Brandmelder (se . . .äh. . . se fire siren, you understand?), gemäß Vorschrift A Verordnung Y, soll’s alles weiß sein oder ist die Farbe wurscht?, Hauptsache sauber, das machen die Burschen dann schon, die wissen das eh, da brauchen sie sich nicht d´rum zu kümmern.

Am Ende fragt uns der Koordinator Und wann sollen wir beginnen? and when shall we start with se . . . äh . . .Umbau-change? Die zukünftige Laborleiterin, mit südländischem Temperament, laut und gestikulierend, You can start immediately, I’m waiting for the lab, I can’t work without, all of my work depends on that lab, I must have that lab, I can’t do my research without that lab. . . Ich ziehe sie weiter und nicke dem Koordinator nach hinten über die Schulter noch ein Wiedersehen zu. . . beruhigt gehe ich ins Büro zurück.

Und dann geschieht – nichts. Eine Woche verstreicht, zwei Wochen verstreichen, drei Wochen, drei Monate. Na gut, sage ich mir, die Jungs haben jede Menge zu tun, schließlich werden ja ständig neue oder erweiterte Proxy-Methoden ausgetüftelt, sodass man also ständig irgendwo irgendwelche Labors umbauen oder ganz neu einrichten muss.

Ich hab durchaus Verständnis für die werktätige Bevölkerung. Irgendwann erwähne ich das beiläufig gegenüber der einzig möglichen Sekretärin. Nach kurzem Gespräch ist die Ursache gefunden: Sie fragt mich, ob ich denn auch einen Innenauftrag im elektronischen Verwaltungssystem verfasst hätte. Ich schlag mir auf den Kopf – das hatte ich doch glatt vergessen! Klar! – kein elektronischer Innenauftrag, kein Umbau, das leuchtet jedem ein! Selber schuld. Kleinlaut gehe ich ins Büro und verfasse den Innenauftrag KI-675-7866/L: Jetzt erst ist es in der Wirklichkeit angekommen.

Trotzdem ist inzwischen nichts passiert. Etwa vier Wochen nach unserer Unterredung steht die zukünftige Laborleiterin in meinem Büro. You know that I need an EPSR [sprich: äps-er] for my work?, so ihre Eröffnung. Ich war wohl gedanklich grade nicht bei Sache (ich beantwortete Emails), sodass ich nur etwas treuherzig-ehrlich sagte: No. . . äh, please – what do you need? Sie darauf: An electron polarizer spin resplitter, in brief EPSR. I absolutely can not work without this, all my work depends on this.

Ich war grade etwas abgespannt, sodass ich die Sache sofort auf den Punkt bringen wollte: How much? 60.000 Euro, ihre Antwort, it’s really the cheapest model I could find, but it’s OK for my work. 60.000 Euro, nicht allzu viel. Aber derzeit doch etwas zu viel für unser bereits verplantes Instituts-Budget, es ist schon spät im Jahr, andere Investititionen stehen noch auf der Liste, und das Budget des neuen Jahres steht noch nicht.

Aber das werden wir auch noch irgendwie auf die Reihe bringen. OK, I’ll see after it. Eine Woche später steckt mir der Eingebundene auf der Weihnachtsfeier zu, dass ein EPSR für 60.000 Euro unmöglich die nötigen Messungen durchführen könne, das habe er noch gar nie gehört, dass ein funktionierender EPSR schon um schäbige 60 k€ zu haben ist, wo doch jedes halbwegs ernstzunehmende Gerät ab etwa 90.000 aufwärts beginnt. Ich höre geneigt zu (schließlich soll er sich eingebunden fühlen) und empfehle ihm dann, sich mal mit der zukünftigen Laborleiterin zu koordinieren, was denn wirklich an Ausrüstung benötigt werde, ich bin für alles offen, mit mir kann man reden.

Nach Weihnachtszeit, Jahreswechsel, Dreikönig und einer leichten Marzipanschwein-Vergiftung schaue ich ins umzubauende Labor, nur mal so. Nichts ist geschehen, alles liegt wie vordem. Ich schreibe eine Email an das Referat für Infrastruktur. Keine Antwort, nichts geschieht. Zwei Tage später klopft es an der Bürotüre. Herein tritt ein junger Mann S’Gott, I bin da Tischler, I bin wegen dem Laborumbau da.

