Corvus Kowenzl
Wir publizieren einen Fachaufsatz.
Grundsätzliches
Ostalpenländische Universitätssatiren
Folge 7
Folgende bescheidene Zeilen präsentieren einige der markantesten Erinnerungen meines Berufslebens als Lehrer und Forscher an einer Universität mitten in den Ostalpen, im Lande des Grüß Gott. Die meisten dieser Erinnerungen stammen aus meiner Zeit als Leiter eines Instituts, jedoch war diese Position nicht in jedem Fall ausschlaggebend, sondern ganz einfach die Tatsache, dass ich ein Angehöriger der Universität bin.
Zwischen Emails beantworten, Emails schreiben, online-Administration erledigen und damit beschäftigt sein, Leute vielleicht doch noch am Telefon zu erreichen, die per Email wegen Überlastung nicht mehr erreichbar sind oder eh nie waren, kann es ab und zu passieren, dass in einem Thema, das ich beforsche, das Gefühl der Sättigung eintritt.
Sättigung heißt, dass genügend Beobachtungen, Kartierungen und Messungen verschiedenster Art zur Empfindung führen, man hätte das nun hinreichend gut verstanden, um es zu verstehen. Nun könnte man den entsprechenden Ordner, in dem all das viele Datenmaterial drin ist, mit der Maus anklicken, zum Papierkorb ziehen und auf ‚Papierkorb entleeren‘ drücken. Das wäre zumindest eine schnelle, rückstandsfreie Entsorgung.
Nicht so der Wissenschaftler!
Hat er nämlich den Eindruck, er hätte etwas verstanden, dann wird er oder sie von einem unbezwingbaren Gefühl gepackt, das auch allen anderen WissenschaftlerInnen dieser Welt mitzuteilen. Man trachtet also danach, seine hehren Erkenntnisse zu veröffentlichen. Normale Leute mögen vielleicht denken, nun ruft man einen Zeitungsjournalisten an und sagt, man hätte da was Interessantes, er solle doch mal vorbeischauen und eine hübsche Story drüber schreiben, auf dass es alle wissen. Steht schließlich in der Zeitung.
So aber läuft es nicht. Gestandene Wissenschaftler veröffentlichen nur in bestimmten Journalen, in denen jeder einzelne Fachaufsatz vor dem allgemein sichtbaren Abdruck einer mehr oder weniger aufwändigen internen Qualitätskontrolle unterzogen wird. Die Veröffentlichung oder, im Slang der Wissenschaftler, das paper ist so etwas wie der Heilige Gral der Wissenschaften. Nur, was veröffentlicht ist, zählt. Also will man möglichst viiiiiele papers haben, weil man sich dann berühmter fühlt.
Aber die Leute in der U-Bahn erkennen einen trotzdem nie. Und auch die Dekane und Rektoren wollen, dass ihre Wissenschaftler möglichst viiiiiele papers schreiben, denn das gibt Zahlen, mit denen man vor allem beim zuständigen Ministerium punkten kann. Heißt auf Systemisch übersetzt, dass es immer mehr papers werden sollten. Das Wachstum, sie wissen ja.
Nun ist das so eine Sache, das mit den immer mehr papers. Die Erfahrung zeigt, dass es auch bei der Zahl der papers, die man pro Jahr publizieren kann, irgendwann eine mehr oder weniger fachspezifische Obergrenze gibt, die sich kaum noch überschreiten lässt, selbst unter strengster Bewirtschaftung des Schlafes, Preisgabe aller Wochenenden, Auflösung der Ehe und Leben im Zölibat, fristloser Kündigung des Haushunds sowie Nichtbeanspruchung des gesetzlich zustehenden Erholungsurlaubs.
Was also tun? Doch es gibt Mittel, den output weiter zu steigern.
Bekanntlich sind Wissenschaftler quasi von Berufs wegen findig. Eine weit verbreitete Methode, die Anzahl der papers bei gleichbleibendem allgemeinen Erkenntnisgehalt zu steigern ist der, die Erkenntnis ähnlich einem Stück Bündnerfleisch in hauchdünne Scheibchen aufzuschneiden und diese dann einzeln zu vermarkten. Shingling heißt das in der Fachsprache, was sinngemäß übersetzt soviel heißt, dass in jedem paper nur ein möglichst kleines Stück der ganzen Erkenntnis drinsteht.
Abgesehen von den Autoren ist shingling auch sonst sehr beliebt: bei den Wissenschafts-Verlagen, weil sie dadurch viele viele bunte papers bekommen, und bei den Gutachtern, vermutlich, weil sie bei der Durchsicht eines fast transparenten Schnittchens nicht allzu viel denken müssen und – ja, vielleicht auch, so lässt sich mutmaßen – weil sie ja selber Wissenschaftler sind und alle unter einer Decke stecken.
Eine andere oft genutzte Möglichkeit, die sich auch mehr oder weniger unbegrenzt mit shingling mischen lässt, ist die, die Autorenreihenfolge stets neu zu arrangieren. Das geht besonders gut in mehr oder weniger großen Arbeitsgruppen.
So schreibt ein Erstautor A einer Arbeitsgruppe ein paper zu einem Scheibchen A, Erstautor B schreibt das paper zum Scheibchen B, Erstautor C verfasst den Artikel zu Scheibchen C, und so weiter. Dadurch, dass mehrere Erstautoren zugleich oder in kurzer zeitlicher Staffelung aktiv sind, lässt sich ein wuchtiger Angriff mit vielen papers vortragen, ohne dass der Einzelne sich dabei allzu sehr verausgaben muss. Trotzdem kann er am Ende des Jahres sagen, er hätte wieder 20 papers publiziert – wobei er wahrscheinlich auf 19 lediglich als Ko-Autor aufscheint.
Eine andere Möglichkeit, den output zu steigern, besteht in schlichter Wiederholung. Natürlich nicht in wörtlicher Wiederholung, dazu sind Wissenschaftler viel zu gerissen. Die Wiederholung wird im Deckmantel der vieljährigen beständigen Erforschung derselben Erscheinung verkauft. Das bietet mehrere Vorteile. Zum ersten wirkt es stets seriös, wenn ein Wissenschaftler von sich sagen kann „Ich erforsche nun seit vierzig Jahren“ [folgt Nennung eines mehr oder weniger zentimeter-breiten Spezialthemas]. Die Wiederholung ist also die Tochter der Spezialisierung. Zum zweiten besänftigt es die stets eifersüchtige Kollegenschaft.
Hat man sich einmal in seiner wissenschaftlichen Jugend unter Demutsbezeugungen in eine Nische hineinpubliziert und verbleibt dort – friedlich an einem Stück Rentierflechte kauend – wird man für hinreichend harmlos gehalten. Und zum dritten genügt für Wiederholung im Prinzip schon eine vergleichsweise sehr geringe Menge an neuen Daten, um ein weiteres paper zu rechtfertigen. Soweit eine kurze Übersicht über die gängigsten Methoden, den output an papers bei nur gering ansteigendem Inhalt zu steigern.
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Lieber Ronald!
Das von dir bemängelte fehlende „t“ geht auf meine Schlampereikappe. Ich bitte dich und den Prof. Kowenzl untertänigst um Entschuldigung. Der Fehler wurde umgehend korrigiert.
Unser seit ein paar (Mitt)Wochen um Universitätsinstitutsvorstandsschaftssperenzchen herum scharwenzelnder – pardon, kowenzlnder – Rabe (lateinisch „Corvus“!) genießt alleine schon ob der Hereinnahme des im modernen lateinischen Alphabet 12. Buchstabens in einen mit Universitäten in innige Verbindung gebrachten Ausdruck meine Sympathie. Er schreibt nämlich von Wissenschaftlern und deren weiblichen Pendants, also Wissenschaftlerinnen, und malträtiert auf diese Weise nicht mein Sprachgefühl, das er tatsächlich dann beleidigen würde, hätte er das kleine „L“ den Wissenschaftlern und -lerinnen vorenthalten.
Insbesondere in den von Tirol aus gesehen weiter östlich gelegenen Landesteilen unserer wundersamen Alpenrepublik spricht und schreibt man, wenn man auf die sich den Wissenschaften hingebenden Leute Bezug nimmt, einerseits fast immer von Wissenschaftern (ohne das kleine „L“!), erdreistet sich aber andererseits, für die sich den Künsten verschrieben habenden (männlichen) Personen das Wort „Künstler“ zu gebrauchen und die, die Sport treiben, als Sportler zu bezeichnen. Wie wär’s, folgerichtig, mit „Künster“ und „Sporter“, meine Damen und Herren aus der nichtwestösterreichischen schreibenden Zunft?
Glücklicherweise befleißigt man sich in den Aussendungen der Uni Innsbruck desselben Usus, den unser Rabe hoch- und hoffentlich beibe-hält. Möge Letzterer auch deswegen noch lange im schoepfblog krächzen und uns Einblicke in eine Welt geben, die nicht wenige aus der Leserschaft ein wenig schräg anmuten dürfte.
Eines dürfen Sie aber mir, der ebenso aus dem universitären Nähkästchen wie unser geschätztes schwarzberocktes Federvieh zu plaudern vermöchte, glauben: Es gibt sie nur höchst selten – selbst an einer in einer Grüß-Gott-Region gelegenen Universität –, nämlich Wissengschaftler, die sehr viele und noch dazu miserable „papers“ produzieren. Um papers und deren Drumherum ging es ja vor allem in dieser corvus-kowenzlischen Folge.
Es gibt aber solche corvi, die – ungelogen! – in ihrer Biographie, die wie das Amen im Gebet erscheint, wenn der mittwöchige schöpfblogige Beitrag zu Ende ist, noch ihre ambivalente Haltung zu ihrem Brötchengeber kundtun, indem sie diesen als „Universiät“ herabzuwürdigen trachten. Klingt wie Unisex-Diät oder so. Das „t“ ist ob seines harten Klangs mitten in einem Wort halt unsympathisch; tja, ein Universiätsprofessor hat‘s eben nicht leicht …
Um es aber klar kundzutun: mir gefällt diese Serie!