Endlich geht’s los, denke ich mir, und begleite den Tischler zum Labor. Wir treten ein. Ich erkläre ihm kurz, wie wir uns den Umbau vorgestellt haben. Er schaut sich wortlos um, zieht dann den Klappmeter aus der Hosentasche, und misst an mehreren Stellen auf. Dann sagt er Nein, so geht das nicht, da wird die Tür zu schmal, und dort müssen wir mindestens 1.60 Meter haben, wegen des Sicherheitsabstands, Vorschrift, und da brauchen wir mindestens 40 Zentimeter Luft, Vorschrift.

Anschließend längere Diskussion. Inzwischen weiß ich von mehreren ausführlichen Vor-Ort-Gesprächen nur zu gut, was die zukünftige Laborleiterin – die gerade nicht da ist – benötigt (außer einem EPSR), und wir finden eine Lösung, die alle Vorschriften erfüllt. Darüber begann es zu dämmern, der Tischler geht, Feierabend.

Zwei Tage später finde ich das erste Mal wieder Zeit, in das umzubauende Labor zu schauen. Kein Tischler dort, alles sieht wie davor aus. Der Koordinator des Referats für Infrastruktur (ich hatte ihm daraufhin eine Email geschrieben) hat erst in zwei Wochen Zeit, um die neue Sachlage zu besprechen. Auch gut, mir bleibt sowieso nichts anderes übrig. Dann Grüß Gott, schauen wir’s uns nochmals an, der Tischler ist auch dabei, das deute ich als gutes Omen. Die zukünftige Laborleiterin hat auch irgendwie Wind davon bekommen und schließt sich uns an, erneute ausführliche Debatte auf Pigdin und Älplerisch, nach lediglich einer Stunde ist alles besprochen, es klingt endgültig, Bis bald und Wiederschaun.

Nach mehreren Wochen kommt eine Email vom Referat für Infrastruktur mit dem Inhalt, dass wir ja noch gar nicht über die Stromanschlüsse geredet hätten, Starkstrom oder Normalstrom, und dass der Sicherheitsbeauftragte darüber bei einer Vor-Ort Begehung zu entscheiden hätte.

Also schreibe ich eine Email an den Sicherheitsbeauftragten, der meldet sich aber nie zurück, denn aus Kostengründen hat die gesamte Universität nur einen einzigen Sicherheitsbeauftragten und der ist heillos überbelegt. Da muss schon Schwefelsäure auf Studentenköpfe tropfen, dass der noch wo hinkommt. Ich recherchiere und finde heraus, dass das umgebaute Labor nur Normalstrom braucht, und dass für Normalstrom keine besonderen Vorkehrungen getroffen werden müssen. Schwein gehabt!

Sogleich teile ich diese frohe Botschaft per Email dem Koordinator des Referats für Infrastruktur mit. Grünes Licht, es kann losgehen! Inzwischen treiben sie Weiden schon wieder aus, der Frühling hält Einzug. Im Labor nichts Neues.

Da reicht es mir. Wie immer, wenn es mir reicht, bleibe ich ruhig und agiere mit kalter Entschlossenheit Zug um Zug. Ich will dieses gottverdammte Sch…labor nun umgebaut haben, koste es, was es wolle.

Ich hole aus der freien Wirtschaft, also vom Rest der Welt außerhalb der Universität, mehrere Angebote ein, rede bei erneuten Laborbeschauen mit Handwerkern, die von der Außenwelt kommen. Alles ganz einfach, und nicht mal sehr teuer. Das sollte binnen zwei-drei Tagen gemacht sein. Kurze Besprechung mit der Einzig Möglichen, wer den Zuschlag bekommen soll. Und dann – wie durch ein Wunder – ist das Labor binnen weniger Tage umgebaut: von den Handwerkern der Universität!

Was für ein eigenartiger Zufall, sinniere ich anschließend bei der einzig Möglichen vor mich hin. Das war kein Zufall, ihre Antwort, als du die Angebote von außen eingeholt hast, wussten sie, dass es eng wird. Als ich sie fragend anschaute, setzte sie hinzu: Die kennen sich doch alle untereinander!

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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